extversimpelung
Vielleicht ist es nicht nutzlos, eine andere Ausdeutung der Dunkelheit des Textes
zu geben; daß dieser nämlich nicht wegen der Komplexheit des Diskurses oder
der Materie so dunkel sei, sondern vielmehr durch seine ländlichstumme Simpelhaftigkeit.
Es gibt Leute, die behaupten, daß der Text nicht immer so gewesen sei, wie er
uns heute erscheint; daß er vielmehr in anderen Zeiten einen unerhörten Prunk
an prägnanten und blitzhaft erhellenden Präpositionen besessen habe, Milizen
von Mischmetallen, abgestimmte Donnergetöne und Melismen von vieldeutiger Sinnverflechtung;
aber der Autor - denn die Anhänger dieser These denken in grobkörnigen psycho-theologischen
Begriffen - habe, da er sich mißverstanden oder vom grobschlächtigen und unkultivierten
Geist der Adressaten nicht beachtet fühlte, den Text nach und nach vereinfacht;
er habe zuerst die rhetorische Koloratur gedämpft, indem er die schönen Drapierungen
der Metaphern fortnahm, habe die Adjektivfeuerwerke gelöscht, habe die beschreibenden
Wandteppiche eingerollt, die Instrumente verringert, indem er nach und nach
die Klänge dämpfte, indem er aus dem wundervollen Hunderterorchester des Anfangs
gewisperte Atempausen machte, die dem ärgerlichsten und unruhigsten Schlaf freundschaftlich
förderlich sind. Und nicht genug mit soviel Versaumseligung, habe jener Autor
sich auch noch daran gemacht, den Text zu versimpeln und um ihn unverständlich
zu machen für erdgebundene Geister, ihn nur noch zu wispern, ihn mit Spelzen
zu bespeicheln, ihn immer lebloser zu machen, so daß etwas daraus entstand,
was, wie sie sagen, >absichtliches Schweigen< heißt, zusammengesetzt aus
immer vereinfachteren und entbeinteren Präpositionen, immer mehr von Pausen
durchsetzt, unserer geistigen Bequemlichkeit zuliebe,
und schließlich zu völliger Zerstörung zerkäut. Abgesehen von der bereits bemerkten
plump spiritualistischen Basis scheint sich dieser Ausdeutung, der consensus
gentium entgegenzusetzen, der darin Dinge großer Bedeutsamkeit und in bedrohlicher
Gänze zu erblicken versucht. - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt
am Main 1988 (zuerst 1969)
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