ymbiose   Peter KROPOTKIN, der anarchistische Fürst, sprach uns auf andere Weise als Drummond oder Bebel die Existenzberechtigung ab. Er sang das Hohelied der Symbiose. Während Bebel der Biologie nur en passant mit Floskeln von der Degeneration der Rasse und dem »immer schwerer werdenden Kampf ums Dasein« die Reverenz erwies, schrieb der Anarchist ein ganzes Buch über die Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt (1902).

Er pries die Ameisen und Bienen, die Jagd- und Fischvereinigungen der Tiere, die Brutgenossenschaften und Herbstgesellschaften: »Was das Kaninchen angeht, so lebt es in Gesellschaften und sein Familienleben baut sich vollständig nach dem Vorbild der alten patriarchalischen Familie auf; die Jungen müssen dem Vater und selbst dem Großvater unbedingt gehorchen.«

Er bewunderte die friedlichen Gemeinschaften der kanadischen Bisamratten, »die nichts begehren, als in Frieden gelassen zu werden, um heiter zu genießen«, und die bei ihm über gewölbte Häuser aus festgetretenem Lehm und Schilfrohr verfügen: »Ihre Hallen sind zur Winterszeit gut mit Teppichen belegt.«

Kropotkin stellte den Sozialdarwinismus auf den Kopf und hörte die Vögel reden: »Augenscheinlich erörtern sie die Einzelheiten der Reise«, bevor sie im Herbst in eine »wohlgewählte Richtung« abreisen. Ein Totengräberkäfer, der eine verendete Maus entdeckt hat, ruft vier, sechs oder zehn andere Käfer, »um das Werk mit vereinten Kräften zu vollbringen; wenn nötig schaffen sie die Leiche nach einem geeigneten Ort mit lockerem Boden; und sie bestatten sie sehr andächtig, ohne sich darüber zu zanken, wer von ihnen das Vorrecht haben soll, seine Eier in den bestatteten Körper zu legen.«

Von den Gesellschaftsgeiern, die sich bei ihm zum Vergnügen in großen Scharen zu Hochflügen vereinten, ging Kropotkin zur Menschheit über, zu den Stammesgesellschaften und den Pfahlbürgern, den Clanorganisationen, den Dorfmarkgenossenschaften, den Gilden und Innungen, den Gewerkschaften und Arbeitsassoziationen, zu den »zahllosen Vereinen zur vereinten Tätigkeit auf allen möglichen Gebieten«. Immer wieder war von der Natur als dem gemeinsamen Feind die Rede, von Kälte, Hitze, Wind und Wetter, und nur einmal, ganz nebenbei, von einer Ausnahmeerscheinung, die ganz entfernt an einen Kuckuck erinnerte:

»Wenn ein fauler Sperling die Absicht hat, das Nest, das ein Genosse baut, sich anzueignen, oder auch nur ein paar Strohhalme daraus stiehlt, dann wendet sich die Gruppe gegen den faulen Genossen; und es ist klar, daß keine Nestgenossenschaften von Vögeln ohne die Regel dieser Einmischung existieren könnten.«  - (para)

Symbiose (2) Das Verhältnis des Landmannes zu seinen Kulturgewächsen, den Getreide-, Gemüse- und Obstarten, ist nichts anderes als ein Fall echter Symbiose, die das höchstorganisierte Tier mit einer Anzahl von Pflanzenarten abgeschlossen hat. Man wird mir vielleicht einwenden: das ist eine sonderbare Symbiose, wo eins das andere auffrißt — denn das tut ja der Mensch mit den Früchten des Feldes und des Gartens —; sollte man eine derartige Genossenschaft nicht lieber als Schmarotzertum, als Parasitismus bezeichnen, dem Menschen die Rolle des Schmarotzers, der jeweils zum Verspeisen bestimmten Pflanze die Rolle des geprellten Wirtes zuteilen? Nicht doch! Denn wenn die Brüderschaft zwischen Mensch und Pflanze der letzteren ungeheure Opfer an Individuen auferlegt, so hat trotzdem auch sie im Rechnungsabschluß große Vorteile zu verzeichnen: dauernden Schutz (nicht des einzelnen Individuums, aber der Art), stärkere Vermehrung und Verbreitung, als sie ihr sonst zuteil würde, und unter sorgsamer Pflege ein üppiges Gedeihen, das sich im Vergleiche zu den wilden Stammpflanzen durch verschiedene Merkmale der sogenannten Veredelung kenntlich macht. - Dr. Paul Kammerer, Genossenschaften von Lebewesen auf Grund gegenseitiger Vorteile (Symbiose) 1913, nach (para)

Symbiose (3)

Symbiose (4)  Zugegeben, die Symbiose Mensch-Rind hat im Lauf der Jahrhunderte eine gewisse Balance erreicht (erlaubt sie doch beiden Gattungen weiter, sich zu vermehren), wenn auch eine asymmetrische (zwar liefert der Mensch dem Rind die Nahrung, aber er ist nicht gehalten, sich ihm persönlich als Speise darzubieten), und sie hat das Blühen der sogenannten menschlichen Zivilisation garantiert, die jedoch mindestens zu einem Teil die mensch-rindliche genannt werden müßte (die partiell mit der mensch-schaflichen koinzidiert und noch partieller mit der mensch-schweinlichen, je nach den Alternativen einer komplexen Geographie religiöser Verbote). Herr Palomar partizipiert an dieser Symbiose mit klarem Bewußtsein und vollem Konsens: Obwohl er durchaus in dem von der Decke baumelnden Rinderrumpf die Person des eigenen gevierteilten Bruders erkennt und im Lendenschnitt die Wunde, die das eigene Fleisch verletzt, weiß er doch, daß er ein Fleischfresser ist, konditioniert durch seine Ernährungstradition, in einem Metzgerladen die Verheißung höchsten Gaumenglücks zu erfassen, sich beim Betrachten dieser rötlichen Scheiben die Streifen vorzustellen, die der heiße Rost und die Flammen auf den gegrillten Steaks hinterlassen werden, und das Vergnügen der Zähne beim Zerreißen der gebräunten Faser.

Das eine Gefühl schließt das andere nicht aus: Die Seelenlage Herrn Palomars, der in der Metzgerei Schlange steht, ist zugleich von Vorfreude und von Ehrfurcht geprägt, von Verlangen und von Respekt, von egoistischer Selbstsucht und von universalem Mitgefühl — eine Seelenlage, die andere vielleicht im Gebet ausdrücken. - (calv)

Symbiose (5) Es gibt eine seltsame und wunderbare Symbiose zwischen Floh und Mensch. Der Floh nährt sich vom Arm seines Lehrers und geht, so gestärkt, in die Arena zu seinem Auftritt. Das Geld, das auf diese Weise einkommt, nimmt der Lehrer, um sich eine Mahlzeit zu kaufen, um sein Blut anzureichern, damit der Darsteller, der Floh, wieder zu essen bekommt und weiter auftreten kann. So ergibt sich ein perfekter Zyklus, Floh und Mensch ernähren einander, ein jeder trägt zu ihrer gemeinsamen Existenz bei.

So weit, so gut, aber ich war derjenige, der entdeckt hat, daß noch etwas anderes als schlichtes Einander-Ernähren in dieser Gemeinschaft eine Rolle spielen muß. Es muß auch eine Symbiose der Gefühle geben. Achtung, Sympathie, Verständnis und Liebe - jawohl Liebe - müssen dasein, denn der Floh, dieses zitternde Häuflein von Feingefühl, hat all diese Dinge verzweifelt nötig. Und im Gegensatz zu  anderen Trainern war ich derjenige, der sie ihnen gab. Grausamkeit, das war die Regel bei den anderen. Das strenge Wort, die schwere Hand - das war alles, was meine Kollegen über die Art, einen Floh zu lehren und zu meistern, wußten. Mein Gesetz war Güte, und hierin liegt der Grund, weshalb ich mich zu Erfolgen emporschwang, während all die anderen im Sumpf des Mißerfolgs steckenblieben. - Stanley Ellin, Beidenbauers Floh. In: St.E,: Der Acht-Stunden-Mann. Bern u. München 1986

Symbiose (6) Man denke sich in den Tiefen der Untersee einen zähen, klugen Taschenkrebs, welcher nistet auf dem Höhlenhaus eines im Dunkel sich vollsaugenden, schleimigen Quallentieres, etwa eines pflanzenhaften Riesenpolypen,so hat man ein ungefähres Bild für die merkwürdige "Symbiose" von Triebverbrechen und Intelligenzdrohnentum, von Lebensirrsinn und Geistschmarotzerei, welche vom Oktober 1919 ab den blonden zarten mädchenhaften Hans Grans (den dennoch zäheren und wehrfähigeren) mit dem um 24 Jahre älteren weibisch rohen, schwammigen und wüsten Haarmann untrennbar verband. Grans ist ein hübscher, lebensgieriger, eigenbezüglicher Junge aus einem kinderreichen Elternhaus, wo Frau Sorge wohl oft saß an Stelle der Seele. Die Eltern haben in der dunkelsten Altstadt einen kleinen Papier- und Buchbinderladen mit einer Leihbücherei alter Schmöker, aus denen der ehrgeizige, liebenswürdige Schlingel sich Fernweh anlas nach großem Leben und vornehmer Welt. - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925

Symbiose (7)  

Symbiose (8)  - Und was steht in der Zeitung? fragte Paul.

-Da steht nichts drin von all dem. Aber da ... sehen Sie her... drei Spalten für einen Krieg ... daneben, zwei für einen Ministerwechsel. . . eine für einen Boxkampf. . . eine für eine Wahl in die Akademie... Das ist doch alles kollektiv, räudig, epidemisch. Ich sage Ihnen noch einmal, Freund Paul, damit der Mensch genauso interessant wird wie ein Tier, muß er allein sein, im äußersten Falle weniger als drei - kennen Sie das Tier mit den zwei Rücken, Freund Paul? Sehr sonderbar, Freund Paul, sehr sonderbar. Und es ist bedauerlich, daß man es nicht im Museum sieht, ausgestopft. Es hat seltsame Sitten, das Tier mit den zwei Rücken, die im Grunde nichts mit feinem Benehmen, Hygiene, Philantropie und kindlicher, ehrlicher Höflichkeit zu tun haben. Schwupp! schwupp! die lustige Symbiose!    - Raymond Queneau, Mein Freund Pierrot. Frankfurt am Main 1964 (zuerst 1942)

Gegenseitigkeit Zusammenleben
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Synonyme