heologe,
schweizerischer
Melker war im Emmental aufgewachsen als unehelicher Sohn einer evangelischen
Magd. Sein Vater war ein katholischer Knecht gewesen. Seine Pflegeeltern, die
er als Waisenkind lange als seine echten Eltern betrachtet hatte, waren Säufer
gewesen, aber sie hatten ihn nie verprügelt, sondern nur einander, so sehr,
daß ihnen die Kraft fehlte, ihn auch noch zu verprügeln; nie mehr im Leben war
er seither so glücklich gewesen wie in jenen Nächten, wo die beiden sich blutig
geschlagen hatten, das Gefühl nichts zu besitzen und nichts zu sein, bloß in
Sicherheit zu sein. Dann nahm sich der Dorfpfarrer seiner an. Er war der einzige,
der während der Kinderlehre und des Konfirmandenunterrichts nicht Unfug trieb
oder einschlief. Der Dorfpfarrer schickte ihn nach Basel. Er wurde in der Pilgermissionsanstalt
Sankt Chrischona als Missionar ausgebildet, aber
aus Furcht, die Heiden könnten vor ihm erschrecken, nicht auf diese losgelassen.
Doch Moses Melker hatte andere Heiden im Sinn als die Pilgermission. Er war
durch die Erkenntnis erleuchtet worden, das Bibelwort »selig sind, die da arm
am Geiste sind, denn das Himmelreich ist ihr« bedeute, nur der sei glücklich,
der materiell arm sei, weil ihn der Große Alte (womit er den Gott mit Bart meinte)
zu dieser Armut bestimmt habe, wogegen nur der Reiche der Gnade Gottes bedürfe,
um glücklich zu werden. Moses Melker beschloß, die Reichen zu bekehren. Seine
Bücher Der rätselhafte Nazarener, Himmlische Hölle, Der positive Tod, Die
tapfere Sünde und vor allem seine Theologie des Reichtums erregten
Aufsehen. Während Barth ihn ablehnte und Bultmann schrieb, es
sei ihm herzlich gleichgültig, aus welchen Gründen er in den Himmel komme, wenn
er nur komme, entdeckten einige in Melkers Theologie des Reichtums eine Theologie
der Armut, des Unerbittlichen nämlich, die Erkenntnis, daß die Gnade durch nichts
berechtigt werden könne, mache ihre Unerbittlichkeit aus. Nur der Verworfenste
könne der Gnade voll und ganz teilhaftig werden (Cajetan Sensemann S. J. zog
daraus die absonderlichsten Schlüsse über das Vorleben der Jungfrau Maria und
wurde exkommuniziert), indem Melker die Armut aus der Gnade nehme, aus der Unberechenbarkeit
ins Berechenbare, Berechtigte transponiere, werde sie an sich selig, geheiligt,
werde der Arme als der Erlöste erkannt, damit aber als der allein Mündige, zur
Revolution Berechtigte, so daß Moses Melkers Theologie sich gleichsam wie die
Philosophie Hegels in einen rechten und einen linken Flügel aufspaltete.
Melker nahm dazu nicht Stellung. Seine Theologie stellte ein Brett über einen
Abgrund dar. Doch weil aus dem Abgrund der Schweiß dampfte, den der Clinch verursachte,
in welchem seine enorme Häßlichkeit mit seiner monströsen Sinnlichkeit lag,
hatte er noch ein zweites Brett über den Abgrund nötig: seine an die Marienverehrung
der Päpste gemahnende Vergötterung seiner zwei verstorbenen Ehefrauen Emilie
Lauber und Ottilie Räuchlin und seiner lebenden Gattin Cäcilie Räuchlin, der
Schwester der Verstorbenen. Er verdankte den dreien die feudale Villa, in welcher
er im Emmental ob Grienwil hauste. Die Toten waren ebenso reich wie häßlich
gewesen, die dritte reicher und häßlicher als ihre Vorgängerinnen; die erste
Besitzerin einer Gummiwarenfabrik, die zweite Mitinhaberin eines Zigarrenkonzerns,
die dritte nach dem Tod ihrer Schwester Alleininhaberin. Seine erste brach sich
das Genick, als sie in einer Eiche herumkletternd behauptete, sie sei der Erzengel
Michael, und die zweite ertrank auf der Hochzeitsreise im Nil. Doch war Moses
Melker seines erworbenen Reichtums nicht froh, wer heiratet schon aus reiner
Liebe hintereinander gleich drei mächtige, schwerreiche, aber häßliche Frauen.
Er fühlte das blinzelnde Mißtrauen, ließ er sich mit seinem Rolls-Royce vorfahren,
um den Verdacht zu widerlegen, erklärte sich Moses Melker als mittellos, ja
nannte sich selber den Armen Moses. Sein angeblicher Reichtum gehöre immer noch
teils seinen zwei gottseligen Witwen, wie er sich ausdrückte, da die zwei Verstorbenen
im Himmel gleichsam seine Witwen seien, teils seiner nicht minder geliebten,
noch lebenden Cäcilie. Sogar was er von seinen Büchern erhalte, falle seinen
Gattinnen zu, da er ohne ihr Geld seine Wälzer nie hatte schreiben können. Der
Große Alte sah genauer. Bretter über einen Abgrund stürzen unvermutet ein. Moses
Melker konnte sich nicht vorstellen, daß gerade häßliche Männer auf die schönsten
Frauen erotisch zu wirken vermögen. Sein sexuelles Minderwertigkeitsgefühl war
so enorm, daß ihn sogar die Eroberung gleich zweier Millionärinnen deprimierte,
die ebenso häßlich waren wie er und sich mit Leichtigkeit mit schönen Männern
hätten eindecken können. Denn kaum hatte er eine erobert, begann es im Abgrund
wieder zu brodeln. Finsterer Verdacht stieg auf, Emilie Lauber habe ihn nicht
seiner männlichen Vorzüge, seiner sexuellen Gier wegen geheiratet, die in ihm
wütete, sondern seine religiöse Hilfskonstruktion habe sie verführt, womit er
aus dem Sumpf seiner Komplexe zu klettern versuchte. Daß sie sich dann noch
einbildete, der Erzengel Michael zu sein, mußte ihn zur Raserei bringen. Hielt
der Große Alte Moses Melkers Beihilfe am Absturz von einer Eiche seiner ersten
für wahrscheinlich, sei es, daß er ihr nachgeklettert war, sei es, daß er den
Ast, auf dem sie zu sitzen pflegte, angesagt hatte (wer forscht bei einem Gottesmann
schon nach), so war der Große Alte sicher, daß Melker seine zweite Gattin persönlich
in den Nil gestoßen hatte. - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich
1998
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