Stramm, August    Lieber Walden,
eben erhalte ich den »Sturm« und die Nachricht von Stramm. Ich bin ergriffen und traure mit Dir. Das unausdenkbar Brutale des Krieges wird wieder einmal evident, wo jemand hingerissen wird, wie Stramm, der so sichere Bewegung war und weiter drängte. Unser Dasein ist abrupt. Es kommt, wie es scheint, auf garnichts an, auf garnichts. Stramm hatte etwas Fermentatives; er regte nicht nur Menschen an; er versetzte, wenn sich so sagen läßt, den Sprachbrei in Gärung. Er brachte im wörtlichen Sinne alles in Fluß, was er sagte, es verschwand die logische Isolierung von Substantiv Verb Adjektiv, er graduiert jedes nach Bewegungsimpulsen. Das Formulierte, Formulierbare scheint seinem Gefühl ein Greuel gewesen zu sein; das Schwimmende des Gefühls und der Vorgänge drängte er so zu bringen, daß es schwimmend blieb; in dem Sinne ein lyrischer Naturalist. Ich weiß keinen, der so, ohne zu spielen und Faxen zu machen, mit der deutschen Sprache gewaltsam umgesprungen wäre, als mit einem Stoff, den er bezwang und der nicht ihn bezwang. Niemand war von so vorgetriebenem Expressionismus in der Literatur; er drehte hobelte bohrte die Sprache, bis sie ihm gerecht wurde. Er duldete keinen Gedanken, ließ kein einzelnes vereinzeltes Bild aufkommen in seinen Gedichten [...]. Seine Sachen sind darin puritanisch echt und unnachgiebig. Nun ist also seine eigene Bewegung abgebrochen. Herzlich! A. Döblin   - Alfred Döblin am 21. September 1915 an Herwarth Walden, nach: August Stramm Lesebuch, Hg. Wolfgang Delseit.  Köln 2007

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