Thron, leerer  Mit einer einstudiert ehrerbietigen Geste macht mich ein Haushofmeister auf etwas aufmerksam: meine Augen verfolgen ohne Erstaunen, wie sich in der Heide etwas öffnet, das ich als Portal bezeichnen würde, hinter dem eine ehrwürdige Treppe in die Finsternis hinabführt; man fordert mich also auf, in einen Königspalast einzutreten. Ein Schatten bewacht die Majestät der Treppe; freiwillig uninformiert, weiß er nichts von der Erde. Die Haushofmeister warten darauf, daß ich in die Höhlung eindringe, und es ist deutlich, daß sie genau wissen, daß ich eben das tun werde, denn dafür wurden mir diese diskreten aber anspruchsvollen Haushofmeister ja zugewiesen. Auf der ersten Stufe fragt mich ein stuhlförmiger Pförtner zerstreut, was ich denn wolle; nicht ohne Rhetorik, wie sie mir ansteht, erwidere ich, daß ich etwas zu rinden trachte, dessen Existenz ich nicht kenne - etwas Unfruchtbares und Unberührbares, das schläft und träumt und seine eigenen Träume bewohnt, das tot ist und seinen eigenen Tod lebt. Der Pförtner nickt: ich merke, daß ich in der richtigen Weise geantwortet habe - der einzigen, die mich berechtigt, meinen königlichen Abstieg fortzusetzen. Durch leichtes Kopfnicken drücken die Haushofmeister ihre Befriedigung aus. Aber der Pförtner zögert noch: die Zeremonie ist noch nicht beendet. Schwierig, etwas zu finden, das tot ist und seinen eigenen Tod lebt, das träumt und von seinen eigenen Träumen behütet wird. Oh, nicht unmöglich, nicht unmöglich! Der Stuhl - die Karikatur eines Throns - rät mir, durch einen Gang eine steile glitschige Stiege hinabzusteigen. Ich gelange in einen kreisrunden Saal, in dem Figuren wohnen, die an diesem Ort auf meine Ankunft gewartet haben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß eine Feierlichkeit bevorsteht, und daß dieser Raum nur das Vorzimmer des Bankettsaals ist. Ich kann die Figuren, die ein wächserner Nebel beleuchtet, nicht richtig erkennen, könnte sie aber deuten als aus Berechnung oder aus Unvermögen aufgegebene Versuche, menschliche Wesen zu bilden; keine hat ein vollständiges Gesicht; sie verfügen indes über Organe, die ich als Hände bezeichnen müßte. Mit Hilfe dieser unvollkommenen Fleischlichkeiten zeigt mir jemand eine Tür: ich darf also weitergehen. Ein kurzer Durchgang führt mich in einen großen Saal, dessen Hintergrund einen dunstigen leeren Thron beherbergt. Mein Herz schlägt so laut, daß ich meine eigene Stimme nur schreiend hören könnte. Ich betrachte den agonischen, abgenutzten, toten Thron. Stellt er eine Botschaft dar? Ein Herrscher ist nirgends zu sehen - oder ist der Herrscher schon so hinfällig, daß er auf alle kaiserlichen Insignien verzichtet hat? Liegt er in seinem eigenen Blut darnieder - hingestreckt von der Zerstörungswut einer unbekannten oder zufälligen Verschwörung? Oder ist gerade dieses der Herrscher: ein leerer Thron, der zu morsch ist, als daß ihn jemand noch berühren dürfte -ein prekäres Gleichgewicht aus Staub, das nur auf einen menschlichen Lufthauch wartet, um zu zerfallen? Von jenseits eines weiteren Durchgangs höre ich ein Getöse von Wasser. Ein plötzlicher Drang, wahrscheinlich ein Schrecken, befiehlt mir, in jener Richtung weiterzugehen. Ich gelange in eine eisige, von Nebelschimmern durchzogene Grotte. Feierliche nächtliche Wasser betäuben mein Ohr. Ich, der ich Deinen Namen nicht kenne, rufe Dich jetzt. Ich spreche zu der wechselhaften Dunstgestalt, gleichsam Bote und Dolmetscher eines höheren Herrschers. Sie nähert sich und entfernt sich, vermutlich von Winden bewegt, deren Anspielungen ich nicht verstehe; ich erkundige mich, ob es noch etwas anderes gibt hinter diesem Gedampfe über den Wassern. Wenn Du es bist - warum hast Du dann dieses Blut auf den Lippen und Dein Körper schimmert so verwest?

Liebe! Ich erkenne Dich als Modergeruch. - Giorgio Manganelli, Amore. Berlin 1982 (Wagenbach Quartheft 118, zuerst 1981)

 

Thron

 

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