akt   Der sogenannte Takt, mit dem wir die Taktvollen bezeichnen und sagen, jemand habe Takt, ist das richtige Urteil des Anständigen. Ein Beweis: der Anständige ist am ehesten zur Nachsicht geneigt, und anständig nennen wir es, in einigen Dingen Nachsicht zu üben. Die Nachsicht ist aber ein Takt, mit dem der Anständige richtig zu beurteilen versteht. Und richtig bedeutet wahr.

Alle diese Weisen des Verhaltens zielen verständlicherweise auf dasselbe. Wir sprechen von Takt, Verständigkeit, Klugheit und Geist, indem wir von denselben Menschen sagen, sie hätten Takt und Geist und seien klug und verständig. Denn alle diese Fähigkeiten beziehen sich auf das Letzte und Einzelne. Die Gegenstände der Klugheit vermag der Verständige und Taktvolle und Nachsichtige zu beurteilen. Die Anständigkeit ist die gemeinsame Eigenschaft aller Guten im Verhältnis zu andern Menschen.  - (eth)

Takt (2) Das Männchen, das im Hotel LAMM den Portier spielt, läßt Oberst Bittner links stehen. Er kennt ja Weg und Ziel. Im ersten Stock klopft er an die frisch tapezierte Tür und befindet sich im nächsten Augenblick vor dem prallen, bleichen Hinterteil Renate Murawatzs. Sie kniet zwischen den Beinen eines grauhaarigen Mannes, der mit geschlossenen Augen und offenem Mund auf dem Rücken liegt. Niemand nimmt von der eben eingetretenen Polizei Notiz. Bittner verläßt das dunkle Zimmer auf behutsamen Sohlen wieder, wartet draußen auf dem knarrenden Boden und wird von zwei bemalten Frauen verkichert. Vor einem matten Spiegel schneidet der Kriminalbeamte abweisende Gesichter. Und in einem Moment, in dem er sich absolut unbeobachtet glaubt, zeigt er sich kurz die Zunge.

Nach zehn Minuten kommt der Graukopf mit angefeuchteten Haaren in Bundesheeruniform aus dem Zimmer. Er drückt Bittner achtlos und elegant zur Seite. Renate Murawatz erscheint nicht auf dem kühlen Gang. Kann sie Bittner vorher überhaupt gesehen haben? Vielleicht hat der Militarist geblinzelt und nachher getratscht. Der Oberst klopft noch einmal an und wird freundlich ins Zimmer gebeten.

Jetzt liegt Renate Murawatz auf dem Rücken und hat eine Memphis light zwischen den langen Fingern der rechten Hand.

»Schön, daß die Polizei auch an halben Arbeitstagen Zeit für mich hat«, sagt sie.

»Ziehst du dich nicht an?« hört sich Bittner fragen.

»Ziehst du dich nicht aus?«

»Bestimmt nicht.«

»So eilig?« Sie öffnet die Beine und grinst den Beamten an. »Ich bin noch unberührt. Heute.«

»Ich weiß es besser.«

»Das Militär steht doch auf ganz andere Sachen.« - Helmut Zenker, Die Mann im Mond. Wien 1990

Takt (3) Sanson ruft die Opfer auf. Der erste steigt die Stufen zum Schafott hinauf, sein Umriß erscheint über den Köpfen der Menge. Stille breitet sich aus, die Zeitungsrufer schweigen, die republikanischen Rundgesänge, mit denen man sich die Zeit verkürzt hat, brechen ab, die Leute in der ersten Reihe nehmen die Hüte ab - nicht aus Ehrfurcht, sondern damit die anderen besser sehen können, die Schelle des Limonadenhändlers, die Ausrufe der Kuchenfrau sind verstummt. Das ist der Augenblick, den die Taschendiebe benutzen, um den Neugierigen ihre Uhren und Geldbörsen zu stehlen, denn jedermann saugt sich mit seinem Blick an dem Unglücklichen fest, der zum letzten Male das Licht der Welt sieht. Die Henker packen einen nach dem anderen, schnallen ihn auf das Brett, das in die Waagerechte wippt, die eisernen Halbmonde klappen um den Hals zusammen, eine winzige und wahnsinnige Sekunde lang sieht er mit entschwindendem Bewußtsein in den schrecklichen Sack hinab, in dem, mit Blut überströmt, mit aufgerissenen Mündern und weit geöffneten Augen, die bereits abgeschnittenen Köpfe liegen - dann saust das schwere Messer herab, »ein stählerner Wind«, und schon ist das Brett hochgewippt, der kopflose Körper abgeschnallt, in einen großen Korb geworfen, und während Sanson das dreieckige Messer wieder hochwindet, ergreifen seine Gehilfen den nächsten. Und aufs neue erschallen in rascher Folge die drei schweren Schläge, das Kippen des Brettes, das Zusammenklappen der eisernen Halbmonde, das Aufschlagen des Messers, drei schnelle Takte - der Tod.  - Friedrich Sieburg, Robespierre. München 1965 (zuerst 1935)

Takt (4)  Das erste Gesetz des guten Tones ist: Schone fremde Freiheit. Das zweite: Zeigt selbst Freiheit. Die pünktliche Erfüllung beider ist ein unendlich schweres Problem, aber der gute Ton fodert sie unerläßlich, und sie macht allein den vollendeten Weltmann. Ich weiß für das Ideal des schönen Umgangs kein passenderes Bild als einen gut getanzten und aus vielen verwickelten Touren komponierten englischen Tanz. Ein Zuschauer aus der Galerie sieht unzählige Bewegungen, die sich aufs bunteste durchkreuzen und ihre Richtung lebhaft und mutwillig verändern und doch niemals zusammenstoßen. Alles ist so geordnet, daß der eine schon Platz gemacht hat, wenn der andere kommt, alles fügt sich so geschickt und doch wieder so kunstlos ineinander, daß jeder nur seinem eigenen Kopf zu folgen scheint und doch nie dem andern in den Weg tritt. Es ist das treffendste Sinnbild der behaupteten eigenen Freiheit und der geschonten Freiheit des andern. - Friedrich Schiller, Kallias-Briefe

Takt (5)   Margret Schleidt sichtete das Filmarchiv des Max-Planck-Instituts für Humanethologie und registrierte bereits nach kurzer Zeit einen sich wiederholenden, immergleichen Rhythmus. Kurze Bewegungen wie etwa ein Winken oder Streicheln, das zornige Aufstampfen mit dem Fuß oder ein freundliches Händeschütteln dauerten immer etwa drei Sekunden, bevor die Bewegungsabfolge leicht variiert wurde. Das Erstaunliche daran: Das Leben im Dreisekundentakt scheint universell verbreitet zu sein, bei den Yanomami-India-nern am Orinoko oder dem San-Volk in der Kalahariwüste, bei den Trobriandern auf den melanesischen Inseln ebenso wie im bayerischen Bierzelt.

«Inseln der Gegenwart» nennt Ernst Pöppel, Direktor am Forschungszentrum Jülich, dieses Taktphänomen. Wann er dem Dreisekundentakt erstmals auf die Spur kam; weiß der Hirnforscher heute nicht mehr so genau. Um so genauer aber kann er das Phänomen beschreiben. «Wenn man eine Zeitlang dem Schlagen eines Metronoms zuhört, ordnen sich die gleichmäßigen Schläge im Kopf fast automatisch zu Gruppen. Beim Versuch, die Gruppen immer länger werden zu lassen, beginnt dieser Takt irgendwann zu verschwimmen, etwa dann, wenn zwischen den Schlägen mehr als drei Sekunden verstreichen.»

Das Versmaß des Lebens läßt sich auch in anderen Experimenten nachweisen. Soll eine Versuchsperson zwei Reize mit leicht unterschiedlicher Intensität miteinander vergleichen, dann müssen sie innerhalb eines Zeitfensters von drei Sekunden präsentiert werden. Das gilt für Lichtreize ebenso wie für Töne. Wird die Zeit überschritten, kann der Versuchsteilnehmer meist nur noch raten.

Den Takt im Kopf hat Pöppel fast überall entdeckt: im Versmaß von Gedichten wie in Bachschen Fugen, im japanischen Nö-Thea-ter wie in Balladen der Beatles. Hier ein Experiment zur Nachahmung: Bei der Silbenfolge Ba-Ku-Ba-Ku-Ba-Ku . . . pendelt der Zuhörer im Geiste unausgesetzt zwischen den Großen Antillen und dem Kaspischen Meer, reist von Kuba nach Baku und zurück, auch das im Dreisekundentakt. - (kopf)     


Klugheit Höflichkeit Rhythmus Feinheit

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Verwandte Begriffe
Schonung

Taktlosigkeit

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