Synästhesie

 

- Roland Topor

Synästhesie (2)  «Trifft das Licht im Rechten Winkel auf eine der Aegyptischen Pyramiden, so ruft's einen Klang hervor.» Solche Behauptung, im citirten Wortlaut, ist mir irgend wo untergekommen - mag sein in einer der Anmerkungen zum Apollonius. Das Ganze, so dünkt mich, ist wol Nichts denn der baare Unsinn - allein, ich will nicht voreilig urteilen. Nämlich, das Orange des Spectrums und das Sirren der Gelse (welches niemals das obere A übersteigt) rufen in mir fast die nämliche Empfindung hervor. Vernehm' ich die Gelse, so wird's mir orange vor den Augen. Erblick' ich die Farbe, so glaub' ich die Gelse zu hören.

Im einen Fall mögen die durch das Sirren der Gelse hervorgerufnen Schwingungen des Trommelfells von innen her die Netzhaut in abnorme Vibration versetzen, in eine Vibration, wie sie normaler Weise nur von außen zustande kömmt - eben durch die Strahlung der Farbe Orange. Auf ähnliche Weise, wenn auch nicht mit gleicher Schnelligkeit - dies wär' ja absurd -, könnte im ändern Fall etwa jede millionste Schwingung der Netzhaut mit einer solchen des Trommelfells accordiren, und so bin ich durchaus nicht so sicher, ob Dergleichen für den genannten Effect nicht ausreichen mag. - Edgar Allan Poe, Marginalien. In: E. A. Poe, Werke III. Olten 1968

Synästhesie (3)   Ich möchte hier einen Gedanken anknüpfen, der einen Genuß höheren Grades betrifft, nämlich den der stereoskopischen Sinnlichkeit. Das Entzücken, wie es eine solche Farbe erweckt, beruht auf einer Wahrnehmung, die mehr als die reine Farbe umfaßt. In diesem Falle trat etwas hinzu, was man den Tastwert der Farbe nennen könnte, ein Hautgefühl, das den Gedanken der Berührung angenehm erscheinen ließ. Dieser Tastwert tritt vor allem an sehr leichten und sehr schweren, aber auch an den metallischen Farben hervor. Es ist gewiß, daß viele Maler, so Tizian in seinen Gewändern und so Rubens in seinen Körpern, von denen Baudelaire als von »Kissen frischen Fleisches« spricht, die Reichweite ihrer Mittel auch auf das Gebiet des Hautsinnes hinüberzuspielen verstanden. Auch ganzen Bildgattungen wohnt diese Eigentümlichkeit inne, so dem Pastell; und es ist kein Zufall, daß die Pastellmalerei sich mit Vorliebe den anmutigen Frauenkopf zum Vorwurf nimmt. Sie gehört zu den erotischen Künsten; und es hat etwas Symbolisches, daß ihr »Sammet«, der erste, volle Schmelz ihrer Farben, so bald verlorengeht.

Auf stereoskopische Weise besonders genießen wir die Karnation, die Laubgebung, den Strich, Lasur, Transparenz, Firnis und die Eigenart des bildtragenden Materials, etwa die Maserung der Holztafel, den gebrannten Ton der Vase oder die kreidige Porosität der gekalkten Wand.

Stereoskopisch wahrnehmen heißt also, ein und demselben Gegenstande gleichzeitig zwei Sinnesqualitäten abgewinnen, und zwar — dies ist das Wesentliche — durch ein einziges Sinnesorgan. Dies ist nur auf die Weise möglich, daß hierbei ein Sinn außer seiner eigenen Funktion noch die eines anderen übernimmt. Die rote, duftende Nelke: das ist also keine stereoskopische Wahrnehmung. Stereoskopisch dagegen nimmt man die sammetrote Nelke, stereoskopisch den Zimmetgeruch der Nelke wahr, mit dem nicht nur der Geruchssinn durch eine aromatische, sondern gleichzeitig der Geschmack durch eine Gewürzqualität betroffen wird. Stereoskopisch wirkt auch der Salzgeruch des Meeres, der durch den Geruchssinn vermittelt wird, obgleich sowohl das Feuchte wie das Salzige geruchlos sind. Es kommen hierbei auch immer andere, durchdringende Gerüche in Frage: faulender Tang, am Strande trocknende Fische oder Bootsteer, denen die feuchte, beizende Luft als tragendes Mittel, ganz ähnlich wie in der Malerei, eine besondere Tönung verleiht. So scheint auch vielen das Kölnische Wasser mehr eine Erfrischung als ein eigentliches Parfüm; aus diesem Grunde setzt man ihm gern einen Tropfen Moschus zu.

Die Verwandlung von Tönen in Farben ist durch E. Th. A. Hoffmann bekannt geworden; die Franzosen haben unter der Führung von Theophile Gautier dieses Thema erschöpft. Wesentlich ist, daß die Farbe gehört, nicht etwa gesehen wird, so wie das Meersalz wirklich gerochen und nicht etwa geschmeckt werden muß. Ebenso wesentlich ist, daß der Ton sowohl als Ton wie als Farbe wahrgenommen wird, denn ein reines Farbenerlebnis, das sich lediglich der Bahnen des Gehörs bediente, würde höchstens den Reiz des Sonderbaren besitzen.   - (ej)

 

Wahrnehming, sinnliche Gleichzeitigkeit

 

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