Symmetriebruch    Man kann sich beispielsweise einen Bleistift vorstellen, der auf der Spitze steht. Einen Augenblick lang ist der Bleistift der Inbegriff von Symmetrie und Gleichgewicht, doch dieser Zustand ist nicht von Dauer, denn der Bleistift fällt bald um. In welche Richtung wird er fallen? Er kann in jede beliebige Richtung fallen, aber er wird mit Sicherheit nur in eine fallen - danach liegt er auf dem Tisch und zeigt in eine ganz bestimmte Richtung. Er ist also eine asymmetrische Antwort auf eine symmetrische Frage.

Der auf der Spitze stehende Bleistift entspricht Glashows Modell der perfekten Symmetrie zwischen der schwachen und der elektromagnetischen Kraft - der elektroschwachen Kraft, wie Gott sie geschaffen hat, der idealen Wahrheit Platos. In diesem Modell hatte keines der Bosonen eine Masse, und in diesem Zustand befand sich die Welt, als sie geboren wurde: Bei hohen Energien und hohen Temperaturen waren die elektromagnetischen und die schwachen Kräfte identisch. Der umgefallene Bleistift hingegen verkörpert den realen Ausdruck dieser idealen Wahrheit in der heutigen Welt - einige Bosonen haben eine Masse, andere keine. Was wir heute haben, ist der Zustand der gebrochenen Symmetrie. Die Welt basiert laut Weinberg und Salam auf Schönheit und Symmetrie, aber bei einem niedrigen Energieniveau sind Schönheit und Symmetrie verborgen und können nur mathematisch rekonstruiert werden. Wie kam es nun zu dieser Symmetriebrechung? Zur Beantwortung dieser Frage postulierten Weinberg und Salam eine neues kosmisches Gebilde, das Higgs-Feld*, von dem sie annahmen, daß es wie eine unsichtbare Flüssigkeit den gesamten Raum ausfüllte und die Eigenschaften der Elementarteilchen bestimmte.

Wenn Weinberg erklären wollte, wie der Symmetriebruch funktionierte, verglich er das Higgs-Feld gerne mit einem unsichtbaren Ozean. Die Brechung der elektroschwachen Symmetrie war dem Gefrieren von Wasser vergleichbar. Ein Wassermolekül bildet mit seinen zwei Wasserstoffatomen und dem Sauerstoffatom eine Art flaches V. Oberhalb des Gefrierpunkts, also bei über null Grad Celsius, kann ein einzelnes Wassermolekül in jede beliebige Richtung zeigen - alle Richtungen sind gleichberechtigt -, der Raum ist für das Wassermolekül symmetrisch. Unterhalb des Gefrierpunkts verbinden sich dagegen die Moleküle zu der kristallinen Struktur von Eis, das Molekül ist nicht mehr frei - die Richtungen sind nicht mehr gleichberechtigt.

Den Wechsel von einer Flüssigkeit zu einem Feststoff oder von einem Gas zu einer Flüssigkeit nennt man einen Phasenübergang. Weinberg nahm an, daß das Universum Phasenübergänge durchlaufen hatte, als es von einem energiereichen in einen energiearmen Zustand überging. Nur war es in diesem Fall das Higgs-Feld, das »gefror«, und es ging nicht eine Symmetrie der Richtungen im Raum verloren, sondern die Symmetrie zwischen den Kräften und Massen der Elementarteilchen. Die Kräfte gerieten aus dem Gleichgewicht. Die Physik, die in einem Gleichgewichtszustand begonnen hatte, war wie der gefallene Bleistift aus dem Gleichgewicht geraten, korrumpiert von den Higgs-Bosonen. Ein Teil der Symmetrie und Schönheit der Physik war dadurch verdeckt worden.   - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993

Symmetrie Bruch

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VB
Unregelmäßigkeit

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