Tempelraub  Glücklich war damals der englische Reisende,  Hr. Clarke, der ohne die geringste Kenntniß des Arabischen, und nur den ihm von mir mitgetheilten arabischen Titel (Elf lejal we leilef) auf der Straße laut ausrufend, durch den günstigsten Zufall auf einen Mann stieß, der ihm das Werk zum Kaufe anbot. Herr Clarke bezweifelte mit Recht die Echtheit oder Vollständigkeit einer auf so sonderbare Weise gekauften Handschrift, und erhielt erst, nachdem ich das ganze Werk sorgfältig durchgesehen hatte, durch mich die Überzeugung von dem Werthe desselben, worauf er den Kauf abschloß. Leider gieng dieser auf so glückliche Weise erworbene Schatz auf eine eben so unglückliche zu Grunde, indem derselbe mit einer Ladung von Lord Elgins Tempelraub Schiffbruch litt, und, wiewohl noch gerettet, doch durch die Fluth ganz verwüstet und unleserlich geworden war. - (101)

Tempelraub (2)  Furcht verteidigt Heiligtümer besser als Mauern. Mâtho erwartete bei jedem Schritt zu sterben.

Ein Lichtschimmer zitterte im Dunkel des Hintergrundes. Die beiden gingen darauf zu. Es war eine Lampe, die in einer Muschel brannte, auf dem Sockel einer Statue, die mit der Mütze der Kabiren bekleidet war. Ihr langes blaues Gewand war mit kleinen Scheiben aus Diamant besät, und Ketten, die bis unter die Steinplatten reichten, befestigten sie mit den Fersen an dem Fußboden. Mätho unterdrückte einen Schrei. Er stammelte. »Ach, da ist sie! da ist sie!« Spen'dms nahm die Lampe, um zu leuchten.

»Wie gottlos bist du!« murmelte Mâtho. Aber dennoch folgte er ihm.

Das Gemach, in das sie nun eintraten, enthielt nichts als ein schwarzes Gemälde, das wiederum eine Frau darstellte. Ihre Beine reichten bis zur Höhe der Wand. Ihr Leib dehnte sich über die ganze Decke hin. Von ihrem Nabel hing an einem Faden ein ungeheures Ei herab, und auf der anderen Wand hing der Körper herab, mit dem Kopf nach unten, und die ausgespreizten Finger berührten mit den Spitzen den Fußboden.

Um weiterzuschreiten, hoben sie einen Vorhang empor. Aber der Wind blies, und ihr Licht erlosch.

Nun irrten sie in den labyrinthischen Räumen des Gebäudes herum. Plötzlich fühlten sie unter ihren Füßen etwas selsam Weiches. Funken blitzten und sprühten, sie gingen wie im Feuer. Spendius betastete den Fußboden und erkannte, daß er sorgfältig mit Luchsfellen bedeckt war; dann schien es ihnen, als ob ein großer nasser Strick, kalt und klebrig, zwischen ihren Füßen hinglitt. Spalten in den Mauern ließen schmale weiße Streifen Lichts durchdringen.

Sie schritten bei diesem Dämmerdunkel vorwärts. Endlich unterschieden sie eine große schwarze Schlange. Sie schoß rasch vorbei und verschwand.

»Fliehen wir!« schrie Mâtho. »Das ist sie ... ich fühle sie ... sie kommt.«

»Nein«, antwortete Spendius, »der Tempel ist leer.«

Ein blendendes Licht zwang sie, die Augen niederzuschlagen. Jetzt bemerkten sie rings auf den Wänden eine Menge Tiere, abgemergelt, mit aufgesperrten Maulern, die Krallen gespreizt, in unheimlichem, grausigem Durcheinander dargestellt. Schlangen hatten Füße, Stiere Flügel. Fische mit Menschenköpfen fraßen Früchte, aus den Kinnladen der Krokodile blühten Blumen hervor, und Elefanten mit aufgerichteten Rüsseln erhoben sich in die freie Luft, stolz wie Adler. Mit gräßlicher Kraftfülle reckten sie ihre unvollständigen und vervielfältigten Glieder in unnatürlicher Weise. Es war, als ob sie mit vorgestreckter Zunge ihre Seele ausspeien wollten; alle diese Gestalten machten den Eindruck, als sei die Büchse der Urkeime plötzlich geborsten und als ob sich ihr Inhalt auf die Wände des Saales ergossen hätte.

Zwölf Kugeln von blauem Kristall standen im Kreise ringsherum, von tigerähnlichen Ungeheuern getragen. Ihre Augäpfel standen hervor wie bei den Schnecken, und indem sie ihre kurzen Rücken beugten, wendeten sie sich nach dem Hintergrunde, wo auf einem Elfenbeinwagen die göttliche Rabbetna thronte, die Allfruchtbare, die zuletzt Erschaffene.

Schuppen, Federn, Blumen und Vögel reichten bis zu ihrem Leibe. Als Ohrringe trug sie silberne Zimbeln, die an ihre Wangen schlugen. Ihre großen, starren Augen blickten sie an, und ein glänzender Stein, auf der Stirn in ein unzüchtiges Symbol gefaßt, erleuchtete den ganzen Saal und widerstrahlte über der Tür in kupfernen Spiegeln.

Mâtho tat einen Schritt vorwärts, aber eine Platte wich unter seinen Füßen, und die Kugeln begannen sich zu drehen, die Ungeheuer zu brüllen; eine Musik erhob sich, melodisch und rauschend, wie die Harmonie der Planeten. Tanits wilde Seele brauste durch den Raum. Mätho hatte das Gefühl, als erhebe sie sich, als recke sie sich durch die hohe Halle, als breite sie ihre Arme weit aus. Auf einmal schlössen die Ungeheuer ihre Rachen, und die Kristallkugeln drehten sich nicht mehr. Dann zogen traurige Töne eine Zeitlang durchrdie Luft und erstarben endlich.

»Und der Schleier?« sagte Spendius.

Nirgends bemerkte man ihn. Wo war er denn? Wie konnte man ihn entdecken? Und wenn die Priester ihn verborgen hätten! Mâtho empfand einen Stich im Herzen, Verrat seines Glaubens.

»Hierher!« flüsterte Spendius. Eine Eingebung leitete ihn. Er zog Mâtho hinter den Wagen der Tanit, wo eine Spalte, eine Spanne breit, die Mauer von oben bis unten durchschnitt.

Nun drangen sie in einen kleinen, ganz runden Saal, der so hoch war, daß er dem Innern einer Säule glich. In der Mitte stand ein großer, schwarzer Stein, halbrund wie ein Tamburin. Flammen brannten unter ihm; ein Kegel von Ebenholz erhob sich im Hintergrund und trug einen Kopf und zwei Arme.

Dort schwebte etwas wie eine Wolke, in der Sterne erglänzten; Figuren traten aus der Tiefe ihrer Schatten hervor: Eschmun mit den Kabiren, einige der schon gesehenen Ungeheuer, die geheiligten Tiere der Babylonier, dann andere, die ihnen unbekannt waren. Dieses Etwas breitete sich aus wie ein Mantel unter dem Gesicht des Götzenbildes. Seine Zipfel waren an der Wand hochgezogen und befestigt. Es schillerte blau wie die Nacht, gelb wie der Morgen, purpurn wie die Sonne, mannigfaltig, durchsichtig, glänzend, zart. Das war der Mantel der Göttin, der heilige Zaï'mph, den niemand anschauen durfte. Beide erbleichten. »Nimm ihn!« gebot endlich Mâtho.

Spendius zögerte nicht, und indem er sich auf das Götzenbild stützte, hakte er den Schleier ab, der zur Erde fiel. Mâtho legte die Hand darauf; dann steckte er den Kopf durch den Halsausschnitt, wickelte ihn um den Leib und spreizte die Arme auseinander, um ihn besser zu betrachten.

»Gehen wir!« sagte Spendius.

Mâtho blieb keuchend stehen, die Augen auf den Boden geheftet. Auf einmal schrie er:

»Aber wenn ich nun zu ihr ginge! Ihre Schönheit flößt mir keine Furcht mehr ein! Wie könnte sie mir widerstehen? Jetzt bin ich mehr als ein Mensch. Ich könnte Flammen durchschreiten, auf dem Meere wandeln. Ein Aufschwung reißt mich fort! Salammbô! Salammbô! Ich bin dein Herr!«

Seine Stimme donnerte. Er erschien Spendius von höherer und verwandelter Gestalt.

Ein Geräusch von Schritten nahte sich, eine Tür ging auf, und ein Mann erschien, ein Priester mit spitzer Mütze und aufgerissenen Augen. Ehe er eine Bewegung machen konnte, hatte sich Spendius auf ihn gestürzt und, ihn mit seinen Armen umschließend, ihm beiden Dolche in die Seiten gestoßen. Der Kopf schlug auf die Steinplatten.

Eine Weile standen sie unbeweglich, wie der Tote dalag, und lauschten. Man hörte nichts als das Säuseln des Windes durch die halbgeöffnete Tür.

Sie führte auf einen engen Gang. Spendius wagte sich hinein; Mätho folgte, und sie befanden sich sogleich in der dritten Einzäunung, zwischen den Seitenhallen, wo die Wohnungen der Priester waren.

Hinter den Zellen mußten sie einen näheren Rückweg finden. Sie eilten.

Spendius wusch sich, an dem Rand des Brunnens kauernd, seine blutigen Hände. Die Frauen schliefen; der Weinberg von Smaragd glänzte. Sie setzten ihren Weg fort.

Aber unter den Bäumen lief jemand hinter ihnen her, und Mätho, der den Schleier trug, fühlte, daß ihn jemand von unten ganz leise zog. Es war ein großer Pavian, einer von denen, die frei im Vorhofe des Tempels lebten. Er klammerte sich an den Mantel, als ob er wisse, daß ein Diebstahl geschehen war. Doch wagten sie nicht, ihn zu schlagen, in der Furcht, sein Geschrei zu verdoppeln. Plötzlich beruhigte sich sein Zorn, und er trabte neben ihnen her, seinen Körper wiegend, seine großen Arme herabhängend. Dann schwang er sich bei dem Gitter mit einem Satz in einen Palmbaum.

Als sie aus dem letzten Vorhof getreten waren, wandten sie sich nach dem Palast des Hamilkar, da Spendius begriff, daß es erfolglos wäre, Mâtho davon abbringen zu wollen.

Sie gingen durch die Gerbergasse, über den Muthumbal-Platz, den Kräutermarkt und den Kreuzweg von Kynasyn. An der Ecke einer Mauer wich ein Mann zurück, erschreckt über das glänzende Ding, das die Dunkelheit durchfunkelte.

»Verbirg den Zaïmph!« sagte Spendius.

Andere Leute begegneten ihnen, ohne daß sie von ihnen bemerkt wurden.  - Gustave Flaubert, Salammbô. Köln 2000 (zuerst 1862)

Tempelraub (3)  Dionysios machte es Vergnügen, bei seinen zahllosen Tempclräubereien auch noch Witze zu reißen. Als er das Heiligtum der Proserpina in Lokroi geplündert hatte und seine Flotte mit günstigem Wind übers Meer fuhr, sagte er lachend zu seinen Freunden: »Seht ihr, wie glückliche Fahrt die Unsterblichen den Religionsfrevlern gewähren?« Dem Olympischen Zeus nahm er seinen schweren goldenen Umhang ab, womit ihn der Tyrann Gelon aus der Karthagerbeute geschmückt hatte. Er gab ihm dafür einen Wollmantel und erklärte, im Sommer sei ein goldener nur eine Last, im Winter aber eiskalt, einer aus Wolle dagegen passe viel besser zu jeder Jahreszeit.

Ebenso ließ er dem Asklepios zu Epidauros seinen goldenen Bart abnehmen, weil er es unangebracht fand, daß man seinen Vater Apollon bartlos, ihn selbst aber bärtig sehe.

Auch die silbernen und goldenen Tische schaffte er aus den Tempeln fort, und weil auf ihnen nach griechischem Brauch die Worte standen: den gütigen Göttern, erklärte er, er nehme nur die Güte der Götter in Anspruch.

Desgleichen nahm er sich die goldenen Bilder von Siegesgöttinnen, Opferschalen und Kränze, die die Götterbilder in ihren ausgestreckten Händen hielten, und sagte, er stehle sie nicht, nein, er nehme sie in Empfang, denn es sei ja wohl dumm, wenn man von den Göttern zwar gute Gaben erbitte, sie aber nicht nehme, wenn sie einem hingehalten würden.   -  Valerius Maximus, nach (gsv)

 

Tempelschänder Räuber

 

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