Sünde, unverzeihliche  Die Totenseelen haben auf ihrem Jenseitsweg eine Reihe von Gefahren zu bemeistern. Sie müssen sich mancher Prüfung unterziehen. Keuschheit und Unberührtheit stellen kein Plus, vielmehr ein schwerwiegendes Negativum dar. Im Glauben der Ngadju Dajak an einen Geist, Kukang, ist bemerkenswert, daß er mit einer Lanze bewaffnet den Seelen der Toten in den Weg tritt. Er fragt sie, ob und mit wem sie früher geliebt und gehurt haben. Kann die Seele darauf eine Antwort geben, so läßt er sie passieren. Gibt es den Fall der Keuschheit, dann wird die betreffende Seele von Kukang totgestochen.   - Hans-Jürg Braun, Das Jenseits. Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2516, zuerst 1996)

Sünde, unverzeihliche (2)  «Er spielte die Rolle des Teufels zu gut. Aber er war nicht der Teufel. Au fond war er ein dummer Kerl. Und so mußte er sterben.»

«Weil er dumm war?»

«Es ist die unverzeihlichste aller Sünden und wird immer bestraft.»  - Agatha Christie, Mit offenen Karten. München u. a. 1980 (zuerst ca. 1950)

Sünde, unverzeihliche (3)   »Hast du die Ode nicht verfaßt?« fragte der König.

»Doch«, sagte traurig der Dichter. »Hätte unser Herr Christus es mir nur verboten.«

»Kannst du sie hersagen?«

»Ich wage es nicht.«

»Ich gebe dir den Mut, an dem es dir gebricht«, erklärte der König.

Der Dichter sprach das Gedicht. Es war eine einzige Zeile.

Ohne daß sie auch nur laut gesprochen wurde, ließen der Dichter und sein König sie auf sich wirken, als sei sie ein heimliches Bittgebet oder eine Blasphemie. Der König war nicht weniger erstaunt und nicht weniger bestürzt als der andere. Beide sahen einander an, sehr bleich.

»In den Jahren meiner Jugend«, sagte der König, »fuhr ich zur See in Richtung Sonnenuntergang. Auf einer Insel sah ich silberne Windhunde, die goldene Eber töteten. Auf einer anderen nährten wir uns vom Duft zauberischer Äpfel. Auf einer weiteren sah ich Mauern aus Feuer. Auf der fernsten von ihnen durchquerte ein gewölbter freischwebender Fluß den Himmel, und Fische und Boote schwammen in seinen Wassern. Dies alles sind Wunder, aber sie können sich nicht mit deinem Gedicht vergleichen, das sie in gewisser Weise umgreift. Welcher Zauberei verdankst du es?«

»In der Morgendämmerung«, sagte der Dichter, »hörte ich mich einige Worte sprechen, die ich zu Anfang nicht verstand. Diese Worte sind ein Gedicht. Ich fühlte, daß ich eine Sünde begangen hatte, vielleicht jene, die der Heilige Geist nicht vergibt.«

»Die wir beide jetzt teilen«, murmelte der König. »Die Sünde, die Schönheit erkannt zu haben, die eine den Menschen unerlaubte Gabe ist. Jetzt ist es an uns, sie zu büßen. Ich habe dir einen Spiegel und eine goldene Maske gegeben; hier habe ich das dritte Geschenk, das das letzte sein wird.«

Er drückte ihm ein Kurzschwert in die Rechte.

Von dem Dichter wissen wir, daß er sich beim Verlassen des Palastes das Leben nahm; vom König, daß er ein Bettler ist, der durch Irland zieht, welches vordem sein Reich war, und daß er das Gedicht niemals wiederholt hat.  - Jorge Luis Borges, Spiegel und Maske. In: J. L. B., Spiegel und Maske. Erzählungen. Frankfurt am Main 2000

 

Sünde

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme