Das Taschentuch war nur zur Sicherheit da, im allgemeinen spritzte sein Samen auf die Seiten des Schnellhefters: auf die Gleichungen zweiten Grades, auf die schematische Darstellung von Insekten, auf die Kohlenproduktion der UdSSR.
Das Mädchen las weiter in ihrer Zeitschrift.
- Michel
Houellebecq
,
Elementarteilchen. München 2001 (zuerst 1998)
-
Guillaume Apollinaire am 25. Januar 1915 an "Lou", nach (
apol
)
Taschentuch (3) Sie hatte eine ungewöhnlich schöne Figur, doch ihre Augen blickten unruhig und stechend.
»Was für ein Tuch?« fragte Margarita.
»Ihr ist eine Kammerzofe beigegeben«, erklärte Korowjew, »die legt ihr schon seit dreißig Jahren Nacht für Nacht ein Taschentuch auf den Tisch. Sobald sie aufwacht, sieht sie das Tuch vor sich liegen. Sie hat es schon im Ofen verbrannt und in den Fluß geworfen, aber nichts hilft.«
»Was denn für ein Tuch?« flüsterte Margarita, wobei sie die Hand hob und senkte.
»Es ist ein Taschentuch mit blauem Saum. Die Sache ist die, daß sie in einem Kaffeehaus bedienstet war und der Prinzipal sie eines Tages in den Vorratsraum rief. Neun Monate später gebar sie einen Knaben, trug ihn in den Wald, stopfte ihm das Tuch in den Mund und grub ihn ein. Vor Gericht sagte sie, sie habe nicht gewußt, wie sie das Kind ernähren solle.«
»Und wo ist der Besitzer des Kaffeehauses?«
»Königin«, knarrte plötzlich von unten der Kater, »gestattet mir eine Frage:
Was hat der Besitzer damit zu tun? - (
meist
)
Taschentuch (4)
Taschentuch (5) Er blickte sie an: Augen des alten Mannes, hinter Brillengläsern vergrößert und doch für immer ausgelaufen, unwiederherstellbar wie Eier, bis man glaubte, sie könnten unmöglich etwas so Neues wie mich und Everbe erfassen und festhalten.
»Ja«, sagte Everbe. »Was ist?«
»Wenn Sie vielleicht ein Taschentuch übrig hätten oder dergleichen...« Er sagte: »Ja, fünfunddreißig Jahre. Ich hatte mal eins, als ich ein junger Mann war, vor dreißig, fünfunddreißig Jahren. Dann habe ich geheiratet, und es...« Er sagte: »Ja, fünfunddreißig Jahre.«
»Oh«, sagte Everbe. Sie drehte uns den Rücken zu und bückte sich; ihre Röcke
raschelten; es dauerte nicht lange; sie raschelten wieder, und sie drehte sich
zu uns um. »Hier«, sagte sie. Es war ein Strumpfband. -
(spit)
Taschentuch (6)
Taschentuch (7) Als unterer Sekundaner auf Besuch, wurde
er in der Tanz- und Schulstube seines Vaters am Morgen gegen 10 Uhr ordentlich
verliebt. Eine solche Faschinglustbarkeit -
trautes Schulmeisterlein, wo denkst du hin? - Aber er dachte an nichts hin als
zu Justina, die ich selten oder niemals wie die Auenthaler Justel nennen werde.
Da der Alumnus unter dem Tanzen (wenige Gymnasiasten hätten mitgetanzt, aber
Wutz war nie stolz und immer eitel) den Augenblick weghatte, was - ihn nicht
einmal eingerechnet - an der Justel wäre, daß sie ein hübsches gelenkiges Ding
und schon im Briefschreiben und in der Regeldetri in Brüchen und die Patin der
Frau Seniorin und in einem Alter von 15 Jahren und nur als eine Gast-Tänzerin
mit in der Stube sei: so tat der Gast-Tänzer seines Orts, was in solchen Fällen
zu tun ist; er wurde, wie gesagt, verliebt - schon beim ersten Schleifer flogs
wie Fieberhitze an ihn - unter dem Ordnen zum zweiten, wo er stillstehend die
warme Inlage seiner rechten Hand bedachte und befühlte, stiegs unverhältnismäßig
- er tanzte sich augenscheinlich in die Liebe und in ihre Garne hinein. - Als
sie noch dazu die roten Haubenbänder auseinanderfallen und sie ungemein nachlässig
um den nackten Hals zurückflattern ließ: so vernahm er die Baßgeige nicht mehr
- und als sie endlich gar mit einem roten Schnupftuch sich Kühlung vorwedelte
und es hinter und vor ihm fliegen ließ: so war ihm nicht mehr zu helfen, und
hatten die vier großen und die zwölf kleinen Propheten zum Fenster hineingepredigt.
Denn einem Schnupftuch in einer weiblichen Hand erlag er stets auf der Stelle
ohne weitere Gegenwehr, wie der Löwe dem gedrehten Wagenrade und der Elefant
der Maus. Dorfkoketten machen sich aus dem Schnupftuch die nämliche Feldschlange
und Kriegmaschine, die sich die Stadtkoketten aus dem Fächer machen; aber die
Wellen eines Tuchs sind gefälliger als das knackende Truthahns-Radschlagen der
bunten Streitkolbe des Fächers. - Jean Paul, Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal.
Eine Art Idylle