ier,
inneres
Wir sind uns des Tieres in uns bewußt, das in dem Verhältnis wach ist,
als unsere höhere Natur schlummert. Es ist reptilienhaft und sinnlich und kann
vielleicht nicht gänzlich ausgetrieben werden, gleich den Würmern,
welche, selbst während wir leben und gesund sind, unsern Körper bewohnen. Möglicherweise
können wir uns von ihm zurückziehen, aber seine Natur zu ändern vermögen wir
nicht. Ich fürchte, daß es sich einer ganz besonderen Gesundheit erfreut, daß
wir gesund, aber nicht rein zu sein vermögen. Kürzlich hob ich den Unterkiefer
eines Schweines auf, der mit gesunden weißen Zähnen und Hauern besetzt war -
ein Beweis, daß es neben der geistigen auch eine animalische Kraft und Gesundheit
gibt. Dieses Geschöpf verdankte andern Faktoren als der Mäßigkeit und Reinheit
seine Erfolge. »Das, worin der Mensch sich vom Tiere unterscheidet«, sagt Mencius,
»ist etwas ganz Unansehnliches; die gemeine Herde verliert es bald genug; höhere
Menschen bewahren es sich sorgfältig.« Wer weiß, was für ein Leben das Resultat
wäre, wenn wir bis zur Reinheit emporgestiegen
wären? Wenn ich wüßte, daß es einen so weisen Mann gäbe, der mich Reinheit lehren
könnte, ich ginge augenblicklich, ihn zu suchen. »Die Beherrschung unserer Leidenschaften
und der äußeren Sinne unseres Körpers und gute Taten werden von der Veda als
unumgänglich notwendig bezeichnet, wenn die Seele sich Gott nähern soll.«
Und doch vermag der Geist eine Zeitlang das Übergewicht zu behalten, jedes
Glied, jede Funktion des Körpers zu überwachen, und was gröbste Sinnlichkeit
ist, in Reinheit und Weihe zu verwandeln. Die Zeugungskraft,
welche uns, wenn wir ausschweifend sind, verweichlicht
und unrein macht, kräftigt und inspiriert uns, wenn wir enthaltsam sind. Die
Keuschheit ist die Blüte des Menschen, und was man Genius,
Heroismus, Heiligkeit und so weiter nennt,
sind nur die verschiedenen Früchte, welche darauf folgen. Der Mensch fließt
sofort zu Gott, wenn der Kanal der Reinheit offen ist. Abwechselnd feuert uns
unsere Reinheit an und schmettert uns unsere Unreinheit zu Boden. Selig der,
welcher sicher sein kann, daß das Tier in ihm Tag für Tag abstirbt und das Göttliche
sich befestigt. Vielleicht gibt es niemand, der nicht Ursache hätte, sich der
niedrigen, tierischen Natur, an welche er gebunden ist, zu schämen. Ich fürchte,
daß wir nur Götter und Halbgötter von der Art der Faune
und Satyrn sind, bei denen das Göttliche mit dem
Tier verschmolzen ist, Geschöpfe der Lust, und daß
gewissermaßen unser Leben unsere Schande ist. - Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern. Zürich
1979 (zuerst 1854)