Studienrat

HUNDELEBEN

Der Studienrat und sein Hundeleben.
Die Frustration auf der ganzen Linie.
Das unangenehme Gefühl an den Zähnen,
wenn die Kreide kreischt.

Der Studienrat und die genaue Frau.
Der Studienrat und die präzise Frau.
Wo findet er eine präzise Frau?
Eine Frau die das wäre was sie ist,
eine Frau die nicht aussähe wie ein Mann.

Der Schmerz verdunkelt den Blick
auf die wachsenden Runzeln,
auf das Altern der eigenen Schüler,
auf die Anzeichen mangelnden Respekts.
Schon wie sie durch den Gang latschen!

Die Beleidigungen wären noch zu verkraften,
aber dieses hämische Grinsen
und die widerlichen Bemerkungen!

Die Schule ist der Tempel des Wissens.

Der Direktor des Etablissements
mit seinem Clark-Gable-Schnurrbart.

Die Nacktheit der Frau Gemahlin:
der Blick rutscht aus an dieser Eule
mit dem zu glatten Haar.
Den Kuß auf die Wange
gewöhnt man ihr leichter an als ab.
Die Wohnung als Schlachtfeld.

Die Frau wehrt sich mit den Beinen.
Die sexuellen Probleme des Alterns.
In einer Anthologie erscheinen,
künstliche Zuckungen erzeugen.

Der Studienrat ist nicht mehr zu retten.
Der Studienrat studiert seine Ameisen.

 - Nicanor Parra, nach (frach)

Studienrat (2)   Es kam dem Studienrat wohl darauf an, unsere Phantasie zu füttern; und da unter vierzig Schülern in der Regel zwei Schüler Phantasie besitzen, durften achtunddreißig Tertianer dösen, während zwei Tertianer - ein anderer und ich - das Schicksal der Konservendose aufrollten, den Zulus originelle Hochzeitsbräuche andichteten und einem Malzbonbon nachspionierten, der im Mund eines Mädchens immer kleiner wurde.

Dieses Thema beschäftigte mich, meinen Mitschüler und den Studienrat Brunies vierzehn Tage lang oder länger. Knollig und tausendfach ledern hockte er hinterm abgegriffenen Pultholz und machte, um uns zu inspirieren, das Saugen, Suckeln und Saftziehen nach. Einen imaginären Malzbonbon ließ er von einer Backe in die andere ziehen, er verschluckte ihn beinahe, verminderte ihn mit geschlossenen Augen, ließ den Bonbon sprechen, erzählen; kurz, Studienrat Brunies war zu einer Zeit, da Süßigkeiten rar und bewirtschaftet waren, doppelt süchtig den Bonbons hinterdrein: wenn er keine in seiner Tasche hatte, erfand er sich welche. Und wir schrieben übers gleiche Thema.

Etwa vom Herbst einundvierzig an wurden an alle Schüler Vitamintabletten verteilt. Sie hießen Cebiontabletten und wurden in großen Apothekergläsern aus braunem Glas aufbewahrt. Im Konferenzzimmer, wo vorher Meyers-Konservations-Lexikon Rücken neben Rücken gestanden hatte, standen nun beschriftete Glaser - Sexta bis Prima - in einer Reihe und wurden täglich vom zuständigen Klassenleiter in die Klassen getragen, zu den vitaminarmen Gymnasiasten des dritten Kriegsjahres,

Natürlich fiel es auf, daß Studienrat Brunies schon suckelte und süßen Genuß um den Altmännermund hatte, wenn er mit dem Apothekerglas im Arm die Klasse betrat. Das Verteilen der Cebiontabletten nahm der Unterrichtsstunde die gute Hälfte, denn Brunies ließ das Glas nicht etwa wandern, von Bank zu Bank : in alphabetischer Reihe, streng nach dem Klassenbuch, ließ er die Schüler vortreten, griff umständlich in den gläsernen Behälter, tat, als fische er für jeden etwas Besonderes und holte dann, mit Triumph in allen Runzeln, eine der vielleicht fünfhundert Cebiontabletten hervor, zeigte sie wie das Ergebnis eines schwierigen Zauberaktes und übergab sie dem Schüler.

Wir alle wußten: Studienrat Brunies hat wieder beide Rocktaschen voller Cebiontabletten. Die Dinger schmeckten süßsäuerlich : ein bißchen nach Zitrone, ein bißchen nach Traubenzucker, ein bißchen nach Krankenhaus. Da wir gerne Cebiontabletten lutschten, hatte Brunies, der ja wild nach allem Süßen war, Grund, seine Rocktaschen zu füllen. Auf  dem Weg vom Konferenzzimmer zu unserem Klassenzimmer suchte er täglich mit braunem Apothekerglas die Lehrertoilette auf, war nach einer Minute wieder auf dem Korridor, suckelte sich voran: Cebionstaub puderte die Klappen seiner Rocktaschen.

Ich möchte sagen: Auch Brunies wußte, daß wir wußten. Oft verschwand er während der Unterrichtsstunde hinter der Schultafel, gab sich dort Proviant, trat vor die Klasse und zeigte uns seinen beschäftigten. Mund: «Ich nehme an, Ihr habt nichts gesehen; und solltet Ihr etwas gesehen haben, so habt Ihr falsch gesehen.»

Wie andere Studienräte mußte Oswald Brunies häufig und lautstark niesen. Wie seine Kollegen zog er bei solchem Anlaß das große Taschentuch; nur ließ er, im Gegensatz zu seinen Kollegen, mit dem Sacktuch ganze und zerbrochene Cebiontabletten aus der Tasche springen. Was auf geölten Dielen rollte, retteten wir. Eine Traube gebückter, eifrig sammelnder Schüler lieferte dem Studienrat halbe und viertel Tabletten ab. Wir sagten - dieser Spruch wurde zur Redensart: «Herr Studienrat, Sie haben soeben mehrere Glimmersteine verloren.»

Brunies antwortete gemessen: «Wenn es sich um einfache Glimmergneise handelt, dürft Ihr Sie behalten; sollte es sich aber bei dem Fund um einen oder mehrere Zweiglimmergneise handeln, so bitte ich um die Rückgabe derselben.»

Wir, und das war abgemacht, fanden nur Zweiglimmergneise, die Brunies prüfend zwischen bräunlichen Zahnstümpfen verschwinden, prüfend von Backe zu Backe wandern ließ, bis er Gewißheit hatte: «In der Tat, es handelte sich bei dem Fund um mehrere höchst seltene Zweiglimmergneise, wie erfreulich, daß wir sie gefunden haben.»

Später unterließ Studienrat Brunies alle Umwege zum Cebion, ging nicht mehr hinter die Tafel und sprach nie mehr von verlorenen Zweiglimmergneisen. Wenn er vom Konferenzzimmer zu unserem Klassenzimmer unterwegs war, suchte er mit dem Apothekerglas keine Lehrertoilette auf, sondern vergriff sich süchtig und offen während der Unterrichtsstunde an unseren Cebiontabletten, Ein peinliches Zittern der Hände fiel auf. Mitten im Satz, zwischen zwei Eichendorffstrophen, kam es ihn an: nicht ein Cebion fingerte er, mit drei knotigen Fingern raffte er fünf Tabletten, warf sich alle fünf in den unersättlichen Mund und schmatzte, daß wir wegsehen mußten.  - (hundej)
     

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