Sie verharrt auf einem Fuß, hebt den anderen, legt das Knie rechtwinklig an und fällt wieder in den Stand. Das ist nicht mehr Ägypten, das ist negerhaft, afrikanisch, was Wildes, ebenso hitzig, wie das andere gelassen ist.
Anderer Schritt: den linken Fuß an die Stelle des rechten setzen und den rechten an die Stelle des linken, abwechselnd, sehr schnell.
Die Decke, die in ihrer Hütte als Teppich diente, warf Falten; von Zeit zu Zeit hielt sie inne, um sie zurechtzuziehen.
Sie zog sich aus; auf dem Bauch trug sie einen Gürtel aus bunten Perlen, und ihre lange Halskette aus Goldpiastern fällt bis auf ihre . . .; sie steckt sie mit einem Ende in den Perlengürtel.
Beim Tanzen rasende, wilde Bewegungen mit den Hüften, ihr
Gesicht bleibt dabei immer ernst. Ein kleines Mädchen von zwei
oder drei Jahren, in welchem das Blut sich regte, versuchte sie
zu imitieren und tanzte von allein los, ohne etwas zu sagen.
- (
orient
)
Tänzerin (2) Von Mallarmé stammt das Wort: die Tänzerin sei keine Frau, die tanzt: denn erstens sei sie keine Frau und zweitens tanze sie nicht.
Diese tiefsinnige Bemerkung hat nicht nur einen tiefen Sinn: sie ist wahr; und sie ist nicht nur wahr, will sagen: man wird in ihr, bei längerem Nachdenken, nicht nur immer mehr bestärkt, sondern sie ist überdies beweisbar, und ich habe sie mit eigenen Augen bestätigt gesehen.
Den unbeschwertesten, geschmeidigsten, wollüstigsten aller
Tänze sah ich auf einer Leinwand, auf der große Medusen gezeigt
wurden: keine Frauen also, und sie tanzten nicht. Keine Frauen,
aber Wesen aus einem unvergleichlichen, durchscheinenden und
empfindliehen Stoffe, irrsinnig reizbare Leiber aus Glas-Kuppeln
fließender Seide, diaphane Kronen, lange lebendige Peitschenschnüre,
von ständigen hastigen Wellen durchströmt, wogende Fransen und
Rüschen, die sie fälteln und wieder entfalten, während sie sich
wenden, wandeln, entziehen, selber nicht minder flüssig als der
lastende Körper, der sie flüssig umdrängt, sich mit ihnen vermählt,
sie allenthalben stützt, jeder noch so leisen Biegung ihrer Gestalten
nachgibt, sich im Nu hinter ihnen schließt. Hier, in der unendlich
gedrängten Fülle des Wassers, die ihnen
nicht den mindesten Widerstand zu bieten scheint, verfügen diese
Geschöpfe über ein denkbares Höchstmaß an Beweglichkeit, lösen
und straffen abwechselnd ihre strahlende Symmetrie.
Nirgends ein Grund, nichts Festes für diese absoluten Tänzerinnen;
keine Dielen; aber eine Umgebung, in der man sich lauter Stützpunkten
überläßt, die nach jeder beliebigen Richtung hin ausweichen.
Ebensowenig ein Festes in ihren Leibern aus elastischem Kristall:
keine Knochen, keine Gelenke, noch sonst irgend bestimmte Verbindungen,
keine Einzelteile, die man zählen könnte ... Nie hat eine menschliche
Tänzerin, ein erhitztes, vom Rausch der Bewegung, dem Gift seiner
überreizten Kräfte, der glühenden Gegenwart
gierig heischender Blicke trunkenes Weib, die gebieterische Hingabe
des Geschlechts und das Bedürfnis der Prostitution so hinreißend
auszudrücken vermocht wie jene große Meduse, die mit stoßweisen,
gleitenden Bewegungen ihrer flutenden, üppig gesäumten Röcke,
die sie seltsam herausfordernd und unkeusch immer wieder hochnimmt,
zum Traum aus den Reichen des Eros sich wandelt — : um plötzlich,
all die flatternden Falbeln, ihre Gewänder aus zerschnittenen
Lippen weit zurückschlagend, umzustürzen und sich zur Schau zu
stellen, fürchterlich offen. - (
deg
)
Tänzerin (3) Sie wurde mit elf Jahren zur Tänzerin bestimmt. Bei ihrer Neigung zu Gliederverrenkungen, Grimassen und bei ihrem sonderbaren Temperament schien sie für diesen Beruf geeignet. Läppisch bis dahin in jedem Schritt, lernte sie jetzt ihre federnden Bänder, ihre zu glatten Gelenke zwingen; sie schlich sich behutsam und geduldig in die Zehen, die Knöchel, die Kniee ein und immer wieder ein, überfiel habgierig die schmalen Schultern und die Biegung der schlanken Arme, wachte lauernd über dem Spiel des straffen Leibes. Es gelang ihr, über den üppigsten Tanz Kälte zu sprühen.
Mit achtzehn Jahren hatte sie eine kleine seidenleichte Figur, übergroße schwarze Augen. Ihr Gesicht fast knabenhaft lang und scharfgeschnitten. Die Stimme hell, ohne Buhlerei und Musik, abgehackt; ein rascher ungeduldiger Gang. Sie war lieblos, sah klar auf die unbefähigten Kolleginnen und langweilte sich bei ihren Klagen.
Mit neunzehn Jahren befiel sie ein bleiches Siechtum, so daß
ihr Gesicht abenteuerlich fahl vor dem blauschwarzen Haarknoten
schimmerte. Ihre Glieder wurden schwer, aber sie spielte weiter.
Wenn sie allein war, stampfte sie mit dem Fuße, drohte ihrem
Leib und mühte sich mit ihm ab. Keinem sprach sie von ihrer Schwäche.
Sie knirschte mit den Zähnen über das Dumme, Kindische, das sie
eben zu besiegen gelernt hatte. - Alfred Döblin, Die Tänzerin
und der Leib. In: A.D., Die Ermordung einer Butterblume und andere
Erzählungen. München 1965 (zuerst 1910)
Tänzerin (4)
- (
grand
)
Tänzerin (5) Alle Welt hinter den Ladentischen, besonders in der Provinz, weiß, daß die Studien beispielsweise eines Malers im Grunde nur eine ausgedehnte Juxzeit sind. Was die literarischen Anfänge eines Dichters betrifft, so ist das etwas ganz anderes, und man sollte sich hüten, Anspielungen darauf vor jungen Damen zu machen.
O meine Jugendstreiche! O die Tänzerinnen, die ich im Glänze meiner zwanzig Jahre ausgeholten habe! Aber wie denn? Weiß nicht jeder in den Einzclhandelsgeschäftcn und auf den Samtpfühlen, die methodisch von den staatlichen Verwaltungen aufgebläht werden, daß ich das auch weiterhin tue? Wie immer hat der BÜRGER den großen Durchblick.
Gleichwohl bleibt da etwas dunkel. Wo zum Teufel holen sich diese Schluckspechte von Künstlern ihre Hupfdohlen her? Eine derart beständige und beispiellose Orgie setzt doch eine unendliche Zahl voraus. Die leider allzu einfache Erklärung kann den traurigen Fall der Dichter nur verschlimmern.
Diese Tänzerinnen sind nur eine Tänzerin, seit Generationen immer
nur dieselbe eine Tänzerin. Sie hat Augen, die Lampen ähneln, wie sie in Kellerlokalen
aufgehängt werden, sie hat einen bleigrauen Teint, das Gesicht eines Totenkopfes,
die Finger um den faltigen Busen gekrallt, und sie tanzt, wenn Sie es denn genau
wissen wollen, den Tanz des leeren Bauches vor den Kredenzen der Friedhöfe
. .. - (
bloy
)
Tänzerin (6) Lispeth die tänzerin
war die tochter eines reisenden russen und einer schlampe, ihre kindheit hatte
sie in den verruchtesten vierteln Cairos verbracht, ihre schule war die gosse
und später eine anarchistenwerkstätte gewesen, ihre sprache besaß noch immer
den leichtlebigen ton der banlieue der nilmetropole, den hatte sie auch an der
Seine nicht verloren. Durch einen bankdirektor
wurde sie reich, sie wurde eine unermeßlich reiche witwe, die sich der kunst
verschrieb, doch das gehört in ihre noch zu verfassende biografie und nicht
in diesen meinen bericht einer nacht, die mir einigen spaß machte. - (
dru
)
Tänzerin (7) Das Anwesen,
zu dem noch ein größeres Mietshaus mit möblierten Wohnungen
gehörte, war Ende der zwanziger Jahre Eigentum und Erwerbsquelle einer Frau,
die als Tänzerin unter dem Namen Caryathis in Balletten von Ravel, Satie, Auric
und Poulenc aufgetreten war und der es bestimmt sein sollte, schon bei Lebzeiten
mythischen Rang zu gewinnen: Elisabeth Toulemon, ein abenteuerliches Geschöpf,
mit immer noch erheblichen körperlichen Reizen ausgestattet, als sie der Bühne
entsagte und mit sich zu Rate ging, ob sie lieber in einen Orden eintreten oder
etwa mit dem Dichter Max Jacob eine Josephsehe
schließen sollte. Da machte sie durch Vermittlung ihrer gemeinsamen Freundin,
der Malerin Marie Laurencin, die Bekanntschaft des damals vierzigjährigen
Marcel Jouhandeau, den sie im Juni 1929 als Ehegatten heimführte in ihr Haus.
- Nachwort zu: Marcel Jouhandeau, Das Leben und Sterben eines Hahns. Tiergeschichten.
Stuttgart 1984 (zuerst 1947 u.ö.)
Tänzerin (8) Dies ist die Geschichte
einer Tänzerin, die im letzten Sommer eines Tages mit dem Bus hier unten eintraf,
um künftig hier zu leben. Was sie in der Vergangenheit getrieben hatte, fragten
wir nicht - was ihre Augen nicht sagten, war nicht wissenswert -, doch sie war
ungeheuer offenherzig. Eines Nachts stand dies Mädchen (es war im Polly) vom
Tisch auf, weil sie am Telefon verlangt wurde. An ihrer Seite saß ein junger
Russe, und als sie hinausging, sagte sie zu ihm: »Hör zu, keine von euren schmutzigen
slawischen Tricks - untersteh dich, dich an meinem Kaffee zu vergreifen, während
ich weg bin - wehe!«, und von der anderen Seite des Tisches rief jemand dem
auf diese Weise angesprochenen Jungen zu: »Na, du Kosake, wie stehst du nun
da?« Augenblicklich war die Tänzerin zurückgerannt gekommen, hatte dem Jungen
die Arme um den Hals geworfen und gerufen: »Ein Kosake, wie großartig! Ich habe
von euren Greueltaten gehört«. - Djuna Barnes, New York. Berlin 1987 (zuerst
ca. 1917)
Tänzerin (9) Sie gähnte wollüstig dem Schulmeister mitten ins Gesicht, ohne etwas von ihrem scharlachroten Schnäuzchen zu verbergen; dann hob sie die Arme, verharrte ein paar Augenblicke lang auf den Zehenspitzen und reckte sich. Die beiden andern traten neben sie; das Beispiel der Schwester hatte wohl ihre Schüchternheit hinschwinden lassen, denn ihr Haar hing ihnen jetzt über den Rücken hinab, und sie stellten tapfer zur Schau, was sie eben noch hatten verbergen wollen. Sie waren ebenso alt wie ihre Schwester (an die zweitausend Jahre, wenn den lateinischen Worten Glauben geschenkt werden durfte), indessen weniger entwickelt als diese; ihre Achselhaare schimmerten stumpfer, und ihre Brüste waren von der ein wenig lilienhaften Anmut, wie man sie nur bei sehr jungen Mädchen wahrnimmt.
Mit ineinander verschränkten Händen bildete das Trio erst einen Kreis und
alsdann mit ausgestreckten Armen ein Dreieck. Das war der Anfang eines ruckhaften
Tanzes (wie der von Püppchen auf dem Deckel einer Spieldose); er zeichnete Figuren,
die ebenso schnell abgebrochen wie gestaltet wurden, aber von einer so strengen
Geometrie waren, daß dieser Tanz den Lehrer fesselte; er hätte ihn sicher in
den Zustand der Hypnose versetzt, wenn er länger angedauert hätte. Zur Begleitung
ihrer Tanzschritte sangen die Schwestern wiederum
lateinische Sätze; sie sangen mit zornigen, dumpfen Stimmen, wie es die Dienstboten
und Kurtisanen hinter den Eisenstangen vergitterter
Fenster tun, wie es Frauen im Gefängnis tun würden, herrschte nicht Schweigegebot.
Während sie sangen, wurde ihre Körperfarbe auf seltsame Weise leuchtender; sie
gedieh zum hellen Rot der Kohlenglut, wenn das Feuer gut im Gang ist, und dann
bildete sich bei einer nach der andern eine kurze Flamme,
die die drei Tänzerinnen verzehrte. - André Pieyre de Mandiargues, Die Steinhetären.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
Tänzerin (11)
Tänzerin (12)
Tänzerin (13) ELISE : «Ich kenne nur eine Tugend: die Stärke.»
ELISE: «Eine Tänzerin ist nicht, wie die Leute glauben, eine schwache Frau, sondern im Gegenteil eine starke, und wenn die jungen Mädchen der Gesellschaft wüßten, welche Qualen man erdulden, welche Anstrengungen man leisten muß, um auf die Bühne 2U gelangen und sich dort auf den Zehenspitzen zu halten, sie würden sich vor dem Tanz verneigen wie vor einer Askese.»
Was Elise von der Tänzerin geblieben ist: die Erinnerung an eine unerbittliche
Disziplin, die Gewohnheit der Härte gegen sich selbst und einer gänzlichen Fühllosigkeit
gegenüber den anderen, die Leidenschaft der Haltung und des Triumphes über alles,
was ihre Freiheit hemmen, ihre Glieder fesseln will, eine gewisse Berufung zum
Unmenschlichen, zum Übermenschlichen, zum Erhabenen.
- Marcel Jouhandeau, Elise. Reinbek bei Hamburg
1968 (zuerst 1933 ff.)
Tänzerin (14)
Lili St. Cyr, burlesque dancer.
Arrested in Los Angeles
in 1947
for lewd behavior
while dancing at the Follies Theater
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