ango  Der Schnaps, die Musik, die Weiber, ein paar herablassende Schimpfworte von Rosendo und ein Klaps, den er mir auf den Buckel gab und den ich als freundschaftlich genommen habe: also — ich war richtig glücklich. Ich hatte eine Tänzerin erwischt, die sich so bewegt, als ob sie meine Gedanken erraten kann. Der Tango macht mit uns, was er will, treibt uns herum und auseinander und dann wieder zusammen. Alle Männer sind voll dabei, wie im Traum, da kommt mir plötzlich die Musik irgendwie lauter vor. Das war, weil jetzt die beiden im Wagen, mit den Gitarren, immer näher gekommen sind, und weil deren Musik sich mit unserer vermischt. Dann hat sich der Wind gedreht, der die Musik hergeweht hatte, und ich habe wieder auf meinen Körper aufgepaßt und auf den meiner Partnerin und auf die Tanzfiguren. - (bo3)

Tango (2)   Auf einem Rummelplatz entdeckten wir eine grün-rot-goldene Bude, über deren Eingang stand: «Der Tangotanz in verschiedenen Caricaturen». Der Tango war große Mode. Sechs Mädchen, auf Carmen zurechtgemacht, und ein Kavalier in orangefarbenem Frack — das war die Tangofarbe — führten ihn vor.

Mich interessierte das sehr, ich machte viele Skizzen und malte zu Hause ein Bild mit viel orange, grün und gold. Die Spanierinnen waren natürlich unverfälschte Berliner Mädchen mit einem unheimlichen Appetit auf warme Würstchen, Rollmops und Bratkartoffeln. In einer benachbarten Kneipe wurden unzählige Weiße mit Himbeer getrunken. Denn der Tango machte heiß.

Als mir eines der Mädchen einmal Modell stand, lauerte der Kavalier uns vor dem Hause auf. Er ging zwar nicht mit einem spanischen Dolch auf mich los, wohl aber mit einem Schlagring — und so bewies der Neuköllner Junge letzten Endes doch spanischheißes Blut. Wir versöhnten uns, trotz meiner schmerzenden Kinnlade. Später gingen wir in mein Zimmer hinauf und tranken diesmal, anstatt Weißbier mit Himbeer, einen wirklichen spanischen Sherry, der noch von meinem Geburtstag übrig war. - George Grosz, Ein kleines Ja und ein großes Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt. Reinbek bei Hamburg 1986, zuerst 1955

Tango (3)  Kerzenlicht spiegelt in diesigen scheiben - nachtmotten davor; eine dame mit einer zauberflöte im kimono aus knisterndem zeitungspapier, eine fremde hand an ihrer einen hüfte.

Schmale raubfische vor einem publikum, dazwischen taschendiebe, bewegungen wie sonnengeflimmer auf gelben blütendolden, ein undefinierbares sirren hinter gelackten paravents.

Eine dame, die sich in eine grüne glaskuppel begibt, das einnehmen eines abendessens mit anderen - sie blickt unsicher um sich, ein baron aus einem bekannten roman folgt ihr nicht.

Ein zug donnert nach norden; das zerschneiden des papierkimonos der dame mit der zauberflöte mit einer schere: unflätige reden und gesten.

Ein ringer bekommt augen wie ein hecht, er beißt eine fliege vom angelhaken, greift in blauen chinchilla, denkt an den tango der nacht und des morgens.

Mozart mit einer botanisiertrommel, durch eine modeschülerin dargestellt: farbe von melandrium rubrum, cardamine pratensis und dem zierlichen helianthum nummularium.

Nippend die nachtmotte auf dem muttermal am rücken der nackten mit der zauberflöte; papierscheren in kleine futterale versorgen ...

Der lange, ausdauernde pfiff der kommenden lokomotive, das vibrieren des glases in grünen kuppeln, das leichte erzittern des porzellans des abendessens.

Im ring sind alle mittel recht; der rotunde boß im violett der ersten reihe, das blinken seines goldzahns, das blitzen seiner diamanten, die perlen seiner mädis, matt wie rückenmark.

Der stumme schuß im stummen film, die flöhe der flohcirkusse, im auge flanierender damen das leuchten der projektierten bilder und sehnsüchte.

Wieviel? So und so viel. Zu wenig! Noch mehr? Noch mehr! Also so viel? Nein - nicht unter einer million!

Ein scharfer klatsch zerschlägt die motte; viele goldzähne vieler jackettloser herren; der wind des nordens weht die zeitungsschnippel durch die nachtwaggons gen süden . . .

Ein blaugefärbter engel reitet nackt um das bidet; eine büste wie zwei orangen - nicht der farbe nach, madame!

In diesen heiigen hallen schwitzen ringer, denken an den tango der nacht und des morgens, ringen um chinchilla, lesen zeitung ohne hosen, paffen, blasen stark die dunkle brasil, rücken sich ins aug der bosse - und damen, mädis buhlen um zylinderhüte, greifen knöpfe, seihen lächeln, leisten lüstern -und die bosse leiten sterne, stars; gesiebt durch siege plustert sich ein held des abends. . .

Ledermantel wird durch nieselnebel schwer, roter faden kreuzt die linie der motte, septembers herbstlicher ramsch bereitet vitrinen in den augen entkleideter damen . . .

Der tango der nacht und des morgens auf sofas aus Buenos Aires und Warschau, der flohmarkt vergangener flirts auf den zungen der flittchen, die perlen im after der austern, gereiht wie die ziffern der summen.

Ein engel hüllt sich ins jackett des nordens, die mottenlila aster senkt sich fröstelnd vor der hellen kassa, die fremde hand berührt die hüfte wie chinchilla.

Kerzenlicht spiegelt in diesigen Scheiben, eine nackte dame mit einer zauberflöte auf der kinoleinwand — eine fremde hand an ihrer einen schönen hüfte ... - H.C. Artmann, Unter der Bedeckung eines Hutes. Montagen und Sequenzen. Frankfurt am Main 1976 (st 337, zuerst 1974)

Tango (4)  Ich bestellte noch einen Schnaps, der mir die Ruhe und Unbekümmertheit gab, um einfach nur umherzuschauen. Der Tisch stand hart an der Tanzfläche, und vor der Wand auf der anderen Seite war eine lange Reihe Stühle, wo viele Frauen sich gerade zurechtmachten, mit dieser abwesenden Miene der Animiermädchen, wenn sie arbeiten oder sich vergnügen. Es wurde nicht viel gesprochen, wir konnten die »Typische« sehr gut hören. Der Sänger legte Nachdruck auf die Nostalgie, wunderbar, wie er einem eher schnellen und rastlosen Rhythmus Dramatik gab. Die Zöpfe meiner Geliebten trag ich im Koffer stets bei mir ... Er klammerte sich an das Mikrophon wie an die Stangen eines Vomitoriums, mit einer Art müder Geilheit, einem organischen Bedürfnis. Für Augenblicke legte er die Lippen dicht an das Membrangitter, und aus den Lautsprechern kam eine klebrige Stimme — »Ich bin ein anständiger Mann ...« -; ich mußte denken, daß eine Gummipuppe mit einem darin versteckten Mikrophon eine gute Sache wäre, der Sänger könnte sie in den Armen halten und, sie ansingend, sich schön an ihr aufgeilen. Doch für die Tangos würde sie nicht taugen, da tut es besser der verchromte Stab mit dem kleinen glänzenden Totenkopf und dem tetanischen Lächeln des Gitters.  - (best)

Tango (5)

Einen jener klassischen

schwarzen Tangos in Köln, Ende des
Monats August, da der Sommer schon

ganz verstaubt ist, kurz nach Laden
Schluß aus der offenen Tür einer

dunklen Wirtschaft, die einem
Griechen gehört, hören, ist beinahe

ein Wunder: für einen Moment eine
Überraschung, für einen Moment

Aufatmen, für einen Moment
eine Pause in dieser Straße,

die niemand liebt und atemlos
macht, beim Hindurchgehen. Ich

schrieb das schnell auf, bevor
der Moment in der verfluchten

dunstigen Abgestorbenheit Kölns
wieder erlosch.

- (westw)

Tanzen
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