Südamerika   Nicht nötig, ausfindig zu machen, in welchem Stock die Cedróns wohnen, denn du brauchst nur dem Lärm nachzugehen, die Treppe hinauf bis zu einer Tür, die weniger Tür zu sein scheint als die anderen und obendrein den Eindruck erweckt, von dem, was drinnen geschieht, rotglühend zu sein, weshalb es nicht ratsam ist, lange zu klopfen, da du dir die Knöchel verbrennen würdest. AIlerdings ist die Tür für gewöhnlich halb offen, da die Cedróns unablässig kommen und gehen, und warum auch sollte man eine Tür schließen, wenn sie eine gute Lüftung durch das Treppenhaus erlaubt.

Was geschieht, wenn man eintritt, macht jede zusammenhängende Beschreibung unmöglich, denn kaum bist du über die Schwelle getreten, umklammert ein kleines Mädchen deine Knie und besabbert deinen Gabardine, gleichzeitig stürzt sich dir ein Knirps, der auf den Bücherschrank im Flur geklettert war, wie ein Kamikaze in den Nacken, so daß, wenn du die originelle Idee gehabt hattest, eine Flasche Rotwein mitzubringen, das augenblickliche Ergebnis eine ansehnliche Lache auf dem Teppich ist. Das stört natürlich niemanden, denn in dem Augenblick kommen aus verschiedenen Zimmern die Frauen der Cedróns, und während eine von ihnen dir die Gören vom Halse schafft, saugen die anderen den mißlichen Burgunder mit Lappen auf, die dem Anschein nach aus der Zeit der Kreuzzüge stammen. Unterdessen hat dir Jörge bereits in allen Einzelheiten zwei oder drei Romane erzählt, die er zu verfilmen gedenkt, Alberto hält zwei weitere Kinder im Zaum, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet sind und, was schlimmer ist, über eine ausgezeichnete Treffsicherheit verfugen, und der Tata kommt aus der Küche in einer Schürze, die einmal das Weiß gekannt hat und ihn von den Achseln bis zu den Füßen würdevoll umhüllt, was ihm eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Marcus Antonius oder mit einem der Typen verleiht, die im Louvre ihr Leben fristen oder als Statuen in den Parks arbeiten. Und da vernimmt man die freudige Nachricht, von zehn oder zwölf Stimmen gleichzeitig verkündet, daß es Pasteten gibt, an deren Zubereitung Tatas Frau und Tata himself beteiligt sind, doch deren Rezept wesentlich verbessert wurde von Alberto, der meint, er könne Tata und seine Frau in der Küche nicht allein lassen, da das zu einer furchtbaren Katastrophe führen würde. Was Jörge betrifft, der bei allem keineswegs zurückstehen will, hat er schon generöse Mengen Wein herbeigeschafft, und als die tumul-tösen Präliminarien beendet sind, setzen sich alle aufs Bett, auf den Boden oder dorthin, wo gerade kein Kind ist, das weint oder Pipi macht, was, von verschiedenen Warten aus gesehen, auf dasselbe hinausläuft.

Ein Abend bei den Cedróns und ihren selbstlosen Frauen (ich sage selbstlos, weil, wäre ich eine Frau, und zumal die Frau einer der Cedróns, das Brotmesser meinen Leiden schon längst ein freiwilliges Ende gemacht hätte; aber sie leiden nicht nur nicht, sie sind zu meiner Freude sogar noch schlimmer als die Cedróns, und es ist gut, daß ihnen das jemand von Zeit zu Zeit sagt, und sie, glaube ich, sagen es sich die ganze Zeit), ein Abend bei den Cedróns ist eine Art Resümee Südamerikas, das die sprachlose Bewunderung erklärt und rechtfertigt, mit der die Europäer seine Musik, seine Literatur, seine Malerei, seine Filme oder Theaterstücke aufnehmen.  - Julio Cortázar, Ende der Etappe. Die Erzählungen Bd. 4. Frankfurt am Main 1998

Südamerika (2)  »Ihre Freunde sind unfähig, einzusehen, daß Heer und Kirche in Lateinamerika die einzigen disziplinierten und wahrhaft organisierten Parteien sind. Sie sind unfähig zu erkennen, daß die Feindseligkeit, mit der sie diese beiden Parteien behandeln, eine Dummheit ist, die nur unseren äußeren Feinden zugute kommt. Jawohl, denn während wir uns hier in unfruchtbaren Streitigkeiten aufreiben, dringen sie ein, zersetzen, stehlen und bemächtigen sich nach Belieben aller Dinge, die sie begehren. Die Vereinigung Lateinamerikas muß durch unsere Heere geschehen, und dazu müssen wir ein neues Denken schmieden, eine neue, originelle Theorie der Macht, die aus unseren Vorzügen und Fehlern, aus unseren Eigentümlichkeiten und Besonderheiten resultiert. Aber ihr plappert die fertigen Ideen nach, die von draußen hereinkommen. Dazu gehört der Liberalismus. Seht ihr nicht, daß der Liberalismus hier nur diejenigen interessiert, die uns ausrauben wollen? Deshalb kommt es im Ausland immer wieder zu Angriffen gegen das, was sie den lateinamerikanischen Caudillismo nennen, den lateinamerikanischen Militarismus, die lateinamerikanischen Putsche, die lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Die Ausländer wissen sehr wohl, daß wir, wenn ein wahrer Soldat auftritt, der die Vorzüge des Caudillos und des Königs in sich vereinigt, den Kopf erheben werden. Brasilien zuallererst, weil es am größten ist; danach ganz Lateinamerika, das ein Land von zweihundert Millionen Einwohnern bilden wird. Und das wollen sie nicht, und daher die ganze Propaganda, mit der sie uns von oben und von außen das Regime des victorianischen England oder der puritanischen, grausamen und habgierigen Vereinigten Staaten aufdrängen wollen. Schluß damit, ich habe schon viel zuviel geredet: es ist eine Kapaunenidee, die ich Ihnen und Dinis schenke, damit ihr sie nach eurem Belieben nutzen könnt. Doch ich muß Ihnen noch einiges in Erinnerung rufen, was ich damals in den Zeiten meiner Begeisterung gesagt habe. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, aber ich habe auch gesagt, daß für mich die Gleichheit nie ein Ideal sein könne, weil auch ich das lateinamerikanische Blut in mir habe, das die Cangaceiros, Propheten und Caudillos hervorbringt. Ich weiß, daß jeder von uns auf seine Weise den Ruhm seines Lebens erobern und auf seine Weise dem Schmutz und Blut des Todes entgegensehen muß, beides im Angesicht der Sonne. Jawohl, mit Leben und Tod muß jeder allein zurechtkommen, denn ihnen gegenüber bleiben wir immer allein.«   - (stein)
 
 

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