Tiber, blonder   Mozziconi betrachtete das glitzernde Wasser des blonden Tibers, wie ihn die Dichter einst genannt hatten. Er hätte gebadet, wenn er hätte schwimmen können.

- Ich kann ja auch tun, als könnte ich schwimmen, sagte Mozziconi. Weil er aber keine Lust hatte, im Tiber zu ertrinken, betrachtete er das glitzernde Wasser etwas genauer und bemerkte, daß tote Mäuse, tote Katzen, tote Hunde und andere tote Tiere darauf schwammen und daß die blonde Farbe des Wassers, das die Dichter besungen hatten, die Farbe des Schlamms und der Abwässer war, die hier aus allen Quartieren in den Fluß flössen. Schlamm gab es schon zur Zeit der antiken römischen Dichter; denn damals gab es die Cloaca maxima, das heißt die größte Kloake der Welt. Aus diesem Grund war das Wasser damals schon gelb, und die alten Römer schrieben Gedichte über den blonden Tiber, aber sie badeten nicht darin. Deshalb entschloß sich Mozziconi, ebenfalls nicht zu baden.

Jetzt gab es viel mehr Kloaken; es gab Hunderte von Abwasserkanälen und folglich war das Wasser des Tibers noch viel schlammiger und gelber, das heißt noch blonder. Wer weiß warum die Dichter trotzdem seit sehr langer Zeit den blonden Tiber in keinem Gedicht mehr erwähnten. Lag das am Wasser oder an den Dichtern?  - Luigi Malerba, Geschichten vom Ufer des Tiber. Frankfurt am Main 1997

 

Tiber Blond

 

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