agebuch, erotisches  Am nächsten Morgen warf Elena in aller Frühe drei gewaltige Tagebücher amourösen Inhalts auf die Terrasse der Magnanos, in die zwischen Zeichnungen, Schmetterlingen, Veilchen und Palmzweiglein, alles Dinge, die vor fünfzehn Jahren gelebt und geblüht hatten — ein: Foto von Antonio auf einem Schaukelpferd eingeklebt war, von dem es nur ein Exemplar gab, dessen Verlust Frau Rosaria ganz unglücklicli gemacht hatte. Die Tagebücher stürzten auf die Terrasse, als Antonio über die Kaktustöpfe gebeugt stand, um sie zu begießen. Er ließ sich nicht stören, und während er weiter Wasser zwischen Stacheln und Blätter goß, blätterte er die Bücher mit einem Fuß auf und las da und da einen Satz, der in Großbuchstaben geschrieben war, wie zum Beispiels ER dürfte mir übers GESICHT laufen. Von drei bis um acht Uhr abends immer an DAS GLEICHE gedacht. Was für Ringe unter den Augen HEUTE. Dann löste er die Fotografie, die seine Mutter so lange gesucht hatte, heraus und warf den Rest in den Kehricht.

Zwei Tage später spielten die Portierskinder mit diesen glühenden Sätzen auf dem Hof des Mietshauses. Elena, die vielleicht diese ihri Herzstücke klopfen hörte, wo immer sie sich befanden, stürzte aus dem dritten Stock herbei und warf sich wie ein Geier über diese ahnungslosen Gören, die sich gegenseitig Papierhelme und Papierschiffchen reichten, auf denen Worte standen, deren Lektüre ihrer Unschuld ein jähi Ende bereitet hätte. Es gelang ihr, jeweils mit einem Griff die Blätter zu fassen zu bekommen und die Fäuste aufzubiegen, die sie umklammert hielten. Und im Fluge war sie die Treppe wieder hinauf und ließ Heulen und Wehklagen unter sich zurück.

In der folgenden Nacht trank sie ein Glas Wasser, in das sie zwei Dutzend Schwefelhölzer getaucht hatte, und glaubte im Morgengrauen an diesem Gift zu sterben. Aber es genügte, daß sie sich in eine irdene Schüssel erbrach, während ihre arme Mutter ihr die Stirn hielt.  - Vitaliano Brancati, Bell'Antonio. Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)