Straßenbild  es war gegen 4 Uhr/ich ging nachdenklich die abfallende Straße, das erste Stück der Via Veneto hinunter bis zum Platz Barberini mit dem schwarzangelaufenen Brustkorb des wasserspeienden Tritonen, dahinter die Baustelle vor der Metro Roma & rundum Reklamen: Disney On Parade/ Richard Burton als Barbablu (Blau-

(8. Karte: 24.11. 72) -> Bart)/& großes Hitler-Frontal-Bild in rosafarbenen Wolken für Documenti Terribili/daneben eine Nackte hingestreckt über das Panorama einer Stadt für Le Mille e Una Notte/: Mickey Mouse zieht den Zylinder unentwegt/: fühlte ich noch was außer Wirrwarr? Spürte ich noch mich selber außer permanentem Aufpassen auf den Wagenverkehr?/: Schuhgeschäfte, Boutiquen, Pullover, Glas, Silber, Zeitungsstände, Bars, nur zum Stehen/: da stand ich, 20 nach 4 unter dem herbstlichen Rom-Himmel, mit gestapelten Menschenknochen (wie bei Cannibalen, zur Erinnerung an vergangene Feste, so kams mir jetzt in dem Verkehrslärm erinnernd vor: l protzen, was sie alle gefressen hatten in der vergangenen Zeit, durch Jahrhunderte- & sollten sie auch nicht unentwegt „Menschen fangen"? Abgenagte Knochen, also) hinter mir//: Rom ist das!//(Mensch, geh mir weg mit dem Süden & den Halb-Affen!) - was mich wundert, ist: sie, wir, Menschen, haben nun alles, schöne Kleider, Geschäfte, Museen, Untergrundbahnen, Autos, Flugzeuge, sogar Sex ohne schwarze Balken vor dem Geschlechtsteil: warum sieht denn alles so

(9. Karte: 24. Nov. 72)—» unendlich weit ausgedehnt häßlich aus? Warum ändert sich nicht das Straßenbild, was die Atmosphäre von Lebendigkeit & Schönheit anbelangt? Sie tragen doch alle gute Kleidung, sie wissen doch alle, daß es tatsächlich keine Druckerschwärzebalken (wie bei Verbrechern oder Razzia-Polizisten vor den Augen: ist das Geschlechtsteil „sehend"? Ein Auge? Ganz bestimmt! Was die Behandlung, Tätigkeit, Empfindlichkeit, Befriedigung, Freudeempfindung anbelangt-also doch 1 Auge) vor dem Geschlecht gibt: warum diese erloschene Atmosphäre, was das konkrete Leben auf der Straße anbelangt (& sollte ich so dumpf sein, mir etwa trügerisch vorzustellen, daß die Einzelnen, die ich mir einzeln auf der Straße ansehen kann, ohne daß sie sich beobachtet fühlen, sie also gleichsam im Zustand des Unbeobachteten, „live", erwische, für Sekunden, sollte ich glauben, daß ihre Fröhlichkeiten, ihre Lebenslust hinter geschlossenen Türen & in geschlossenen Zimmern erst richtig zum Vorschein käme? Das macht mir niemand weis! Wie oft war ich auf kleinen Zusammenkünften, & wie oft sah ich das, was jeder Einzelne unter Lustigkeit verstand: die erloschene Atmosphäre rief bloß eine kindische Hysterie von Lustigkeit hervor, aber kein Behagen./   - (rom)

Straße Bild

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