Ein Tierbändiger tritt,
nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen,
in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern
und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen
Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt.Hereinspaziert in die Menagerie,
Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust'gen
Frauen,
Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen
Die unbeseelte Kreatur
zu schauen,
Gebändigt durch das menschliche Genie.
Hereinspaziert, die
Vorstellung beginnt! -
Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind.
Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,
Wo jener höhnend seine
Peitsche schwingt
Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,
Dem Menschen
mörderisch an die Kehle springt;
Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt,
Bald
Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt;
Das Tier bäumt sich, der Mensch
auf allen vieren!
Ein eisig kalter Herrscherblick -
Die Bestie beugt entartet
das Genick
Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren.
Schlecht sind die Zeiten! - All die Herrn und Damen,
Die einst vor meinem
Käfig sich geschart,
Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen
Mit ihrer hochgeschätzten
Gegenwart.
An Futter fehlt es meinen Pensionären,
So daß sie gegenseitig
sich verzehren.
Wie gut hat's am Theater ein Akteur!
Des Fleischs auf
seinen Rippen ist er sicher,
Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher
Und
des Kollegen Magen noch so leer. -
Doch will man Großes in der Kunst erreichen,
Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen.
Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! -
Haustiere, die
so wohlgesittet fühlen,
An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen
Und
schwelgen in behaglichem Geplärr,
Wie jene andern - unten im Parterre:
Der
eine Held kann keinen Schnaps vertragen,
Der andre zweifelt, ob er richtig
liebt,
Den dritten hört ihr an der Welt verzagen,
Fünf Akte lang hört
ihr ihn sich beklagen,
Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt.
Das
wahre Tier, das wilde, schöne Tier,
Das - meine Damen! - sehn
Sie nur bei mir.
Sie sehen den Tiger, der gewohnheitsmäßig,
Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt;
Den Bären,
der, von Anbeginn gefräßig,
Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt;
Sie
sehn den kleinen amüsanten Affen
Aus Langeweile
seine Kraft verpaffen;
Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe,
Drum
kokettiert er frech mit seiner Blöße;
Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel',
Sogar gleich hinterm Vorhang ein Kamel! -
Und sanft schmiegt das
Getier sich mir zu Füßen,
Wenn - er schießt ins Publikum
-
donnernd mein Revolver knallt.
Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt -
Der
Mensch bleibt kalt!
- Sie ehrfurchtsvoll zu grüßen.
Hereinspaziert! - Sie traun sich nicht herein? -
Wohlan, Sie mögen selber
Richter sein!
Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen:
Chamäleone, Schlangen,
Krokodile,
Drachen
und Molche, die in Klüften wohnen.
Gewiß, ich weiß,
Sie lächeln in der Stille
Und glauben mir nicht eine Silbe mehr
-
er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt
He, Aujust! Bring mir unsre
Schlange her!
Ein schmerbäuchiger Arbeiter trägt die Darstellerin der Lulu in ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor dem Tierbändiger nieder.
Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,
Zu locken, zu verführen, zu
vergiften -
Zu morden, ohne daß es einer spürt.
Lulu am Kinn krauend
Mein
süßes Tier, sei ja nur nicht geziert!
Nicht albern, nicht gekünstelt,
nicht verschroben,
Auch wenn die Kritiker dich weniger loben.
Du
hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen
Die Urgestalt des Weibes
zu verstauchen,
Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden
Des Lasters
Kindereinfalt zu verleiden!
Du sollst - drum sprech' ich heute sehr ausführlich
-
Natürlich sprechen und nicht unnatürlich!
Denn erstes Grundgesetz
seit frühster Zeit
In jeder Kunst war Selbstverständlichkeit!
Zum Publikum
Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen,
Doch warten Sie, was später
wird geschehen:
Mit starkem Druck umringelt sie den Tiger;
Er heult und
stöhnt! - Wer bleibt am Ende Sieger?!
-Hopp, Aujust! Marsch! Trag
sie an ihren Platz -
Der Arbeiter nimmt Lulu quer auf die Arme; der Tierbändiger tätschelt ihr die Hüften.
Die süße Unschuld - meinen größten Schatz!
Der Arbeiter trägt Lulu ins Zelt zurück.
Und nun bleibt noch das Beste zu erwähnen:
Mein Schädel zwischen eines
Raubtiers Zähnen.
Hereinspaziert! Das Schauspiel ist nicht neu,
Doch
seine Freude hat man stets dabei.
Ich wag' es, ihm den Rachen aufzureißen,
Und dieses Raubtier wagt nicht zuzubeißen.
So schön es ist, so wild
und buntgefleckt,
Vor meinem Schädel hat das Tier Respekt!
Getrost leg'
ich mein Haupt ihm in den Rachen;
Ein Witz — und meine beiden Schläfen krachen!
Dabei verzieht' ich auf des Auges Blitz;
Mein Leben setz' ich gegen einen Witz;
Die Peitsche werf
ich fort und diese Waffen
Und geb' mich harmlos,
wie mich Gott geschaffen. -
Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt?
- -
Verehrtes Publikum -- Hereinspaziert!!
- Frank Wedekind, Prolog zu Erdgeist (1895/1903)
- Ramón Gómez de la Serna, nach: Fritz Rudolf Fries, Nachwort zu
(cirkus)
Tierbändiger (3)
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