odesnachricht  Als die Mutter dem Onkel mitteilte, daß Hans Baltisberger tot war, sagte er: »Schade, daß ich nicht jünger bin, sonst würde ich mich auf so einen Rappelkasten setzen und es allen zeigen, immerhin habe ich einst bei der besten Armee der Welt gedient, das waren noch Zeiten, ich hatte einen Teint wie mein Vetter, der Kürassier beim Kaiser war, später soff er sich zu Tode, schade um ihn, zu meiner Zeit aber war er ein wirklich schöner Mann, er wog hundert Kilo, und wenn er sich auszog, leuchtete sein Körper wie frischer Schnee, man nannte ihn überall den schönen Fanynek, ein Photo von mir hing in Proßnitz auf dem Marktplatz in einem Glaskasten, und die Mädchen fragten einander: Welcher gefällt dir am besten? Die meisten zeigten auf meine Photographie, ich stand hinter ihnen, sie merkten es nicht, aber das war ein Gefühl kann ich Ihnen sagen, ein Gefühl...«  -  Bohumil Hrabal, Der Tod des Herrn Baltisberger. In: B. H., Die Bafler. Erzählungen. Frankfurt am Main 1966 (es 180, zuerst 1964)

Todesnachricht (2)  Ich mag fünf Jahre alt gewesen sein. An einem Abend, als ich schon im Bett lag, erschien mein Vater. Er kam, um mir gute Nacht zu sagen. Es war vielleicht halb gegen seinen Willen, daß er mir Nachricht vom Tode eines Vetters gab. Das war ein älterer Mann gewesen, der mich wenig anging. Mein Vater bedachte die Nachricht mit Einzelheiten. Ich nahm von seiner Erzählung nicht alles auf. Dagegen habe ich mir an diesem Abend mein Zimmer eingeprägt, als wenn ich gewußt hätte, eines Tages würde ich nochmals darin zu tun bekommen. Ich war schon längst erwachsen, da hörte ich, der Vetter sei an Syphilis gestorben. Mein Vater war hereingekommen, um nicht allein zu sein. Er suchte aber mein Zimmer auf und nicht mich. Die Beiden konnten keinen Vertrauten brauchen.  - (ben2)

Todesnachrichten (3)  Der Selbstmord des Dichters Heinrich v. Kleist und der Frau Adolphine Vogel wird nun in verschiedenen öffentlichen Blättern auf folgende, von den bisherigen Nachrichten abweichende Art erzählt: „Frau Vogel war als eine rechtschaffene Frau allgemein bekannt, litt aber seit Jahren an einem unheilbaren Schaden. Die Ärzte überzeugten sie von der UnvermeidHchkeit eines nahen Todes, und sie faßte den Entschluß, ihm freiwillig zuvorzukommen. Ihr Freund, der Dichter Heinrich v. Kleist, faßte eben diesen Entschluß. Beide fuhren nach einem Wirtshause an der Landstraße von Berlin nach Potsdam (Wilhelms-Brück), an den Ufern des heiligen Sees gelegen. Hier bereiteten sie sich eine Nacht und einen Tag zum Tode vor; sie beteten, sangen und exaltierten sich durch einige Flaschen Wein, Rum und 16 Portionen Kaffee; dann meldeten sie in einem Briefe dem Hrn. Vogel ihr Vorhaben, und baten ihn, eiligst zu kommen, um ihre Leichname zu beerdigen. Dieser Brief wurde mittelst eines Boten nach Berlin gesandt. Sie gingen darauf an die Ufer des heiligen Sees, setzten sich gegen einander über, Kleist zog die Pistole und schoß seine Freundin gerade ins Herz, ladete wieder, und schoß sich vor den Kopf. Bald darauf erschien der Mann, und war untröstlich, denn er Hebte seine Frau etc."  -  Allgemeine Zeitung, Augsburg, 18. Dez. 1811

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Berlin, 26, Nov. Eine wirklich auffallende, und für Psychologen interessante Erscheinung belebt jetzt das Gespräch. Der als Schriftsteller bekannte Heinrich von Kleist und Adolphine Vogel, geborne Keber, haben sich auf gewaltsame Weise von dieser Erde getrennt, der allgemeinen Sage nach, nur aus Liebe zu einem geistigen Verein in jener bessern Welt. Beide fuhren eines Abends nach einem Gasthofe, nahe bei Potsdam, schrieben die ganze Nacht Briefe, wobei sie ruhig Erfrischungen zu sich nahmen. Am Morgen bestellten sie, daß man ihnen den Kaffee nach einem dem Hause naheliegenden Wäldchen bringen möchte; sie gingen dorthin, und bald darauf hörte man zweimal schießen. Die Herbeieilenden fanden beide tot, und aus der Ansicht und der gewählten Lage ergab sich, daß Heinrich von Kleist zuerst die Dame erschossen hatte mitten durchs Herz, und dann sich selbst mit tiefem Einlegen der Pistole in den Mund, denn der Gesichtsteil des Kopfes war nicht beschädigt. Bemerkenswert ist es noch, daß er beide Schüsse mit derselben Pistole tat, denn eine zweite lag geladen da; er hatte also so viel Ruhe gehabt, noch einmal zu laden. Die Gattin hinterläßt einen Gatten und eine Tochter. Einen schriftlichen Auftrag der Verstorbenen befolgend, wird ein Freund die düstere Geschichte in einer kleinen Schrift ausführlich erzählen, und die Gründe des Gewalttodes angeben. -  [Gubitz.] Morgenblatt für gebildete Stände, Tübingen, 21. Dez. 1811

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Berlin, 3. Dez. Das Erschießen des Hrn. von Kleist und der Mad. Vogel ist fortwährend die Seele des Gesprächs, und auch der Einsender muß auf diese Begebenheit zurückkommen, weil eine genaue Untersuchung der Sache sie deutlicher bestimmt und anscheinend die Beweggründe angedeutet hat. Mad. Vogel soll seit langer Zeit an einer unheilbaren Krankheit gelitten, Hr. v. K. mit seinem Schicksal in Fehde gelebt haben; dies erklärt allenfalls das Übereinkommen zu solchem Beginnen. In der Nacht vor dem gewaltsamen Hinscheiden nahmen beide viel geistige Getränke zu sich, und die Tat verschob sich bis zum Nachmittage. Durch Übereilung ist über diesen Vorfall die Anzeige eines Freundes der Unglücklichen in unsern Zeitungen erschienen, welche allgemeine Mißbilligung erregt hat von Seiten der höhern Personen und des ganzen Publikum, da sie in einem Auswurf von poetischer Poesie in unreiner Prosa dem Selbstmorde das Wort der Rechtfertigung sprechen soll. -  [Gubitz.] Morgenblatt. 26. Dez. 1811

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Aus Berlin. Das tragische Ende, das Heinrich von Kleist genommen, ist gewiß in mehr als einer Hinsicht merkwürdig; aber nicht minder merkwürdig ist es, daß in allen den verschiedenen Nachrichten, die in den Miszellen für die Weltkunde, in dem Korrespondenten von und für Deutschland usw. hierüber zu lesen sind, ein wesentlicher Haupt umstand ganz und gar nicht berührt wird, da dieser doch hier allgemein bekannt ist — der wichtige Umstand nämlich, daß Mad. Vogel an einem durchaus unheilbaren Krebsschaden seit geraumer Zeit litt. Dies sei denn hier zur Steuer der Wahrheit und zur Berichtigung der übereilten, schiefen und übelwollenden Urteile ausdrücklich bemerkt! —  Zeitung für die elesante Welt. 7. Jan. 1812

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Der Verfasser der Penthesileia — wenn ich nicht irre, haben Sie dies Gedicht verlegt — hat sich in diesen Tagen nicht weit von hier erschossen. Sein Tod ist so seltsam gewesen, als seine Poesien es sind. Er kam mit heiler Haut aus dem österreichisch-französischen Kriege hieher zurück, vereinigte sich mit Adam Müller zur Herausgabe eines Abendblatts, gab dies auf, weil es nicht einträglich war, schloß sich an die Weiber an und fixierte sich für eine gewisse Madam Vogel; eine Frau, deren Überbildung und Hysterie ihm vorzüglich kon-veniert zu haben scheint. Beide bereden sich, daß das Leben keinen Wert habe und daß man eilen müsse, es los zu werden. Gemeinschaftlich fahren sie nach einem Gasthof auf dem Wege von hier nach Potsdam, verleben daselbst eine Nacht, der Himmel mag wissen wie, schwärmen am folgenden Tage in der Gegend umher, lassen sich den Kaffee in einem Gehölz auftragen, und setzen sich in eine Vertiefung, die kaum hinreicht, beide zu fassen. Und in dieser Stellung expediert H. von Kleist erst seine Geliebte und unmittelbar darauf sich selbst. Übrigens waren die Maßregeln so gut genommen, daß, gleich nach geschehener Tat, der Mann der Dame mit einigen guten Freunden und dem Kreis-physikus ankamen und die beiden Liebenden, nach geschehener Besichtigung, zur Erde bestatten konnten. Ich müßte mich sehr irren, oder von den jungen Männern in Deutschland, welche sich so ungebärdig betragen haben, weil rund um sie her so vieles vorging, was sie nicht begreifen konnten, werden noch mehrere auf diese Weise endigen.  - Friedrich Buchholz an Joh. Friedr, Cotta. Berlin, 26. Nov. 1811

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Den 21. November erschoß sich der bekannte exzentrische Schriftsteller v. Kleist, Verf. des zerbrochenen Krugs und des Schauspiels Käthchen von Heilbronn, in Gesellschaft seiner Freundin, der Frau eines Rendanten Vogel allhier, einer geborenen Keber. Der Mord und Selbstmord geschah drei Meilen von Berlin auf dem Wege nach Potsdam beim sogenannten Neuen Kruge in einer romantischen Gegend bei einem großen See. Ganz vorüberdacht ist alles gewesen. Die Vogel, eine schöne, schöngeisterische Frau, hat an ihren Mann ein Schreiben hinterlassen, das derselbe mit einer Art Selbstruhm in der Zeitung bekannt gemacht hat und worin sie ihn bittet, nicht zu trauern, indem sie zu einem bessern Leben überginge. Kleist selbst hat ein Testament hinterlassen und einen Kriegsrat Peguilhen zum Ausrichter desselben bestellt. Letzterer hat mit einem Panegyricus in der Zeitung die Tat bekannt gemacht. Niemand begreift, wie unsere sonst so ängstliche Zensur dergleichen hat durchgehen lassen. Er verspricht dabei, noch eine besondere Broschüre über die Sache und deren Bewegungsgründe herauszugeben.  

Kleist hat seine Freundin zuerst erschossen. Sie hat die Brust dazu entblößt, muß aber doch gezuckt haben, denn der Schuß hat mehr die linke Seite unter dem Herzen getroffen, ist indessen doch sogleich tödlich gewesen, nachher hat er sich die Pistole im Munde gesetzt und sich so das Gehirn zersprengt. — Das was der Verstorbene immer gern wollte und weder durch seine Schauspiele und Gedichte, noch durch sein Abendblatt erreichen konnte: Aufsehn, hat er nunmehr eine kurze Zeit wenigstens bezweckt.    - C. F. Rellstab an Bertuch in Weimar. Berlin, 1. Dez. 1811

- Alle nach: Heinrich von Kleists Nachruhm. Hg. Helmut Sembdner. München 1977

Todesnachricht (4)  Michel ging zu seinem Schlafzimmer, er machte ganz kleine Schritte von höchstens zwanzig Zentimetern. Brigitte wollte aufstehen, doch Marie-Therese hielt sie mit einer Handbewegung zurück. Es vergingen etwa zwei Minuten, dann hörte man aus dem Schlafzimmer eine Art Miauen oder Heulen. Diesmal stürzte Brigitte los. Michel lag zusammengerollt am Fußende des Bettes. Seine Augen waren etwas aus den Höhlen getreten. Auf seinem Gesicht spiegelte sich keine, der Trauer oder einem anderen menschlichen Gefühl gleichende Regung. Sein Gesicht war von widerwärtigem tierischen Entsetzen verzerrt.  - Michel Houellebecq, Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)

Todesnachricht (5)  

TODESNACHRICHT

Besuch bei William Carlos Williams etwa 1967, die Dichter Kerouac, Corso, Orlovsky saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa und verlangten nach weisen Worten, der betroffene Williams zeigt durch die Vorhänge des Fensters auf die Main Street: »Es gibt 'ne Menge Dreckskerle da draußen!«

 

Nachts ging ich auf der Asphaltstraße des Campus
an dem deutschen Dozenten mit Brille vorbei
W.C.Williams ist tot, sagte er mit Akzent
unter den Bäumen von Benares; ich blieb stehn und fragte
Williams ist tot?   Aufgeregt mit weiten Augen
unter dem Großen Bären.  Ich stand in der Vorhalle
des International House Bungalows
Insekten schwirrten um das elektrische Licht
und las die ärztliche Todesmeldung in Time.
»draußen unter den Spatzen hinter den Fensterläden«
Williams ist im Großen Bären. Er ist nicht tot
während die vielen Seiten in seinem Tonfall
geordneter Wörter die Münder der schmächtigen Kinder
ergreifen sie sogar in Bengal besänftigen.   So
dringt das Leben aus seinen Büchern; auch Blake
»lebt« durch seine wissenden Maschinen.
Waren seine letzten Worte irgendwas Schwarzes da
draußen in dem mit Teppichen ausgelegten Schlafzimmer des giebligen
Holzhauses in Rutherford?  Was sagte er wohl,
war irgendetwas im Bereich der Sprache geblieben
nachdem die Verdammnis von Schlaganfall und Gehirnlähmung
seine Gedanken ergriffen hatte?   Wenn ich in Bardo Thodol
zu seiner Seele bete, könnte er das unerwartete Ereignis fremder
Gnade hören.   Drei Wochen lang blieb es verborgen; jetzt aber sah ich
den Passaic und den Ganges als eins,
ich konnte in seine Andacht einwilligen
weil er am steinigen Ufer ging und zu einer Gottheit
im Fluß betete, die er nur erfunden hatte
— eine andere Ganga-Ma.   Jetzt fährt er nicht auf einem himmlischen
Krokodil sondern auf dem alten rostigen Holland-
Unterseeboot im Erdgeschoß des Patterson Museums.
Oh trauert Ihr Engel der Linken!   daß der Dichter
der Straßen jetzt ein Skelett ist unter dem Pflaster
und keine andere alte Seele so gut und schmächtig
und zart und männlich dich sehen kann,
was du sein wolltest unter den Dreckskerlen da draußen.

20.März 1963

Bardo Thodol: im Lamaismus das Stadium der Seele zwischen Tod und Wiedergeburt.
Ganga-Ma (Mutter Ganges: Gottheit des Ganges, auf einem Krokodil) reitend dargestellt.

AdÜ

- Allen Ginsberg, nach (frach)

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