Streichholz   Um sechs Uhr war er noch nicht wiedergekommen. Es war Sommer. Es gab kein Feuer, kein einziges Streichholz im Haus. »Ich bin in fünf Minuten wieder da«, sagte die Tochter.

Sie verließ das Haus. Die Großmutter sah sie verschwinden. Da wickelte sie das Kind in eine leichte Decke und ging ebenfalls aus dem Haus. Es lag in einer Seitengasse, ganz nah an der Hauptstraße, wo allerlei Geschäfte waren und wo die reichen Leute auf dem Heimweg mit ihren Limousinen hielten, um Einkäufe zu machen. Als sie die Ecke erreichte, fuhr eben ein vornehmer Wagen an den Bordstein. Eine Frau stieg aus und ging in ein Geschäft, während der Chauffeur, ein Neger, hinter dem Steuer blieb. Die Großmutter trat an den Wagen,

»Ich brauch einen halben Dollar«, sagte sie.

Der Neger sah sie an. »Einen was?«

»Einen halben Dollar. Der Junge hat die Flasche zerschlagen.«

»Oh«, sagte der Neger. Er langte in die Tasche. »Wie sollen aus'nander halten, wenn hier draußen kassieren schon? Sind geschickt worden von ihr wegen Geld?«

»Ich brauch einen halben Dollar. Er hat die Flasche zerbrochen.«

»Ich lieber dann reingehn«, sagte der Neger. »Sollten aber zusehn, daß Leute auch kriegen, was kaufen, wenn Leute so lange schon kaufen hier wie wir.«

»Bloß einen halben Dollar«, sagte die Frau. Er gab ihr einen halben Dollar und trat in den Laden. Die Frau sah ihm nach. Dann legte sie das Kind auf den Wagensitz und folgte dem Neger. Es war ein Selbstbedienungsladen, wo die Kunden sich langsam im Gänsemarsch an einem Geländer entlangbewegten. Der Neger kam gleich hinter der weißen Frau, die aus dem Wagen gestiegen war. Die Großmutter sah, wie die Frau dem Neger eine Handvoll Sauce- und Ketchupflaschen übergab. »Das macht einen Dollar fünfundzwanzig«, sagte die Großmutter. Der Neger gab ihr das Geld. Sie nahm es, ging weiter und in einen anderen Teil des Ladens hinüber. Dort stand importiertes italienisches Olivenöl, eine Flasche mit Preisschild. »Dann hab ich ja noch achtundzwanzig Cent übrig«, sagte sie. Sie ging weiter und musterte die Preisschilder, bis sie eins fand, das auf achtundzwanzig Cent lautete. Es waren sieben Stück Badeseife. Mit den beiden Paketen verließ sie den Laden. An der Ecke stand ein Polizist. »Mir sind die Streichhölzer ausgegangen«, sagte sie.

Der Polizist wühlte in seiner Tasche. »Warum haben Sie sich denn da drinnen keine gekauft?« sagte er.

»Hab's vergessen. Sie wissen doch, wie das ist, wenn man mit einem Kind einkaufen geht.«

»Wo ist denn das Kind?« sagte der Polizist.

»Hab ich in Zahlung gegeben«, sagte die Frau.

»Sie sollten in einem Varieté auftreten«, sagte der Polizist. »Wieviel Streichhölzer brauchen Sie denn? Ich hab bloß noch eins oder zwei.«

»Nur eins«, sagte die Frau. »Ich brauche nie mehr als eins zum Feueranmachen.«

»Sie sollten in einem Varieté auftreten«, sagte der Polizist. »Sie würden das Haus zum Einsturz bringen.«

»Stimmt«, sagte die Frau. »Ich bringe das Haus zum Einsturz.«

»Welches Haus denn?« Er sah sie an. »Das Armenhaus?«

»Ich bring's zum Einsturz«, sagte die Frau. »Sehn Sie nur morgen in die Zeitungen. Ich hoffe, die schreiben meinen Namen richtig.«

»Wie heißen Sie denn; Calvin Coolidge?«

»Nein, mein Herr. Das ist mein Junge.«

»Oh. Deswegen also hatten Sie soviel Mühe mit dem Einkaufen, was? Sie sollten in einem Varieté auftreten... Sind zwei Streichhölzer genug?«

Sie hatten von der Adresse schon dreimal Feueralarm bekommen, und so beeilten sie sich nicht. Die erste, die eintraf, war die Tochter. Die Tür war verriegelt, und als die Feuerwehrleute kamen und sie einschlugen, war das Haus bereits ausgebrannt. Die Großmutter lehnte in einem der oberen Fenster, durch das schon der Rauch kräuselte. »Diese Schufte«, sagte sie. »Die haben gedacht, sie erwischen ihn. Aber ich hab ihnen gesagt, ich würd's ihnen schon zeigen. Jawohl, das hab ich ihnen gesagt.«

Die Mutter dachte, daß Popeye mit umgekommen sei. Sie mußten sie halten, so schrie sie, während das kreischende Gesicht der Großmutter im Qualm verschwand und die Schale des Hauses einstürzte.  - William Faulkner, Die Freistatt. Zürich 1981 (zuerst 1931)  

Feuer

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Zündholz