Tierasyl  In dem fensterlosen Zimmer wimmelt es von Hunden und Katzen.

Die Katzen thronen auf den Fächern der Etageren oder kauern im Schuhwerk der Damen Kraquelin, zwischen Geschirr und allerlei Wäschestücken in den feuchten Wandschränken: Floris, Blondchen, La Jolie mit den kranken Augen, Solange, die fast kahl ist, weil eine Megäre sie mit kochendem Wasser verbrüht hat, L'Étrange mit den vier blutroten Tatzen.

Immer reglos im gleichen Winkel sitzt, einer Sphinx gleich, Pyramus, das Windspiel einer morphiumsüchtigen Tänzerin, die vor zehn Jahren gestorben ist; längst ertaubt infolge hohen Alters, klagt es immer noch mit der gleichen gräßlichen Stimme seiner Herrin nach. Die Damen Kraque-lin sagen, es höre sich ja nicht weinen. Ihm gegenüber, in einem anderen Winkel, dem düstersten, neben Maries Sessel liegt mürrisch der Hund der Schäferin Jeanne. Er träumt von den weiten Räumen, wohin die Schäferin ihn mitnahm, möchte der Herde weißer Flecken nachsetzen, die sich im Gelände verlieren: gelähmt, kann er sich nicht von der Stelle rühren. Er denkt noch an Jeannes Hand, die als einzige in seinem Leben ihn zu streicheln verstand, und an die Ziege, die im Winter bei ihm schlief, am Fußende des Bettes, in dem die Alte lag.

Etwas weiter wiegt La Tremblote, eine Bulldogge, die sich niemals am Boden ausstreckt, wie ein Uhrpendel ihren weißen Bauch. Sehen die Damen, daß die Sonne scheint, so führen sie La Tremblote in dieses Licht vor ihrer Türe, in Begleitung eines putzigen Luxusdackels, der kaum faustgroß ist. Den Kindern der Stadt sind die beiden schon aufgefallen. Sie sagen: «Die Bulldogge, weißt du, die sich immer mit einem kleinen Hund amüsiert.» La Tremblote, der niemals warm wird, amüsiert sich niemals, obgleich die Damen zur Zerstreuung ihres «Veits-Tanzes», wie sie sagen, diesen Luxusdackel aufgezogen haben, der wie ein Affe lächelt und sich ziert.

Da ist auch noch Hampelmann, der Pudel, der einen Totenschädel unter einer Seidenschärpe spazierenzuführen scheint - und La Pourrie, über und über von Schwären bedeckt.    - Marcel Jouhandeau, Paul Kraquelon oder Das Zimmer ohne Fenster. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964

 

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