ätowierung  Bei den meisten Skythen und gewiß bei allen, die Nomaden sind, wird man finden, daß die Schultern, die Arme, die Handwurzeln, die Brust und die Hüften gebrannt (tätowiert) sind, und zwar aus keinem anderen Grunde als wegen der Feuchtigkeit und Schlaffheit ihrer Natur; denn sie können infolge ihrer Feuchtigkeit und Schlaffheit weder den Bogen spannen noch sich mit der Schulter in den Speer legen. Wenn sie aber tätowiert sind, wird die Fülle der Feuchtigkeit aus den Gelenken ausgeschieden, und ihr Körper wird straffer, wohlgestalter und besser gegliedert. - (hi)

Tätowierung (2) An einem schönen Nachmittag sah man von der Bordwand einer der französischen Fregatten eine lustig mit Wimpeln geschmückte Gig abstoßen und direkt auf unser Fallreep zurudern. Auf der Achterbank saßen zurückgelehnt Mowanna und seine Gemahlin. Als sie näher kamen, erwiesen wir ihnen alle ihrem königlichen Rang gebührenden Ehren: die Rahen bemannt, Salutschüsse und einen mächtigen Tamtam.

Sie stiegen die große Fallreepstreppe hinauf, wurden vom Kommodore mit dem Hut in der Hand begrüßt und zum Achterdeck geleitet, während die Marinesoldaten präsentierten und die Musik den „König der Kannibalen-Inseln" anstimmte. So weit ging alles gut. Die französischen Offiziere schnitten Grimassen und grinsten in ausnehmend guter Laune voller Vergnügen über das feine Benehmen, das diese erlauchten Herrschaften an den Tag legten.

Auf jeden Fall war ihr Auftreten darauf angelegt, Eindruck zu machen. Seine Majestät war in eine großartige Militäruniform gekleidet, die vor goldenen Tressen und Stickereien strotz-te, während sein rasierter Kopf von einem riesigen, mit Straußenfedern geschmückten Hut bedeckt war. Allerdings hatte seine Erscheinung einen Fehler. Ein breiter tätowierter Streifen zog sich in einer Linie mit seinen Augen quer über sein ganzes Gesicht, so daß er aussah, als trüge er Scheuklappen, und ein König mit Scheuklappen macht immer einen spaßhaften Eindruck. Aber bei der Ausstattung der hübschen Erscheinung seiner dunkelhäutigen Gemahlin hatten die Schneider der Flotte die Heiterkeit ihres nationalen Geschmacks bewiesen. Sie war in ein schimmerndes Gewand von scharlachrotem Tuch gekleidet, das mit gelber Seide eingefaßt war. Es reichte etwas über ihre Knie hinab und ließ ihre bloßen Beine frei, die mit einer spiralförmigen Tätowierung geschmückt waren und irgendwie an zwei Trajanssäulen erinnerten. Auf ihrem Kopf trug sie einen phantastischen Turban aus purpurnem Samt, der mit silbernen Spangen geziert und von einem bunten Federbusch überragt war.

Die Schiffsmannschaft, die sich am Fallreep drängte, um sich das Bild anzusehen, erregte bald die Aufmerksamkeit Ihrer Majestät. Sie griff sich aus ihrer Menge einen alten Seebären, dessen Arme, Beine und bloße Brust wie der Deckel eines ägyptischen Sarkophags mit vielerlei Tuscheinschriften bedeckt waren. Ungeachtet aller verstohlenen Winke und Warnungen der französischen Offiziere ging sie direkt auf den Mann zu, zog den Brustausschnitt seiner Bluse mehr auseinander und schob seine weiten Hosenbeine weiter hinauf. Bewundernd sah sie sich die prächtigen blauen und roten Tätowierungen an, die sich so ihren Blicken boten. Sie warf sich auf den Burschen, liebkoste ihn und gab ihrem Entzücken mit vielfältigen wilden Rufen und Gesten Ausdruck. Die Verlegenheit der höflichen Gallier über einen solchen unvorhergesehenen Vorfall kann man sich leicht vorstellen. Aber man male sich ihre Bestürzung aus, als plötzlich die königliche Dame, bemüht, die Hieroglyphen auf ihrer eigenen anmutigen Gestalt vorzuweisen, sich einen Augenblick lang vorbeugte, sich plötzlich umdrehte und den Saum ihres Kleides hochhob, um so den entsetzten Franzosen einen Anblick zu bieten, der diese Hals über Kopf in die Flucht jagte. Sie stürzten sich in ihr Boot und entflohen vom Schauplatz einer so schrecklichen Katastrophe. - Herman Melville, Typee. Ein Blick in das polynesische Leben.... München 1970 (zuerst 1846)

Tätowierung (3)  Mit geschlossenen Augen machte er alle Knöpfe seines Hemdes auf. Er ließ seine Hand hineingleiten und tastete über seine Brust. »Sonderbar«, sagte er, immer noch mit geschlossenen Augen. »Man kann sie nicht fühlen, aber sie sind doch da. Ich hoffe unentwegt, daß ich eines Tages hinsehen werde, und sie sind verschwunden. Stundenlang trabe ich an den heißesten Tagen durch die Sonne und hoffe, daß mein Schweiß sie wegwaschen loird, daß die Sonne sie fortbrennt, aber am Abend sind sie immer noch da.« Er drehte sich ein wenig zu mir hin und zog mit beiden Händen das Hemd über seiner Brust weit auseinander. »Sind sie auch jetzt noch da?«

Ich hielt unwillkürlich den Atem an. »Ja«, sagte ich nach einer langen Pause. »Sie sind immer noch da.«

»Ein weiterer Grund, warum ich mein Hemd bis zum Kragen zugeknöpft lasse«, sagte er, »sind die Kinder. Sie laufen mir auf den Landstraßen nach.«

Er zog sein Hemd aus und legte es zusammen. Von einem blauen, eintätowierten Ring um seinen Hals war er bis zur Gürtellinie mit Illustrationen bedeckt.

»Und genauso geht's weiter«, erriet er meine Gedanken. »Ich bin am ganzen Körper tätowiert. Sehn Sie.» Er öffnete seine Hand.
Auf der Innenseite war eine Rose abgebildet, zwischen deren zart-rosa Blütenblättern kristallklare Tautropfen standen.

Ich kann kaum sagen, wie überwältigt ich dasaß und ihn anstarrte; der ganze Mann floß förmlich über iion Bildern, so echt in den kleinsten Einzelheiten und in der färbe, daß ich leise Stimmen aus den Menschenmengen, die seinen Körper bewohnten, murmeln zu hören glaubte. Wenn sein Fleisch sich bewegte, zuckten die kleinen Münder, blinzelten die winzigen grüngoldenen Augen, gestikulierten die winzigen rosa Hände. Gelbe Wiesen und blaue Flüsse und Berge waren da, und Sterne und Sonnen und Planeten zogen wie in einer Milchstraße über seine Brust. Die Menschen verbreiteten sich in zwanzig oder mehr sonderbaren Gruppierungen über seine Arme und Schultern, seinen Rücken, die Seiten und die Handgelenke und auch über seinen Bauch. Man fand sie in Wäldern von Haaren, versteckt zwischen einer Konstellation von Sommersprossen oder aus den Achselhöhlen lugend, mit glitzernden kleinen Diamantaugen. Jeder schien völlig versunken in seine eigene Betriebsamkeit; jedes Gesicht war vergleichbar mit einem Porträt von Meisterhand.

»Einfach wunderbar!« rief ich aus.

Hätte El Greco in seiner Blütezeit Miniaturen gemalt, nicht größer als eine Handfläche, unendlich detailliert, mit seinen schwefligen Farben, seiner Exaktheit und seiner Gliederungskunst — der Körper dieses Mannes hatte seine Leinwand sein können, Die Farben brannten in drei Dimensionen; sie waren Fenster, die den Blick auf eine feurige Wirklichkeit freigaben. Hier, zusammengerafft auf einer einzigen Ausstellungswand, befanden sich die schönsten Stücke des Universums; der Mann war eine wandernde Kunstgalerie. Das war nicht die Arbeit eines billigen Rummelplatz-tätowierers. Es war das Werk eines Genies, voll vibrierenden Lebens, klar und wunderschön.

»Oh ja«, sagte der illustrierte Mann; »ich bin so stolz auf meine Illustrationen, daß ich sie am liebsten abbrennen möchte. Ich hab's schon mit Sandpapier versucht, mit Salzsäure, mit dem Messer . ..«

Die Sonne sank hinter den Horizont. Der Mond stand bereits hoch im Osten.

»Sie müssen nämlich wissen«, fuhr der illustrierte Mann fort, »diese Bilder sagen die Zukunft voraus.«

Ich schwieg.

»Solange die' Sonne scheint, ist alles in Ordnung«, sprach er weiter. »Tagsüber könnte ich schon in einer Schaubude arbeiten. Aber nachts — nachts fangen die Bilder an, sich zu bewegen. Sie verändern sich.« - Ray Bradbury, Der illustrierte Mann. München 1972 (Heyne 3057)

Tätowierung (3) Roland de Mendebourg wurde 1148 als Sohn einer adligen Familie im Bourbonnais geboren, einer Provinz, in der man zu jener Zeit nach einem sonderbaren Brauch jedes Kind aus angesehener Familie bei seiner Geburt einem Astrologen anvertraute, der feststellte, welcher Stern über seinem Eintritt in die Welt waltete, um dann dem Kinde auf besondere Weise den Namen dieses Sterns als Monogramm in den Nacken zu prägen. Mit zarter Vorsicht führte der Mann der Wissenschaft eigens hierfür erfundene Instrumente nacheinander senkrecht in die Nackenhaut ein, winzige, wunderbar dünne Nadeln, die kaum einen Zoll lang waren und eine magnetische Spitze besaßen. Er richtete es so ein, daß die kompakte Masse, unter der Epidermis sichtbar, die gewünschte Figur zeigte, und sie damit für immer festlegte. Der Zweck der Operation war, den Betreffenden während seines ganzen Lebens unaufhörlich mit dem bezeichneten Gestirn zu verbinden, damit es ihn dank seiner magnetischen Ausstrahlungen, die von den magnetisierten Nadelspitzen angezogen wurden, schützen und führen sollte.

Man wählte den Nacken, damit die Ausstrahlungen des Himmels, bevor sie die Nadeln erreichten, durch das Gehirn hindurch gingen, um so in die Tiefe des Gedankens köstliche Klarheit zu gießen.  - (sol)

Haut Schmuck
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