aormina
»Taormina ist die Stadt der Ungeheuer«,
sagte er und steckte seinen Priem, den er lange zwischen den Handflächen
geknetet hatte und der die ganze Nacht, ja bis zum Abend des folgenden
Tages ausreichen mußte, in den Mund. »Es ist die Stadt der Seeungeheuer,
wie du sie lebendig in Neapel im Aquarium und
überall anderswo auf der Welt in den Jahrmarktsbuden sehen kannst, wo die
kleinen tot in Gefäßen mit Gallert oder getrocknet, die größeren aber auf
einem Bett aus Tang ausgestellt werden,hinter einer Glasscheibe, auf der
steht: Berühren verboten! In Taormina gibt es keine Weinkeller. Bei uns
breitet sich unter jedem Haus eine unterirdische Grotte, die erfüllt ist
vom Hin und Her und vom Rauschen und vom Gebrüll der Wogen. Diese Grotten
sind tief. Von altersher wirft man dort die kleinen Kinder hinein, die
zur Welt kommen. Diejenigen, die nicht schwimmen können, werden von den
Muränen aufgefressen. Andere retten sich aufs freie Meer hinaus und kommen
erst wieder an die Küste zurück, wenn sie erwachsen sind. Das sind die
Thunfische, die Tümmler, die Narwale, all die Spinner, die im Sturm kreuzfidel
sind und sich bei Windstille zu Hunderttausenden fangen lassen. Die Mädchen,
die pfiffig sind, lassen sich auf den Grund sinken und kommen erst wieder
an die Oberfläche, wenn sie heiratsfähig sind. Sie haben dann einen wabbeligen
Kopf, verfaulte Zähne, eine ulkige Visage, aber Gold in der Kehle. Man
nennt sie Sirenen, und sie gelten als Prinzessinnen. Aber wehe dem Fischer,
der sich mit einer Sirene einläßt, er zeugt den Hammerhai
und den Sägefisch, lauter Wesen mit zwei Köpfen, denn die Sirenen
haben kein Hirn und singen nur dummes Zeug. Die kleinen Kinder jedoch,
die in die Wiegen zurückkehren, nachdem sie mit den Muränen gekämpft haben,
sind oft für den Rest ihres Lebens entstellt, tragen entweder seltsame
Narben oder machen eigenartige Krankheiten durch, die ihren Körper brandmarken,
aber die Überlebenden werden später die besten Seeleute und die kühnsten
Steuermänner des Mittelmeers, und wenn sie die Welt umschifft haben und
als reife Männer nach Taormina heimkehren, um eine Frau zu nehmen, dann
bemalen sie die Häuser der Stadt und bekritzeln die Mauern mit rätselhaften
Sgraffiti, die von ihren Seeabenteuern berichten und zugleich Weissagungen
sind. Aber Taormina entvölkert sich. Das Wasser ist ein Traum, und der
Himmel und alles, was er morgens und abends an Sternen und Wind, Vögeln
und Wolken birgt, ist ein Gaukelspiel, das
über die Vergänglichkeit der Zeit hinwegtäuscht. Es gibt Männer bei uns,
die über Bord springen, um einen Stern aus dem Wasser zu holen. Der Ozean
ist eine Lüge...« -
(cend)
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