Todesangst  Nichts, nur dieser krebskranke Gelähmte dort oben, der aus Todesangst in die Bodenkammer gezogen ist, und der da oben unverrückbar auf seinem Stuhl sitzt, Tag und Nacht, und über die Hofdächer in das Gelände starrt, aus dem die Idiotie auf ihn zukommt, den, in den vergangenen Jahren, seine alte Mutter, sie hatte ein Holzbein, unermüdlich wusch und fütterte, aber nun sind alle Weiber aus der Stadt verschwunden.  - (hilb2)

Todesangst (2)  Die Vorväter hatten früher keine Angst vor dem Tode, denn das Sterben öffnete die Tür zur zweiten Heimkehr oder die Verwandlung in ein sehr starkes, sehr kluges oder sehr schönes Tier, in dem sie dann wohnten und in der Nähe der Ihren sein konnten, helfend, ratend, treu. - (arauk)

Todesangst (3)  Im allgemeinen - sagen die praktischen Metzger - dürfe gelten, daß Schlachtvieh keine Todesangst empfinde. Besonders für Hornvieh treffe dies zu. Das Huhn, wenn die Köchin es so gewiß zwischen die Fäuste nimmt, das Schwein, zum Block geschleift: sie mögen ahnen, was ihnen bevorsteht. Aber Hornvieh ist eben Hornvieh. Dumpf, dumm, dämlich. Wehen des Todesfittichs spürt es nicht, und Schatten des Fittichs kann es nicht sehen, weil der gütige Mensch dem Ochsen die Augen verbindet, ehe er ihm die Keule auf das Stirnblatt schmettert. So ist er schon einmal, der Mensch.

Also Schlachtvieh hat keine Ahnung, was kommt. Zu Kriegsbeginn ist der Beweis im großen Stil erbracht worden. Da sah man es fröhlich brüllend durch die Straßen ziehen und die Stirnen, der Keule verfallen, hoch tragen.

Es leben aber auch Fleischhauer, die behaupten, dann und wann geschehe es, daß das dumme Vieh in articulo mortis sich benehme, als empfinde es Todesangst. Die meisten Ochsen betreten den Platz, wo an ihnen die entscheidende erste Handlung in der Reihe jener Handlungen vollzogen wird, die sie aus Lebewesen in einen Komplex von Eßportionen verwandeln, ruhigen Herzens, ohne Zeichen von Gemütsbewegung. Der Schlag trifft sie, und sie sterben eines schönen Todes. Bei einem oder dem ändern Vieh jedoch trifft solche Erfahrung nicht zu; es gebärdet sich, als hätte es Beklemmungen, Ahnungen, Vorgefühle.

In der pikanten Stadt Budapest hat sich jüngst derartiges ereignet. Ich las darüber im Illustrierten Blatt, das auch von der End-phasc des Vorfalls eine photographische Aufnahme zeigt.

Jener Ochs, jener Besonder-Ochs, von dem die Budapester Nachricht erzählt, wurde, zwei Schritt vorm Schafott — schon schneuzte sich, Luft und Klarheit seinem Hirn erblasend, der Hinrichter in die rot quadrillierte Schürze - von Todesangst befallen. Er zitterte, ächzte, stürzte in die Knie, als wollte er um Gnade bitten. Vielleicht erblaßte er auch, aber man sieht es einem Ochsen nicht an, wenn er erblaßt. Funktion des Lachens und Erbleichens ist den Tieren versagt: diese äußeren Zeichen der Heiterkeit und der Angst sind Rcscrvatrccht des Menschen, des schamlosen Dünnhäu-tcrs. Ehe man dem Ochsen noch den Standpunkt als Schlachtvieh klarmachen konnte, hatte er sich losgerissen, tobte den Weg, den er gekommen war, zurück, überrannte Hindernisse, durchbrach Tore, lief auf die Straße. Er lief zehn Kilometer weit, und die Menschen sprangen zur Seite und brüllten wie Ochsen, die Wachleute hoben die Hand und ließen sie resigniert wieder sinken, in den Gasthäusern stürzten die Leute kauend, die Gabel in der Faust, ans Fenster, und ein zufällig des Wegs schlendernder Dichter sah Feuer aus den Nüstern des rasenden Tieres sprühen. Zehn Kilometer weit lief der Ochs, der Schönheiten Budapests nicht achtend. Endlich wurde er müde und suchte Unterschlupf, denkt euch - in einem Keller! Welche Folgerichtigkeit des Fluchtgedankens! Hinab, unter die Erde, ins Dunkle, Abseitige, schwer zu Durchspähende. Sie fanden ihn natürlich doch, »gänzlich erschöpft«, wie der Bericht meldet. Er lag auf der Seite, geschlossenen Auges und ließ mit sich geschehen, was die ändern wollten. Um die Vorderbeine kam ein Seil, um die Hinterbeine kam ein Seil; so schleiften sie ihn aus seinem Versteck ins Freie. Dann gruppierten sie sich um den Gefangenen, ein Mann hielt straff das rechte Seil, einer straff das linke Seil, einer, ein kurzer Kerl mit Schirmkappc, dickem Schnurrbart und Arbeitsschürzc, setzte dem Hingestreckten den Stiefel auf die Flanke, und dann kam der Photograph und knipste für das Illustrierte Blatt. - Es wurde ein erschütterndes Bild. Wie er daliegt, der Bruder Ochs, des heiligen Lukas sanfter Freund, und um ihn die Schar der schrecklichen Gesichter, aufgebrochen van Gelächter, das ein Privileg ist der Menschenschaft!

Wahrscheinlich haben sie ihn dann mit zwiefacher Passion geschlachtet, im Schwung des Beils nicht Arbeitspflicht erfüllend, sondern auch Rachlust befriedigend. Ein widerspenstiger Ochse, ein Ochse, der, wo es sich doch nur um Fleisch handelt, es mit der Seele bekommt, hat keinen Anspruch auf Sympathie.

Immerhin dürften die, die von ihm gegessen haben - ich hoffe das inständigst -, von Bauchgrimmen heimgesucht worden sein. Denn dieser Ochs war psychisch vergiftet. Kaum denkbar, daß die Toxine der Todesangst nicht auch in seine Fasern und Gewebe gesickert sein sollten.       - Alfred Polgar, nach (arc)

 

Angst

 

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