Tod, müder  Er saß da und betrachtete Ritter, Tod und Teufel. Vielleicht ähnelte Ben Gunn, so wie Stevenson ihn beschrieben hatte, ein wenig dem Tod bei Dürer, denn es schien ihm, als trüge Dürers Tod groteske Züge. Er hatte ihn immer etwas beunruhigt, dieser müde Ausdruck des Todes, fast so, als wollte er andeuten, daß er müde und langsam ankäme, wenn einer des Lebens müde sei. Müde der Tod und müde das Pferd: nicht so wie das Pferd in Der Triumph des Todes oder in Guernica. Der Tod hatte mehr den Ausdruck eines Bettlers als eines Siegers, trotz seines bedrohlichen Beiwerks der Schlangen und der Sanduhr. »Den Tod verbüßt man lebend.« Als Bettler; man bettelt um ihn. Der Teufel, der ebenfalls müde wirkte, war ein viel zu entsetzlicher Teufel, um glaubwürdig zu sein. Er war ein tatkräftiges Alibi im Leben der Menschen, dem man gerade die verlorene Wirkung wiederzugeben versuchte: theologische Therapien in Überdosis, philosophische Reanimationsversuche, parapsychologische und metaphysische Praktiken. Auf der Zeichnung aber war er dermaßen müde, daß er alles den Menschen überließ, die es besser konnten als er. Und der Ritter? Wo wollte er hin, so gerüstet und selbstsicher, daß er den Teufel hinter sich herlaufen ließ und dem Tod den Obolus verweigerte? Ob er jemals auf der Burg hoch oben ankommen würde - dieser Zitadelle der höchsten Wahrheit und größten Lüge?

Christus? Savonarola? Aber nein, aber nein. Vielleicht hatte Dürer in seine Rüstung nichts anderes gesteckt als den wahren Tod und den wahren Teufel; und das war das Leben, das sich so sicher fühlte: wegen dieser Rüstung und dieser Bewaffnung.   - Leonardo Sciascia: Der Ritter und der Tod. Ein einfacher Fall. Zwei Kriminalromane. Berlin 1996 

 

Tod Müdigkeit

 

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