ünder, armer  Das war das Werk der Teufel, die seine Gedanken zerstreuten und sein Bewußtsein trübten, die ihn angriffen an den Toren des feigen und sündeverderbten Fleisches: und er bat Gott schüchtern, ihm seine Schwäche zu verzeihen, schleppte sich ins Bett, hüllte sich fest in die Decke, schlug wieder die Hände vor das Gesicht. Er hatte gesündigt. Er hatte so schwer gesündigt gegen den Himmel und vor Gott, daß er nicht wert war, Gottes Kind genannt zu werden. War es denn möglich, daß er, Stephan Dädalus, dies alles getan hatte? Sein Gewissen seufzte: ja. Ja, er hatte diese Sünden begangen, heimlich und gemein, immer wieder, war verhärtet in sündiger Unbußfertigkeit, hatte selbst vor dem Tabernakel die Maske der Frömmigkeit nicht abgelegt, während doch seine Seele nichts war als tiefste Verderbtheit. Wie kam es, daß Gott ihn nicht mit dem Tode geschlagen hatte? Seine aussätzigen Sünden schlössen sich um ihn, beugten sich über ihn von allen Seiten, so daß er ihren Atem fühlte. Er wollte sie vergessen im Gebet, drängte die Glieder enger aneinander, schloß die Lider; aber die Sinne seiner Seele ließen sich nicht zwingen, und wenn seine Augen auch fest geschlossen waren, sah er doch vor sich die Orte, an denen er sündigte, und wenn er auch nichts hören wollte, er hörte doch. Er bot seinen ganzen Willen auf, wollte nicht hören, wollte nicht sehen. Und dieses Bemühen war so stark, daß sein Leib erbebte unter der Anstrengung und seine Sinne ihm Ruhe gaben. Aber nur für einen Augenblick, dann begann die Qual von neuem.

Er sah: Ein Feld voller Unkraut, voller Disteln und buschiger Nesseln. Überall zwischen dem geilen, üppigen Unkraut lagen zerbeulte Blechdosen und hartgewordene Kothaufen. Fahle Irrlichter strebten empor aus all dem Schmutz, empor aus dem steifen, graugrünen Unkraut. Ein ekelhafter Geruch, schwach und schmutzig wie das Licht, stieg langsam empor aus den Blechdosen und den hartgewordenen, schalen Exkrementen.

Geisterhafte Wesen waren auf dem Felde; eins, drei, sechs: Kreaturen bewegten sich auf dem Felde, hierhin und dorthin. Sahen aus wie Böcke mit Menschengesichtern, hatten gehörnte Stirnen und einen Bart, und ihre Farbe war grau wie Gummi. Die Gemeinheit des Lasters lebte in ihren harten Augen, während sie sich hierhin bewegten und dorthin und ihre langen Schwänze hinter sich herzogen. Ein Lächeln grausamer Bosheit leuchtete grau auf ihren alten, knochigen Gesichtern. Einer von ihnen hüllte sich in eine zerrissene Flanellweste, ein anderer jammerte eintönig, als sich sein Bart in dem dichten Unkraut verfing. Leise Laute kamen von ihren trockenen Lippen, während sie immer wieder langsam das Feld umkreisten, sich durch das Unkraut wanden, hierhin und dorthin, ihre langen Schwänze über die rasselnden Blechdosen zogen. Sie bewegten sich langsam in Kreisen, immer enger, immer enger wurden die Kreise - wollten einkreisen, einkreisen, leise Worte kamen von ihren Lippen, ihre langen, schleppenden Schwänze waren beschmiert mit dem ekelhaften Kot, ihre erschreckten Gesichter aber blickten gen Himmel.

Hilfe!

Mit wildem Ruck warf er die Decken von sich, daß Hals und Gesicht frei würden. Das war die Hölle. Gott hatte ihm gestattet, die Hölle zu schauen, die seiner wartete wegen seiner Sünden: eine stinkende, bestialische, gemeine Hölle, die Hölle der Teufel, die aussahen wie geile Böcke. Für ihn! Für ihn!

Er sprang aus dem Bett, fühlte, wie der dampfende Gestank ihm in die Kehle drang, tiefer drang in sein Inneres, ihn mit Ekel erfüllte. Luft! Luft des Himmels! Taumelnd ging er ans Fenster, stöhnte, war einer Ohnmacht nahe. Als er den Waschtisch erreichte, würgte er; da faßte er seine kalte Stirn mit beiden Händen und übergab sich in wilder Todesangst. - James Joyce, Jugendbildnis des Dichters. Frankfurt am Main 1967 (zuerst 1916)

 

Sünder

 

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