alent  Kein Talent ist so nützlich, um in der Welt hochzukommen, keines macht die Menschen vom Glück unabhängiger als die Eigenschaft, die den stumpfsten Menschen gegeben ist, und, wie man sich im allgemeinen ausdrückt, darin besteht, kein Rückgrat zu besitzen. Es ist eine Art niederer Klugheit, mit deren Hilfe die geringsten und mittelmäßigsten Leute ohne weitere Begabungen in aller Gemütsruhe ihren Weg in der Welt machen. Man behandelt sie überall gut. Sie können weder Anstoß nehmen noch geben. Höfe sind selten frei von Menschen diesen Charakters. Wenn sie zufällig von hohem Range sind, fallen natürlich die meisten Ämter, sogar die größten, an sie, sobald die Mitbewerber nicht angenehm sind. Bei solchen Berufungen freut oder ärgert sich niemand. Wie richtig diese Wahrnehmung ist, könnte ich durch verschiedene Beispiele aus meiner Erinnerung belegen (denn über die gegenwärtige Zeit sage ich nichts). - (swi1)

Talent (2) Der Priester Franz Salesius Riembauer, bis in das Jahr 1813 Pfarrer zu Nandelstadt (Landgericht Moosburg) war am 27. Januar 1770 im Markte Langquaid (Landgerichts Pfaffenberg) geboren. Eines armen Taglöhners Sohn, diente er in seiner Jugend als Hirtenknabe, der aber frühzeitig, bei sehr guten Verstandesanlagen, große Lernbegierde entwickelte und sich bald bis zu dem Gedanken erhob, den Studien und dem geistlichen Stande sich zu widmen. Im 13. Jahre seines Alters bat er den Pfarrer seines Geburtsortes auf den Knieen, ihm den nöthigen Vorbereitungsunterricht für die Gymnasialstudien zu ertheilen und machte bei demselben so schnelle Fortschritte, daß er noch vor Ablauf eines Jahres zur Aufnahme in ein Gymnasium tüchtig befunden wurde. Was über des Knaben sittliches Betragen zu den Akten erhoben wurde, gereicht nicht so ganz zu seinem Ruhme. Er unterschlug z. B. einem Kaplan des Pfarrers 30 kr., die er im Kegelspiel verlor, wurde dafür gehörig gezüchtigt und entlief hierauf nach Regensburg, wo er sich in das dortige Gymnasium aufnehmen ließ. Schon als Hirtenjunge soll er als ein böser Mensch, besonders wegen seiner Diebereien, allgemein bekannt gewesen sein, was jedoch nur von Einem Zeugen behauptet, von andern zwar nicht geradezu widersprochen, aber auch nicht bestätigt wird. Er selbst erzählt von sich, daß er als Knabe einst große Lust in sich verspürt habe, einen andern Knaben todt zu schlagen, um ihn seines Geldes zu berauben. - Anselm von Feuerbach, Merkwürdige Verbrechen. Frankfurt am Main 1993 (Die Andere Bibliothek 98, zuerst 1828 f.)

Talent (3) Das Irrenhaus war meinem Schlafgemache so nahe, daß ich oft vor dem Singen, Lachen, Fluchen und Toben seiner armen Bewohner nicht in Schlaf kommen konnte. Ganze Nächte hindurch hörte ich da oft den Gesang einer wahnsinnigen Frau, der nur in den Worten »Ririrol-didi« bestand. Sie sang dieses Unwort immerwährend in gleicher Modulation fort, wobei sie ohne Aussetzen mit dem Fuße auf den Boden stampfte. Erst gegen Tag hörte man die Töne immer schwächer und schwächer, wo sich endlich Schlaf und Erschöpfung ihrer zu erbarmen schienen. Ein anderer Wahnsinniger schrie die ganze Nacht fön die Worte »Totenköpfe und Krautsalat« und rasselte dazu mit den Ketten; denn da schloß man die Tobsüchtigen noch an. Dazwischen hörte man oft Töne, als schlüge er den Kopf gewaltsam an die Wand.

Der Schein des Mondes und besonders der zunehmende Mond steigerte jedesmal bei allen diese Schauertöne und nächtliche Unruhe, in welche öfters in Frühlingsnächten der Schlag einer Nachtigall von den benachbarten Schloßgärten und der Lindenallee wie besänftigend erklang. Ich besuchte die Unglücklichen auch oftmals in ihren Zellen und wurde ihnen bald bekannt und freundlich. Das Spiel meiner Maultrommel machte bei vielen einen guten Eindruck, und ich vermochte oft, Tobende durch Worte und Anschauen zu besänftigen. Es tut mir leid, daß ich meine Beobachtungen an vielen dieser Unglücklichen damals nicht niederschrieb. Meine Neigung und einiges Geschick, mit Geisteskranken umzugehen, was ich später erproben mußte, war mir wohl von der Natur von Geburt aus zugeteilt. - Justinus Kerner, Das Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. In: (ker)

Talent (4)

Talent (5)  Irland, noch immer vorwiegend keltisch, hat sich neben einigen weniger schönen Dingen eine Begabung zur Vision bewahrt, die bei hektischeren und erfolgreicheren Völkern ausgestorben ist. Uns konnten keine lichtspendenden Leuchter hindern, ins Dunkel zu blicken, und wenn man ins Dunkel blickt, ist immer etwas darin. - W.B. Yeats, nach: Erinn. Keltische Sagen aus Irland. Hg. Martin Löpelmann. Düsseldorf u. Köln Köln 1977

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