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ma2
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Tag
(2)
Wer hat schon
einen geglückten Tag erlebt? Sagen werden das zunächst von sich wahrscheinlich
die meisten. Und es wird dann nötig sein, weiterzufragen. Meinst du »geglückt«
oder bloß »schön«? Sprichst du von einem »geglückten« Tag oder einem —
es ist wahr, ebenso seltenen — »sorglosen«? Ist für dich ein geglückter
Tag allein schon, der ohne Problem verlief? Siehst du einen Unterschied
zwischen einem glücklichen Tag und dem geglückten? Ist es für dich etwas
anderes, mit Hilfe der Erinnerung von die-sem und jenem geglückten Tag
zu reden, oder gleich jetzt, unmittelbar danach, ohne eine Verwandlung
durch die Zwischenzeit, am Abend ebendesselben Tags, als dessen Beiwort
dann auch nicht ein »geschafft« oder »überstanden« stehen kann, sondern
einzig »geglückt«? Ist dir der geglückte Tag also grundverschieden von
einem unbeschwerten, einem Glückstag, einem ausgefüllten, einem Aktivtag,
einem durchstandenen, einem von der Langvergangenheit verklärten — ein
Einzelnes genügt da, und ein ganzer Tag schwebt auf in Glorie —, auch gleichweichem
Großem Tag für die Wissenschaft, dein Vaterland, unser Volk, die Völker
der Erde, die Menschheit? (Im übrigen: Schau
— blick auf —, der Umriß des Vogels dort oben im Baum; wozu das griechische
Verb für »lesen« in den Briefen des Paulus, buchstäblich übersetzt,
ein »Auf-Blicken« wäre, geradezu ein »Hinauf-Wahrnehmen«, ein »Hinauf-Erkennen«,
ein Wort ohne besondere Befehlsform schon als eine Aufforderung oder ein
Aufruf und dazu noch jene Kolibris in den südamerikanischen Dschungeln,
die beim Verlassen ihres Schutzbaums, um die Raubgeier zu täuschen, das
Geschaukel eines fallenden Blatts nachmachen...) — Ja, der geglückte Tag
ist für mich nicht wie all die anderen; er heißt mir mehr. Der geglückte
Tag ist mehr. Er ist mehr als eine »geglückte Bemerkung«, mehr als ein
»geglückter Schachzug« (sogar ein geglücktes vollständiges Spiel),
als eine »geglückte Erstbesteigung im Winter«, etwas anderes als eine »geglückte
Flucht«, eine »geglückte Operation«, eine »geglückte Beziehung«, gleichwelche
»geglückte Sache«, ist auch unabhängig vom geglückten Pinselstrich oder
Satz, und hat nicht einmal etwas zu schaffen mit jenem »nach lebenslangem
Warten in einer einzigen Stunde geglückten Gedicht«!
Der geglückte Tag ist unvergleichlich. Er ist einzigartig. - Peter
Handke, Versuch über den geglückten Tag, Frankfurt am Main 1991
Tag (3)
Der »geglückte Tag« wäre ein
Tag ohne Bedürfnis nach dem eigenen Spiegelbild,
ein Tag ohne mein Zutun: »Heute bin ich da, und es gibt die Natur.« Aber
am Ende wird derjenige vielleicht doch heilfroh sein, daß der »geglückte
Tag« vorbei ist: froh wie nach einer Geisterstunde - denn er hat schließlich
Angst gehabt, an der Vollkommenheit zu sterben. (Zuletzt ähnelt das Bild
des Glücklichen dem des Geängstigten: es zeigt unendliche Schwäche) -
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bleist
)
Tag (4)
Primäre Tage, Herbst, auf welchen Sonnen, Primäre Tage, Herbst, die Ebenen träumen, Vielleicht ein Übergang, vielleicht das Ende, |
- (
benn
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Tag (5)
Ein Tag in einer fremden Stadt:
vom Dachzimmer in die Bäckerei; von der Bäckerei ins Wohnzimmer; vom Wohnzimmer
auf die Straße; von der Straße auf eine Bank an einem Kinderspielplatz;
von der Bank unter einen Baum (starker Regen);
vom Baum in das Museum; vom Museum auf die Straße;
von der Straße in eine Telefonzelle; von der Telefonzelle ins Café; vom
Café in eine Kirche; von der Kirche in die Untergrundbahn; von der Untergrundbahn
ins Kino; vom Kino ins Dachzimmer - (
bleist
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Tag (6)
Shitomir. 1. 6. 20
Morgens im Zug, holte Feldbluse und Stiefel. Schlafe mit Shukow, Topolnik, es ist dreckig, morgens die stechende Sonne, der Dreck im Waggon. Der lange Shukow, der verfressene Topolnik, das ganze Redaktionskollegium - unvorstellbar widerliche Leute. Elender Tee in geborgten Kesseln, Briefe an zu Hause, Pakete für Jugrosta, Interview mit Pollak, Operation zur Erstürmung von Nowograd, die Disziplin in der polnischen Armee erlahmt, polnische weißgardistische Literatur, Büchlein aus Zigarettenpapier . . . ukrainische Juden, Kommissare; alles dumm, wutverzerrt, kraftlos, unbegabt und erstaunlich unüberzeugend. Michailows Auszüge aus polnischen Zeitungen. Die Küche im Zug, dicke Soldaten mit roten Gesichtern, ausgeweidete Schweine, stickige Hitze in der Küche, Brei, Mittag, Schweiß, Wäscherinnen mit dicken Beinen, apathische Weiber . . . Die Soldaten beschreiben, die dicken, satten, schläfrigen Weiber. Liebe in der Küche. Nachmittags nach Shitomir. Eine weiße, nicht verträumte, sondern geschlagene, gezähmte Stadt. Ich suche die Spuren polnischer Kultur. Gutangezogene Frauen, weiße Strümpfe. Kirche. Bei Nuska bade ich im Teterew, abscheuliches Flüßchen, im Bad alte Juden mit langen, mageren graubehaarten Beinen. Die jungen Juden. Frauen spülen Wäsche am Teterew. Eine Familie, schöne Frau, das Kind hat der Mann. Basar in Shitomir, ein alter Schuster, Waschblau, Kreide, Bindfaden. Die Synagogen, alte Architektur, wie mir das alles ans Herz greift. Ein Uhrglas 1200 Rubel. Markt. Ein kleiner Jude - Philosoph. Unglaublicher Laden - Dickens, Besen und goldene Hausschuhe. Seine Philosophie - alle sagen, sie kämpfen für die Wahrheit, und alle stehlen. Wenn es doch bloß eine gute Regierung gäbe. Schöne Worte, ein Bärtchen, wir unterhalten uns, Tee und drei Stück Apfelkuchen - 750 Rubel. Eine interessante Alte, böse, geschäftstüchtig, wie geldgierig sie alle sind. Den Basar beschreiben, Körbe voller Kirschen, das Innere einer Garküche. Gespräch mit einer Russin, die ein Waschfaß ausleihen kommt. Dann schwacher Tee, ich fresse mich in das Leben hinein, lebt wohl, ihr Toten. Schwager Podolski, verkommener Intellektueller, irgendwas von Gewerkschaften, vom Dienst bei Budjonny, ich bin natürlich Russe, seine Mutter ist Jüdin, warum? Pogrom in Shitomir, von den Polen angezettelt, dann natürlich auch von den Kosaken. Als unsere Vorausabteilungen auftauchten, hielten die Polen die Stadt drei Tage lang besetzt, Judenpogrom, schnitten Barte ab, das ist so üblich, nahmen auf dem Markt 45 Juden fest, führten sie ins Schlachthaus, Mißhandlungen, Zungen herausgeschnitten, ein Stöhnen über den ganzen Platz. 6 Häuser in Brand gesetzt, Konjuchowskis Haus am Kathedralenplatz - ich besichtige es, wer rettete es vor den Maschinengewehren, es war dem Hausmeister anvertraut, dem die Mutter aus dem brennenden Fenster den Säugling herunterwarf. Sie wurden aufgehalten, der Priester lehnte eine Leiter an die Hinterfront, so sind sie entkommen.
Sabbat steht bevor, wir gehen vom Schwiegervater zum Zaddik. Den Namen
verstand ich nicht. Ein außerordentliches Bild für mich, obwohl das Sterben
und der völlige Niedergang unverkennbar sind. Der Zaddik, seine schmalschultrige,
hagere kleine Figur. Der Sohn - ein wohlerzogener Junge in kleinem Kapotthütchen,
man sieht in kleinbürgerliche, aber geräumige Zimmer. Alles akkurat, die
Frau eine gewöhnliche Jüdin, sogar ein bißchen auf modern aus. Die Gesichter
der alten Juden. In der Ecke Gespräche über die Teuerung. Ich finde mich
im Gebetsbuch nicht zurecht. Podolski hilft. Anstelle der Kerze ein Kienspan.
Ich bin glücklich - riesige Gesichter, gebogene Nasen, schwarze, graudurchzogene
Barte, ich denke an vieles, auf Wiedersehen, Ihr Toten, das Gesicht des
Zaddiks, Nickelkneifer, woher kommen Sie, junger Mann? Aus Odessa. Wie
geht es dort? Man lebt. Hier ist es furchtbar. Kurzes Gespräch. Ich gehe
erschüttert. Podolski, blaß und traurig, gibt mir seine Adresse, wundervoller
Abend. Ich gehe, denke nach, die stillen, fremden Straßen. Kondratjew mit
einer schwarzen Jüdin. Der arme Kommandant, mit Papacha, er hat kein Glück.
Dann die Nacht, der Zug, die aufgemalten Losungen des Kommunismus (Kontrast
zu dem, was ich bei den alten Juden sah). Maschinengeräusche, eigene Elektrostation,
eigene Zeitung, die Filmvorstellung läuft, der Zug strahlt, lärmt, dicklippige
Soldaten stehen Schlange bei den Wäscherinnen (2 Tage). - Isaak Babel,
Tagebuch 1920. In: I. B., Die Reiterarmee. Darmstadt und Neuwied 1980 (SL
321)
Tag (7)
Am 25. August wachte Avelino
Arredondo nach neun Uhr auf. Zuerst dachte er an Clara und dann erst an
das Datum. Erleichtert sagte er sich: ›Jetzt hat das mühsame Warten ein
Ende. Der Tag ist gekommen.‹
Er rasierte sich ohne Hast, und im Spiegel begegnete ihm das übliche Gesicht. Er suchte sich eine rötliche Krawatte und seine beste Kleidung heraus. Er frühstückte spät. Der graue Himmel sah nach Sprühregen aus; er hatte ihn sich immer strahlend vorgestellt. Ein bitterer Nachgeschmack streifte ihn, als er für immer das klamme Zimmer verließ. Auf dem Flur begegnete er der Mulattin und gab ihr die letzten Pesos, die ihm verblieben waren. Im Ladenschild der Eisenwarenhandlung sah er die farbigen Rhomben und überlegte, daß er über zwei Monate nicht an sie gedacht hatte. Er machte sich auf den Weg zur Calle de Sarandí. Es war ein Feiertag, und die Straßen waren fast menschenleer.
Es hatte noch nicht drei geschlagen, als er auf der Plaza Matriz ankam. Das Tedeum war bereits zu Ende; eine Gruppe Herren, Militärs und Prälaten kamen die flache Freitreppe der Kirche herunter. Auf den ersten Blick konnten die Zylinderhüte, die Uniformen, die Silberstickereien, die Waffen und die Leibröcke den falschen Eindruck erwecken, es handele sich um viele; in Wirklichkeit waren es nicht mehr als dreißig. Arredondo, der keine Furcht verspürte, empfand eine Art Respekt. Er fragte, wer der Präsident sei. Man antwortete ihm: »Der neben dem Erzbischof mit der Mitra und dem Stab.«
Er zog den Revolver heraus und schoß.
Idiarte Borda machte ein paar Schritte, fiel auf das Gesicht und sagte deutlich: »Ich bin tot.«
Arredondo lieferte sich den Behörden aus. Später erklärte er: »Ich bin Colorado und sage das voller Stolz. Ich habe den Präsidenten umgebracht, der unsere Partei verraten und beschmutzt hat. Ich habe mit den Freunden und der Braut gebrochen, um sie herauszuhalten; ich habe keine Zeitungen angesehen, damit keiner sagen kann, sie hätten mich aufgehetzt. Dieser Akt der Gerechtigkeit gehört mir. Jetzt möge man mich richten.«
So wird der Hergang gewesen sein, obwohl komplizierter; so kann ich
ihn mir in meinen Träumen vorstellen. - Jorge Luis Borges, Avellino
Arredondo. In: Spiegel und Maske. Erzählungen 1970 bis 1983. Frankfurt
am Main 2000 (Fischer Tb. 10589)
Tag (8) Man lebe, aber im rechten Sinne, immer
nur für den Tag, d. h. man benutze jeden Tag so, als wenn er der einzige
wäre, ohne sich um den morgenden Tag zu bekümmern. Unglückliche Menschen,
die ihr immer nur an das Folgende, Mögliche denkt, und über den Plänen
und Projekten des Künftigen die Gegenwart verliert! Die Gegenwart ist ja
die Mutter der Zukunft, und wer jeden Tag, jede Stunde ganz und vollkommen
seiner Bestimmung gemäß benutzt, der kann sich jeden Abend mit dem unaussprechlich
beruhigenden Gefühl niederlegen, daß er nicht allein diesen Tag wirklich
gelebt und seinen Standpunkt ausgefüllt, sondern auch sicher die beste
Zukunft gegründet habe. - (
huf
)
Tag (8)
Ein Tag an der Grenze Wa, wa wassen los?. . . das zersplitterte Auge & Ohr, Frage: Können Sie'n Pfennig klein machen? Der Rosenkavalier, mit langen Haaren, Bart, und einem Roman: ... da gings los. Ah, Sonne, Nachrichten, die Preise für das Nirvana sind gestiegen. Zitat: "schwarz fletscht in weiß," A. Stramm Und Spotlight auf den Satz, Liebt den Autor & nicht die Band. A lot of B. S. (Bullshit) heute. Da sind Spiele mit den Händen im Schatten. Ist Musik das Maschinenwerk höherer Wesen? Hahahaha . . . Ein Posten musikalischer Kosmosabfälle, z. Zt. Freitagnacht 0.30 pm Lupe l, Zülpicher Str. Konservativeres im Moment als da Musik auf der Bühne, wörtl. Rede: "der Trommler hat gesagt, Das hübsche Gesicht neben mir sagt: „regt dich nicht auf, sind deutsche Trampel, Episch: >. . . vom Fenster weg, der Mond Fortsetzung: ein rappelnder Tag in Westdeutschland. Man hörte ein Geräusch wie das Geräusch, das ein großes Stück Fleisch macht, das in einer großen schwarzen Pfanne Und die verschwindenden Fakten: „Zu reden ist die auf der Stelle weg. Lyrisch: schwarze Rillen, die sich nachts drehen. „Mama, Papa, da fällt mir Aua ein" Im Theater fragte ein Arbeiter: „was ist der Unterschied zwischen Schön Eine Geige fing an. Biografie: ich wanderte tagelang Gewöhnliches Wetter, von grün zu grün, arn Ende der Allee, wo die Bibliothek aufgerichtet stand, kam. Ich sah an mir herunter. Diese Füße, die gehen, Plötzlich, wie das Wort plötzlich: Klar waren das Schattenstücke, die herumlagen, ziemlich groß. l Fragment, (Radio) „wieviele Scheintote sind heute Die Sprache: der letzte Dreck. Der oder wie das so durch die Häute seht. Poetisch: um den kaputten Wasserhahn wird Und wieder Sonne . . . bloß man kann kein Wort verstehen (fusch,
da! „get lost" Ns. 1 Dialog „cross de sieh" & eine Erfahrung, die . . . sieh doch, wie sie alle danach tanzen! |
Tag (9) Beim Anblick der
von hohen und niedrigen Zweigen zu Boden sinkenden Blättern taucht der Gedanke
auf: dieser Tag vor allen anderen ist der auserwählte, alle anderen Tage fallen
auf beiden Seiten von ihm ab, und nur er selbst bleibt in vollkommener Fülle
zurück. Er ist sein eigener Sommer, aus seinen Blättern, die über den glatten
Boden schaben, muß er seine Vollkommenheit bauen. Der üppige Sommer des Jahres
ist nur ein unschlüssiges Gegenstück zu jenen feurigen Tagen geheimen Triumphs.
Sie sind es in Wirklichkeit, die das Jahr wie auf einem Pergament malen, indem
sie jeder Jahreszeit zum Schein die Wärme oder Kühle, die in uns selbst ist,
verleihen. Die wahren Jahreszeiten blühen oder verwelken nickt nach einer festgesetzten
Ordnung. Vielmehr können viele von ihnen in ein paar Wochen oder Stunden vorüberziehen,
während manchmal ein ganzes Leben vorüberzieht und die Jahreszeit
von einem Ende zum anderen gleichbleibt. -
(kore)
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