THK    Prairie  stand ein oder zwei Etagen hügelaufwärts halb weggetreten vor einem opulent gerahmlen, goldgeäderten Spiegel, einem in einer langen Reihe solcher Spiegel in einer Damentoilette von betäubender Geschmacklosigkeit, und hatte einen Anfall von THK oder Teenager-Haar-Krise. Während die anderen Vomitonettes sich mit Farbe oder Perücken bchelfen mußten, brauchte Prairie nichts weiter zu tun, als ihr Haar zu bürsten, um normal auszusehen. «Astrein!» hatte Billys taktvoller Kommentar gelautet. «Keiner wird sich nach dir umdrehen.»

Sie starrte in ihr Spiegelbild, in das Gesicht, das immer ein halbes Geheimnis für sie gewesen war, trotz der Fotos von ihrer Mutter, die Zoyd und Sasha ihr gezeigt hatten. Zoyd war in ihrem Gesicht leicht wiederzuentdecken - die Kurve ihres Kinns, der Schwung der Augenbrauen -, und sie beherrschte seit langem den Trick, diese Elemente auszublenden, um in dem, was übrigblieb, das Gesicht ihrer Mutter zu suchen. Wieder machte sie sich über ihr Haar her, mit dner korallenroten Toupierbürste aus Plastik, die eine Freundin für -sie geklaut hatte. Spiegel machten sie nervös, besonders diese hier, die über Marmorwaschbecken mit Armaturen in Form von Meerjungfrauen hingen, in einem Raum, der ausgeleuchtet war wie ein Busbahnhof, die Wände mit goldfarbenem Samt bespannt, welcher irgendeine wappenfförmige Struktur hatte, alle Kanten in Rosa und Creme abgesetzt, in der Mitte die maßstabsgerecht verkleinerte Reproduktion eines römischen Brunnens, versteckte Lautsprecher, aus denen wie das Zirpen von Insekten die leise Berieselungsmusik eines urtlichen UKW-Senders sickerte.

Prairie versuchte, sich das Haar zu einem langen Pony in die Stirn zu kämmen, und ließ den Rest vor ihren Schultern herabhängen. Das war die sicherste Methode - ihre Augen leuchteten jetzt so blau, so blau durch den Pony und die Schatten -, um sich eine Gänsehaut-zu machen, ganz gleich zu welcher Tages- oder Nachtzeit, weil sie sich nämlich nur vorzustellen brauchte, daß das, was sie da sah, der Geist ihrer Mutter war. Und daß er, wenn sie ihn auch nur eine halbe Sekunde zu lang betrachtete, mit den Lidern schlagen würde, während ihre eigenen Augen offen blieben, oder daß er die Lippen bewegen und ihr Dinge sagen würde, von denen sie wußte, daß sie sie nicht hören wollte...

Oder nach denen du dich dein Leben lang gesehnt hast, auch wenn du dich noch immer vor ihnen fürchtest? schien das andere Gesicht zu fragen und zog eine Augenbraue ein kleines bißchen weiter hoch, als Prairie es in ihrem eigenen Gesicht spüren konnte, Plötzlich sah sie hinter sich ein zweites Spiegelbild, eines, das schon eine ganze Weile dagewesen sein mochte, eines, das sie - seltsam - beinah kannte. Sie fuhr herum, und da stand eine echte, lebendige Frau, stand ein bißchen zu nah, groß und blond, mit einem grünen Partykleid, das wohl zu ihrem Haar, nicht aber zu ihrer Haltung paßte, die athletisch war, ja eigentlich sogar wie die eines Kriegers, stand da und sah das Mädchen auf eine geheimnisvoll vertraute, wachsame Art an, als würden sie gleich ein unterbrochenes Gespräch fortsetzen.

Prairie drehte die Bürste herum, so daß der spitze Stiel auf die Frau zeigte. «Irgendwelche Probleme?»   - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015

Krisis

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