ischgenossen   Die Auswahl der Tischgenossen - eine schwierige Kunst; denn jede Mahlzeit ist ja kannibalisch: außer den Speisen auf dem runden Teller verzehren, probieren, lecken und schmecken wir auch unsere Tisch genossen, wenn wir sie nicht sogar gierig auffressen. Ein falscher Tischgenosse, der sich nicht probieren läßt oder sich, einmal probiert, als zäh, fad und tiefgekühlt herausstellt, kann ein erlesenes und fein ausgedachtes Abendessen verderben. Fingerspitzengefühl ist von Nöten, da es ja ein erstes Mal geben muß; sobald man sich jedoch einen schmalen und genauen Katalog zusammengestellt hat, halte man sich daran, achte jedoch darauf, daß ein Tischgenosse sich nicht gerade in einer Lebenslage befinde, die ihn ungeeignet macht; er sollte beispielsweise nicht gerade hoffnungslos verliebt sein oder erst seit kurzem Liebeswonnen genießen oder als Sammler gerade ein seltenes Stück aufgestöbert haben; auf jeden Fall auszuschließen sind: Amateurfotografen, die gerade von einer Reise zurück sind, Neubekehrte jedweder Religion, eine Woche alte politische Militanten, Theosophen und gedungene Mörder.

Eine gute Gesellschaft darf vernünftigerweise nicht aus mehr als sechs bis acht Personen bestehen, es sollten sich unter den Anwesenden jedoch weder siamesische Zwillinge nocb ein Medium befinden, das den Raum auf unbehagliche Art füllen könnte. Zum Lachen ist das Gastmahl - an Pascoli gemahnend oder pseudogriechisch; abscheulich aber ist es, im Stehen zu essen, denn dabei kommt es zu einem brutalen Durcheinander zufalliger Weine, Gesellschaft, Stimmengewirr und tiefste Gedanken wechseln ständig. Was ein Prediger des 14. Jahrhunderts »karnevalische Freß- und Saufgelage« nannte, sollte man auf jeden Fall meiden; auch den Lärm im allgemeinen, denn er paßt zu Volksaufständen und öffentlichen Hinrichtungen, schickt sich aber nicht als Begleitung für eine schüchterne, bräutliche Bechamelsoße oder für den zwar abgebrochenen, aber noch immer himmlischen Flug einer Drossel.  - Giorgio Manganelli, Lob des Essens. Nach (man)

Tischgenossen (2)  Mr. Jenkyn, Mrs. Jenkyn, Dans Tante und ein Reverend Bevan mit Mrs. Bevan saßen am Tisch.

Mr. Bevan sprach den Segen. Als er aufstand, war es so, als ob er immer noch säße, so klein war er. »Segne heute abend unser Mahl«, sagte er, als ob er Essen nicht ausstehen könnte. Aber sobald das »Amen« vorbei war, fiel er wie ein Hund über den Aufschnitt her.

Mrs. Bevan sah aus, als ob sie nicht ganz da wäre. Sie starrte auf das Tischtuch und machte zögernde Bewegungen mit Messer und Gabel. Es schien, als ob sie sich fragte, was sie zuerst schneiden sollte, das Fleisch oder das Tischtuch.

Dan und ich sahen uns begeistert an; er trat mich unter dem Tisch, und ich stieß das Salz um. Im Durcheinander gelang es mir, ein bißchen Essig auf sein Brot zu schütten.

Während jeder, außer Mr. Bevan, Mrs. Bevan dabei beobachtete, wie sie ihr Messer langsam den Rand des Tellers entlang bewegte, sagte Mrs. Jenkyn: »Ich hoffe doch, Sie mögen kaltes Lamm.«

Beruhigt lächelte Mrs. Bevan sie an und begann zu essen. Sie war grauhaarig und graugesichtig. Vielleicht war sie am ganzen Körper grau. Ich versuchte, sie zu entkleiden, aber meine Phantasie bekam Angst, als sie beim Flanellunterrock und den blauen Pumpunterhosen ankam. Ich traute mich nicht einmal, ihre hohen Stiefel aufzuknöpfen, um zu prüfen, wie grau ihre Beine wären. Sie sah vom Teller auf und lächelte mich verrucht an.  - (hund)

Tischgenossen (3)

Tischgenossen (4)  Mr. Owen, voller Stolz bei seinem Essen, beugte sich über den Teller, wie er sich über das wehklagende Unkraut gebeugt hatte. Draußen vor dem Fenster war der braune Leib der Erde, war die grüne Haut des Grases und waren die Brüste der Jarvishügel; ein Wind war dort, von dem das Tier Erde fröstelte; und eine Sonne, die den Feldern den Tau weggetrunken hatte, schwitzte Schöpfung aus den Poren der Bäume, und die Sandkörner an weitentfernten Küsten, über die das Meer hinrollte, würden sich vermehren. Er spürte die rauhe Nahrung auf seiner Zunge; es war ein Sinn in der Schwarte des Fleisches und ein Zweck im An-den-Mund-Heben der Nahrung. Mit plötzlicher Genugtuung sah er, daß Mrs. Owens Kehle bloß war.

Auch sie war über ihren Teller gebeugt, aber sie ließ die Zähne ihrer Gabel an seinen Rändern knabbern. Sie aß nicht, denn die alten Mächte waren über sie gekommen, und sie wagte nicht den Kopf zu heben, weil ihre Augen so grün waren. Sie erkannte am Ton, aus welcher Richtung im Tal der Wind blies; sie erkannte den Stand der Sonne an der Kurve der Schatten auf dem Tischtuch. Wie gerne hätte sie jetzt ihren Kristall genommen, um in ihm die Streifen der Dunkelheit zu sehen, die dieses Winterlicht zudeckten. Aber in ihren Gedanken sammelte sich eine Dunkelheit, die sog alles Licht ihrer Umgebung ein. Zu ihrer Linken war ein Geist; mit all ihrer Kraft sog sie das körperlose Licht ein, das sich um ihn bewegte, und vermischte es mit ihrem dunklen Gehirn.

Mr. Davies fühlte sich wie ein Mann, der von einem Vogel ausgesogen wird, Verödung in seinen Adern, und erzählte in einem süßen Delirium von seinen Abenteuern auf den Hügein: wie es kalt gewesen sei und windig, und wie die Hügel auf und nieder gingen. Er hatte sich verirrt, sagte er, und hatte einen dunklen Zufluchtsort gefunden, der Schutz bot vor den Unholden des Windes; aber die Dunkelheit hatte ihn geängstigt, und er war wieder über die Hügel gewandert, wo ihn der Vormittag umherwarf wie ein Schiff auf dem Meer. Wohin er auch ging, war er im Freien verweht oder in den engen Schatten geängstigt worden. Es gab keinen Ort, sagte er mitleidig, wo ein alter Mann hingehen konnte. Er liebte seinen Pfarrhof, und so hatte er auch das Land ringsum geliebt, aber die Hügel hatten unter seinen Füßen nachgegeben oder ihn in die Luft gestoßen. Und er liebte seinen Gott, und so hatte er auch die Dunkelheit geliebt, wo die Menschen von alters-her das dunkle Unsichtbare angebetet hatten. Aber nun waren die Hügelhöhlen voller Gestalten und Stimmen, die ihn verspotteten, weil er alt war.

»Er hat Angst vor der Dunkelheit«, dachte Mrs. Owen, »vor der wunderschönen Dunkelheit.« Mit einem Lächeln dachte Mr. Owen: »Er hat Angst vor den Würmern in der Erde, vor der Paarung im Baum, vor dem lebenden Fett im Boden.« Sie blickten auf den alten Mann und sahen, daß er geisterhafter war denn je. Das Fenster hinter ihm warf einen zottigen Lichtkreis um seinen Kopf.  - (echo)

 

Kannibalismus Tischgesellschaft

 

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