Supermarkt  Nach der Idee, die der Philosoph Robert Nozick entwickelt hat, könnten werdende Eltern aus einer Liste genetischer Möglichkeiten auswählen, welche Eigenschaften ihr Kind erhalten und welche Defekte korrigiert werden sollten. Ein Ehepaar in der Zukunft könnte den Wunsch haben, daß ihr Kind zwei Kopien eines mit musikalischem Talent verknüpften Gens besitzen, aber eines verlieren sollte, das eine größere Anfälligkeit für umweltbedingten Krebs verleiht. Andere Paare hätten ihre eigene Wunschliste. Da keine zentrale Planung durch eine kontrollierende Behörde hinsichtlich der Gesamtbevölkerung beteiligt sein würde, wäre es ebenso wahrscheinlich, daß sich die Vielfalt erhöht, wie daß sie abnimmt. Die Frage, welche Änderungen «bessere» Menschen bescheren, müßte jeder für sich selbst entscheiden. Die Antworten würden unterschiedlich ausfallen, so wie heute die individuelle Lebensweise variiert.

Die Rolle der Regierung wäre eher defensiv, um Kinder davor zu schützen, daß sie durch nachteilige oder eigenwillige Auswahlentscheidungen der Eltern Schaden nehmen, ebenso wie die Kinder heute durch das Gesetz vor Grausamkeiten geschützt werden. Gelegentlich könnte ein Eingriff im Interesse der Gesellschaft notwendig sein, um zu verhindern, daß das Verhältnis der Geschlechter zu unausgewogen wird, aber dies könnte durch Beihilfen und Lotterien anstatt durch Zwang geschehen.  - Robert Shapiro, Der Bauplan des Menschen. Frankfurt am Main 1995 (zuerst 1991) 

Supermarkt (2)

- Christophe Huet

Supermarkt (3) James stand in der Mitte zwischen Randy, der immer noch am Boden lag, und der zweiten Kasse. Erst zielte er mit seinem Revolver auf die Kassiererin, dann wirbelte er herum und richtete die Waffe auf Randy. Vor lauter Angst und Aufregung drückte er immer wieder auf den Abzug, und der ungeladene Revolver klickte wie ein billiger Wecker.

Der Safe stand offen, wie James es vorliergesagt hatte. Der Geschäftsführer und seine Assistentin hielten die Hände hoch über die Köpfe, als Troy in den engen Käfig kam. Der Geschäftsführer trat mit dem linken Fuß hinter sich und stieß gegen einen Knopf an der Wand. Glocken schrillten überall im Geschäft, und draußen über dem Eingang blitzte ein rotes Blinklicht auf.

Troy schoß dem Manager in den Bauch. Sofort bildete sich ein dunkelroter Fleck, so groß wie eine Grapefruit, auf dem weißen Hemd. Das dunkle Blut wirkte beinahe schwarz neben der braunen Krawatte. Als die schweren Schrotkörner aus seinem Rücken herausdrangen und das Blut auf die Frau neben ihm spritzte, war der Fleck schon größer geworden. Die grauhaarige Frau japste einmal, als die Schrotflinte losging, und ihre leicht hervorquellenden Augen drehten sich in ihren Höhlen nach oben. Ihre Beine gaben nach, und ohnmächtig kippte sie seitwärts über die Leiche des Geschäftsführers. Troy drückte ihr den kurzen Lauf in den Nacken und feuerte die zweite Patrone ab. Der Schrot trennte ihren Kopf halb vom Körper.

Troy lud die Schrotflinte und verließ den Käfig. Die leeren Patronenhülsen steckte er in die Tasche. James gelanges, seinen Revolver in die Tasche zu stecken, und er kam durch die aufgeklappte Theke in den Käfig. Schaudernd kniete er neben den beiden Toten nieder und fing an, das Geld aus dem Safe in seinen Müllsack zu packen.

Beim Knall des ersten Schusses aus der Schrotflinte hatte Stanley sich auf den Boden geworfen und war zur nächsten Kasse gekrochen. Ausgestreckt blieb er am Boden liegen und bedeckte den Kopf mit beiden Händen. Da war etwas schiefgegangen, dachte er. Troy hatte ihnen gesagt, es würde nicht geschossen werden. Bestimmt hatte der Geschäftsführer versucht, zur Waffe zu greifen.

Die Kassiererin zitterte, aber davon abgesehen hatte sie sich nicht mehr gerührt, seit Troy den Überfall angekündigt hatte. Ihr Gesicht war grünlich fahl unter dem dicken Make-up, und ein schmaler weißer Ring umgab ihre purpurroten Lippen. Sie fing an zu urinieren und konnte nicht mehr aufhören, und eine große Pfütze bildete sich rings um ihre Füße. Ihre Lippen bebten, aber mit ihrer trockenen Kehle brachte sie keinen Laut hervor, als Troy auf sie zukam, die Schrotflinte in der ausgestreckten Rechten. Als er kaum mehr als einen halben Meter von ihr entfernt war, schoß Troy ihr ins Gesicht, und der blonde Kopf zerplatzte zu Blut und Hirn. Sie kippte rückwärts und rutschte auf den Boden. Mit der Linken raffte Troy die Geldscheine aus der Registrierkasse und stopfte sie in die Tasche seiner Windjacke. Als er sich wieder dem Käfig zuwandte, hatte Randy sich aufgerappelt und humpelte geduckt, so schnell er konnte, auf die Milch- und Käseabteilung im hinteren Teil des Ladens zu.

Troy rannte dem Jungen in seinen Nikes leichtfüßig nach, holte ihn ein und schoß ihn in den Hinterkopf. Der Körper des Jungen fiel vornüber und rutschte über den glatten Fußboden in eine zwei Meter hohe Pyramide aus Pfirsichdosen. Der Stapel stürzte ein, und die schweren Dosen kullerten und rollten scheppernd über das braune  Linoleum.

Stanley hob den Kopf über die Kassentheke, gerade so hoch, daß  er sehen konnte, wie Troy den Jungen erschoß. Als die Pyramide zusammenstürzte, ließ Stanley sich auf Hände und Knie fallen und kroch, so schnell er konnte, von den Kassen weg in den quadratisch-U-formigen Warenbercich. Verstecken konnte er sich hier nirgends, aber er preßte sich, so gut es ging, an einen großen Behälter mit«White Rose»-Kartoffeln.

«Sieh zu, daß du auch das Kleingeld mitnimmst, James!» rief Troy durch das Gellen der Alarmglocken, während er seine Schrotflinte nachlud.

«Hab ich schon! Ich hab alles«, Mann!» brüllte James. Er kam aus dem Käßg und schob sich seitwärts durch den Durchgang der Ser-vicethcke. Sein Müllsack enthielt Stapel von gebündelten Geldscheinen, aber die Rollen der Halb- und Vierteldollarstücke und der Fünfer und Zehner machten den Sack schwerer als erwartet. Troy hob sein Schrotgewehr, drückte James die Mündung gegen die Brust und feuerte. Dann hob er den Müllsack auf, sprang auf die Theke und spähte durch den Supermarkt.

«Plan geändert, Pop!» rief er. «Es ist jetzt besser, wenn du nicht hierbleibst, sondern mitkommst. Ich meine, was ich sage, Pop. Diese Glocken läuten auch auf dem Polizeirevier, und ich kann hier nicht herumtrödeln, bis du dich entschieden hast!»

Nirgends rührte sich etwas.

«Pop, laß uns abhauen. Komm« schon!» Troy sprang von der Theke herunter und tat einen Schritt auf den nächstgelcgenen Gang zu - Gctrcidcproduktc. Er blieb stehen. In diesem Supermarkt gab es mindestens ein Dutzend Gänge, und hinten waren zwei unverschlossene Betriebstüren, die ins Lager führten. «Scheiße», sagte er leise. Troy drehte sich um und ging zum Ausgang, den Müilsack über der Schulter.

«Okay, Pop, wir sehen uns in Haiti, und danke für die Hilfe!»   - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

Supermarkt (4) Vor wenigen "Tagen im Supermarkt - ich sah sieben Männer unterschiedlichen Alters, alle hörten gleichzeitig auf, ihr Wägelchen voranzuschieben, standen da und glotzten, eine Frauging vorüber, eine Schönheit mit vollendeter Figur, mit spanisch-schwarzem Haar und Strapsen, ihre Brüste wippten im weiten Decolleté, und ihr Hintern wirbelte kleine Kreise in die Luft. Es sah rechtg gut aus - ich mochte das, mehr aber faszinierten mich die sieben Männer - vom Anblick der Frau schwer getroffen standen sie wie Wachsfiguren, man hätte einen nach dem anderen erschlagen können, ohne auf Widerstand zu stoßen. Etwas implodierte in ihnen. Etwas flackerte in ihren Augen kurz auf bevor es starb. Ein kalter Moment des Todes und der Enttäuschung. Etwas ging vorbei, von dem sie geträumt hatten, von dem sie inzwischen wußten, sie würden es nie bekommen. In ihren Gesichtern erwachte der Haß, und nur der Haß trieb sie weiter, ließ sie ihre Wägelchen voll Klopapier und Rahmspinat zur Kasse fahren, heute, morgen, und so fort...   - Helmut Krausser, Schweine und Elefanten. Reinbek bei Hamburg 1999

Supermarkt (5)

Auf der anderen Seite des Mondes

In Supermärkten weinen
    einsame Lebensmittelkörbe
       die ganze Nacht
Mütter füllen ihre leeren Bäuche
   mit Wassermelonen
Tüten schmollen      Kartoffeln kratzen ihre muskulösen Füße
   Milch wird melancholisch
     und erinnert sich an Sprachfetzen
Blechdosen zittern
    die Visionen von Müllmännern
      tanzen in ihren Köpfen
mein Zustand      ehe mich der Laden
    auf der anderen Seite des Mondes
      faszinierte
eine mikroskopisch kleine Ejakulation von AHtagsangelegenheiten
   die sie erweitert
      über die Zeichen der Zeit hinaus
solche Vorurteile
   verdammen Wörterbücher zum Galgen
    & Nutten dazu, alieine rumzusitzen
       und ihre Mösen zu kämmen
keiner schreibt mehr über
                                    Supermärkte -
umgeben von weitmaschigem Stacheldraht
werden an der Kasse
Zielraketen abgeschossen
Verteidigungssysteme von Verkäuferinnen
    belagern Schriftsteller wie riesige Kaninchen
       mit Tragtaschen und legen Schamhaar
    dazu, so hart wie Königsbärte
      ihre Augen entstellt -
sie gehen weg wie verstörte Troubadoure
   und brummen irre Lieder von geteilter Erbsensuppe
man braucht Jahrhunderte
                                     von Nachtwachen im Supermarkt
   Reflektionen & Aufzeichnungen über Panzerglas
      um ein gutes Supermarkt-Gedicht zu schreiben.
Man braucht traurige schwarze Tränen
                                sehr bitter, die der
      Kaffee-Regen im Ausguß ließ.
Man braucht einen Lebensstil wie in Kriminalfilmen
    um von den Perversionen der Fleischabteilung zu wissen,
        von Sonderangeboten & Rabattmarken.
Nein,
      keiner huldigt mehr
                  diesem modernisierten Mutterkuchen
versteht denn keiner
die totale Schönheit dieser Lebens-Collagen?
angefangen bei automatischen Stempeln
     für die Papp-Preisschilder
den abmagernden Puerto-Rico-Mädchen
     die Kekse verpacken
bis zu den alptraumhaften Weibern, die Aufkleber lecken
und den ekelhaft normalen Lagerjungen
    die nie aufhören Fisch in Dosen
        an das Walfisch-Regal zu füttern.
Ja,
    & vergiß nicht die dicken Bonzen
die unangemeldet auftauchen
                          um sich zu vergewissern
daß der Geschäftsführer nicht eines der
     kleinen Ladenmädchen im Keller versteckt hat
             um es beim Frühstück zu bumsen
von der Geburt      über die Schule      wieder zur Familie
    & verschwitzten Wohnungen & Kühlschränken
mit abgebrochenen Griffen
                                    & abgetretenem Linoleum
& Milchflaschen neben Mülltonnen
    & Lappen, die über Heizkörpern hängen
         auf denen Strümpfe trocknen
ist alles da - - die Spanne zwischen
                                     einer Lücke Sc einer anderen -
ein Weg, um zu verbrauchen, was wir haben.

- Douuglas Blazek, nach: Acid. Neue amerikanische Szene. Hg. Brinkmann & Rygulla. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1969)

 

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