aufe  Der Schulmeister hieß Osborne O'Loonassa. Er war dunkel, dürr und groß und ungesund und trug einen scharfen, sauren Ausdruck auf dem Gesicht, dessen Knochen sich unter der gelben Haut abzeichneten. Eine grimme Wut, so dauerhaft wie sein Haupthaar, stand auf seiner Stirn, und um andere Menschen war er nicht für ein Jota besorgt.

Wir alle versammelten uns im Schulhaus, einer kleinen, unfreundlichen Hütte, in der der Regen die Wände herunterrann und in der alles weich und klamm war. Wir alle saßen auf Bänken, ohne je ein Wort oder Geräusch zu wagen, da wir in der Furcht des Schulmeisters lebten. Er ließ den giftigen Blick über den Raum schweifen, und als der Blick auf mir haften blieb, trat ein jähes Leuchten in seine Augen. Beim Donner! wie wenig war dieser Blick mir angenehm, während diese beiden Augen mich ausforschten. Nach geraumer Zeit richtete er einen langen gelben Finger auf mich und sagte:

- Phwat is yer nam?

Ich verstand nicht, was er sagte, noch verstand ich irgendeine andere Art der Rede, derer man sich in ausländischen Weltgegenden bedient, denn mir stand nur das Gaelische als Ausdrucksmittel und Schutz gegen die Unbilden des Lebens zu Gebote. Ich konnte ihn nur, stumm vor Furcht, anstarren. Dann sah ich, wie ihn ein gewaltiger Wutanfall überkam, der sich - genau wie eine Regenwolke - mählich verdichtete. Angstvoll sah ich die anderen Buben an. Hinter meinem Rücken hörte ich ein Geflüster:

- Deinen Namen will er wissen! Mein Herz tat vor Freude über diesen Beistand einen Sprung, und ich war diesem meinem Souffleur dankbar. Ich blickte den Schulmeister höflich an und antwortete ihm:

- Bonaparte, Sohn des Michelangelo, des Sohnes des Peter, des Sohnes des Owen, des Sohnes der Sarah, der Tochter des Thomas, der Enkelin der zu John gehörigen Mary, Enkelin des James, des Sohnes von Dermot. ... ,

Bevor ich meinen Namen noch geäußert - oder zur Hälfte geäußert - hatte, entrang sich dem Schulmeister ein rasendes Gebell, und er winkte mich mit dem Finger heran. Als ich ihn erreichte, hatte er ein Ruder ergriffen.

In diesem Stadium hatte ihn der Zorn wie eine Flutwelle überschwemmt, und er hielt das Ruder in geschäftsmäßiger Manier mit beiden Händen umklammert. Er schwang es hoch über die Schulter und brachte es, indem es laut durch die Luft flirrte, hart auf mich herunter, mir dergestalt einen vernichtenden Hieb auf den Schädel beibringend. Die Sinne schwanden mir von dem Schlag, doch bevor ich völlig bewußtlos war, hörte ich ihn kreischen:

- Yer nam, sagte er, is Jams O'Donnell! Jams O'Donnell? Diese zwei Wörter sangen mir in den Ohren, als das Gefühl in mich zurückkehrte. Ich fand mich seitlich auf dem Fußboden liegend wieder, meine Breeches, mein Haar und meine gesamte Person mit den Strömen von Blut gesättigt, das aus dem Spalt floß, den das Ruder in meinem Schädel verursacht hatte. Als meine Augen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, hatte sich ein anderer Junge erhoben und wurde nach seinem Namen gefragt. Es war offenkundig, daß diesem Kind jeder Scharfsinn abging und daß die Prügel, die ich soeben bezogen hatte, ihm nicht zur guten, nützlichen Lehre gereicht hatten, denn er antwortete dem Schulmeister, indem er seinen normalen Namen angab, so, wie ich es getan hatte. Wieder schwang der Schulmeister das Ruder, das er gepackt hielt, und er hielt nicht inne, bis er wieder verschwenderisch Blut vergossen und den Jungen bewußtlos auf den Fußboden niedergestreckt hatte, ein blutbeflecktes Bündel. Und während er prügelte, schrie der Schulmeister wieder:

- Yer nam is Jams O'Donnell! Auf diese Weise fuhr er fort, bis er jedes Geschöpf in der Schule niedergeschlagen und Jams O'Donnell getauft hatte. An jenem Tage blieb kein junger Schädel in der ganzen Gegend ungespalten. Natürlich waren viele gegen Nachmittag unfähig zu gehen und wurden von Verwandten nach Hause transportiert. Besonders bedauerlich war das für jene, die noch am Abend nach Aran zurückschwimmen mußten und seit dem frühen Morgen ohne einen Bissen Nahrung oder einen Mundvoll Milch geblieben waren. - Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf. Eine arge Geschichte vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen. Aus dem Irischen ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503, zuerst 1941)

Taufe (2) Im Park von Whitchurch empfand Pnin, was er schon am 10. August 1942 und am 15. Februar (sein Geburtstag) 1937 und am 18. Mai 1929 und am 4. Juli 1920 empfunden hatte - daß der scheußliche Automat - sein  Herz -  den er beherbergte, ein eigenes Bewußtsein entwickelt hatte und nicht nur unflätig am Leben war, sondern ihm Pein und Panik verursachte. Er preßte seinen armen kahlen Kopf gegen die steinerne Lehne der Bank und rief sich all die früheren Anlässe einer ähnlichen Versehrung und Verzweiflung in Erinnerung. Konnte es diesmal eine Lungenentzündung sein? Vor ein paar Tagen hatte er in einem jener herzhaften amerikanischen Durchzüge, die ein Gastgeber seinen Gästen nach der zweiten Cocktailrunde angedeihen läßt, bis ins Mark gefroren. Und plötzlich fühlte Pnin (war er im Sterben?), wie er in die eigene Kindheit zurückglitt. Dieser Empfindung waren retrospektive Einzelheiten von einer Schärfe eigen, die als das dramatische Privileg Ertrinkender besonders in der ehemaligen russischen Marine gilt - ein Erstickungsphänomen, das ein Veteran der Psychoanalyse, dessen Name mir entfallen ist, als das unbewußt evozierte Trauma der eigenen Taufe erklärt hat, welches die zwischen dem ersten und dem letzten Eintauchen liegenden Erinnerungen zum Explodieren bringe.  - Vladimir Nabokov, Pnin. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1957)

Taufe (3) Sie entdeckte eine Frau am Himmel. Die Frau kam näher, überflog mit einem Besen den Fluß Zschopau, an dem die Gemeinde Plaue gelegen war, und landete auf der Uferstraße. Vorm Haus Nummer 11, in dem Olgas Eltern Stube, Küche und Kammer gemietet hatten. Der Rock der ortsfremden Frau war rot und so weit, daß der Wind Zipfel aus ihm herauswehen konnte wie Flammenzungen. Als Selma ihre Tochter zum Fenster rufen wollte, um ihr die seltsame Erscheinung zu zeigen, stand die Frau mit dem Besen bereits vor dem Wäschekorb. Sie beugte sich über den Säugling.

»Wie soll die schöne Amanda denn heißen?« fragte sie, ohne ihre Stellung zu ändern.

»Amanda Laura«, antworteten Selma und Olga unwillkürlich. Und sie hatten sich doch eben noch auf die Namen Laura Waltraud geeinigt. Die Frau richtete sich gerade, setzte eine Papierkrone auf ihren Kopf, hob beide Hände und sprach: »Sejelamur«.

»Oh liebster Gott«, flüsterte Selma.  - Irmtraud Morgner, Amanda. Ein Hexenroman. Frankfurt am Main 1984 (SL 529, zuerst 1983)

Taufe (4) Ich zählte zehn Jahre, als mein Vater mich und meine älteren Geschwister in Frauenprießnitz in Thüringen taufen ließ. Bei dieser Zeremonie gebrauchte der Pastor eine Art Sahnenkännchen. Über dieses Kännchen und über den ungewöhnlich tief herabhängenden Hosenboden des Küsters brach ich in ein nicht zu unterdrückendes Lachen aus. - Joachim Ringelnatz, Mein Leben bis zum Kriege. Reinbek bei Hamburg 1972 (zuerst 1931)

Taufe (5)  Ein paar Tage nach meiner Rückkehr schrieb mir André sehr feinfühlig nach Paris, dass wir uns alle den Tripper geholt hätten. Meine Mutter hatte den Brief geöffnet, sie schickte mich zum Arzt und gab mir Hausarrest. Doch nachdem sich meine Eltern nun vorstellen konnten, was ich im Bett trieb, ertrug ich aus einer Scham heraus, die extrem hartnäckig geworden war, das Zusammenleben mit ihnen nicht mehr. Ich bin abgehauen, sie haben mich wieder eingefangen. Irgendwann ging ich dann endgültig von zu Hause fort und zog zu Claude. Der Tripper war meine Taufe; danach lebte ich jahrelang in Angst vor diesem Brennen, das mir jedoch nie mehr zu sein schien als ein Erkennungszeichen, das gemeinsame Schicksal all jener, die eben viel vögeln. - Catherine Millet, Das sexuelle Leben der Catherine M. München 2001

Taufe (6)

Taufe (7)

Namengebung Sakrament

 

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