trafpredigt    Der Vorsitzende des Gerichtshofes, Nikolaus Trot, verurteilte ihn zum Tode mit der hier folgenden schönen Begründung:

»Major Stede Bonnet, Ihr seid überführt, zwei Kaperzüge mitgemacht zu haben: jedoch Ihr wißt, daß Ihr mindestens dreizehn Schiffe geplündert habt. Wir müßten Euch also noch elf mal anklagen; aber zwei Anklagen werden uns genügen (sagte Nikolaus Trot), denn sie widersprechen dem göttlichen Gebot, welches befiehlt: Du sollst nicht stehlen (2. Buch Mose 20, 15), und der Apostel Paulus erklärt ausdrücklich: Die Diebe werden das Reich Gottes nicht ererben (1. Korinther-brief 6, 10). Ihr seid aber auch des Mordes schuldig: Und die Totschläger (sagte Nikolaus Trot), deren Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der andere Tod (Offenbarung 21, 8). Und wer kann denn (sagte Nikolaus Trot) bei der ewigen Glut wohnen? (Jesaia 55, 15). Ah! Major Stede Bonnet, ich habe guten Grund zu fürchten, daß die Lehren des Glaubens, von denen Ihr erfüllt wart in Eurer Kindheit (sagte Nikolaus Trot), sehr gelitten haben durch Euer unseliges Leben und durch Eure allzu heftige Neigung zur Schreiberei und zur eiteln Wissenschaft unserer Zeit; denn hättet Ihr Lust gehabt, zum Gesetz des Herrn (sagte Nikolaus Trot) und hättet geredet von seinem Gesetz Tag und Nacht (Psalm 1,2), dann wäre das Wort Gottes Euers Fußes Leuchte gewesen und ein Licht auf Euerm Wege (Psalm 119, 115). Aber so habt Ihr nicht gehandelt. Nun könnt Ihr nur noch vertrauen auf Gottes Lamm (sagte Nikolaus Trot), welches der Welt Sünde trägt (Johannes l, 29), das gekommen ist, selig zu machen, was verloren ist (Matthäus 18, 11) und versprochen hat, wer zu ihm käme, der werde nicht hinausgestoßen (Johannes 6, 57). Wollt Ihr aber zum Heiland zurückkehren, wenn auch spät (sagte Nikolaus Trot) in der elften Stunde wie der Arbeiter in dem Gleichnis vom Weinberg (Matthäus 20, 6, 9), dann wird er Euch noch aufnehmen können. Der Gerichtshof indessen hat beschlossen (sagte Nikolaus Trot), daß Ihr zur Richtstätte geführt und am Halse aufgehenkt werdet, bis zum Eintritt des Todes.«  - Marcel Schwob, Der Roman der zweiundzwanzig Lebensläufe. Nördlingen 1986 (Krater Bibliothek, zuerst 1896)

Strafpredigt (2)  Dirne! Schlampe! Strunze! Wer gab dir das Seil um den Hals? Bestohlen bist du des Schlummers, und deine Familie hingemäht vorm Schwert des Grams. Dein Bruder weint in sein Mundtuch und dein Vater in seinen Bart! Nicht länger ist das jahrhundertealte Pro-ocreis-Reginae der Stolz deiner Mutter, denn die jährliche Pracht, die man der Königin zahlt, um sie in Beinschienen zu erhalten, läßt Tittencote nimmermehr nach Tittencote schmecken, und du bist zur Hölle geschlittert! So werden große Dinge durch kleine zu Staub. Das schöne Rom sieht Männer kommen und die Via Appia zuknöpfen, und ein Esel brüllt über Babylon. Starke Völker erheben sich und blühen unter dem Hü eines Herrschers und verfallen unter dem Hott des nächsten. Und hier, inmitten vorzüglicher kleiner Dinge, einer Grafschaft, derentwegen kein Blut vergossen wurde, außer einmal bei einem Ausrutscher der Geschichte, hat ein Mädchen gar die Giebel und Dachsparren ihres Hauses vor deren Ohren gebracht, als ihrer einen nächtlichen Träne viele morgendliche herabfolgten. Und doch: ist's nicht des Weibes schnellster Weg, sich der Legende anzubieten? Denn jetzt sagen manche, sie hätte schwarze Melancholie geworfen, sie liefe in der Nacht umher von Hecke zu Hecke und hätte einen Blick, als ob der Eine, der sie in großen Gram gebracht hat, schon tausend Jahre tot wäre, solch tiefen Kummer gibt sie von sich, wo sie geht oder steht; ihre Seele springt von Laune zu Laune, ein Hund wittert etwas Unbekanntes, und am Gürtel hängt strenges Schweigen.

Aber schließlich, was läßt sich mit beßrer Absicht sagen, als daß sie genotzüchtigt worden, o ja, schrecklich genotzüchtigt! Oh, tierische Lockung! Die ganze Welt kennt keine so wahnsinnige, so ausgelassene, so giftige, so balsamische Übersättigung mit Unglück! Läßt nicht solcher Schauder die Farbe jener Betten rissig werden, die Geschichte machten? Horcht auf die Erde, meine Gevatterinnen! Hört ihr nicht den Klang, obwohl ihr einen Schmutz berührt, der tausend Meilen weit von zu Hause ist? Hierher, gute Frauen! Die Nüstern gegen den Wind! Ist nicht ein Gestank von dieser Sache in jedem Lüftchen, wehe es von Ost, West, Nord oder Süd? Auf die Fährte, prügelnde, trampelnde, hadernde Menge! Das Häschen läuft, und ihr seid dicht hinter ihm! Es huscht über die Allmende, und ihr findet die Witterung nicht! Flog es nach links oder rechts? Wer ist der unfehlbarste Spürhund unter euch? Die Dame oder ihre Schlampe? 's ist eins wie das andre, Fleisch von Geflügel oder Wild, wollt ihr euch etwa die Beute entgehn lassen? Hebt eure hundert Füße und setzt eure hundert, habt ihr denn nicht, mit Winken und Rufen, euren zahlenmäßigen Haß doppelt, um sie zum Fang und zum Ex-empel zu machen? Nun also! Am Graben dorten fällt sie und wendet, wie ein Reh, das Gesicht, um Gnade weinend. Jetzt gebt's ihr!

»Und wie war's, mein hübsches Liebchen? - Gib ihr eins auf die Ohren, der dreckigen Buhlerin! - und ging's über den Zauntritt, oder war's auf dieser Seite vom Zaun oder auf der andern? Wie hat er's angestellt? Hat er dich angelogen, du stinkender Stint? Hat er gesagt, du hast süße Rippchen und Winteraugen? Und du, wie hast du dich da benommen? Bist du leichtlich bespritzt worden, oder nur zögernd in den Schmutz geraten? Mit einem Blick zurück oder mit einem Sprung auf den Köder? Im Sprung war's, ich wette, und ich werd meiner Nachbarin hier mein zweitbestes Nudelholz geben, wenn ich nicht recht hab! Oder bist du, du kleines Gemüse, gelegen in Ohnmacht, wo ein Mann herein kann, der Bettler, und alles finden, was er will, bloß nirgends dich selbst! 's ist verdammt schad, daß die Lebensgeister von einem Weib wie Spreu verstreut sein können, bloß ihre Keuschheit ist sicher genug an einem Platz, um sie in Verdammnis zu bringen! Also fort mit dir! Was wird deine Mutter dazu sagen? Und was willst du von jetzt an für das Überleben tun?

Weniger bist du als einen Heller wert und leicht in einem einzigen Bierhaus vertan. Oder hast du schon eine Weltanschauung für deine Tat zur Hand, wie manch ein Kuppler, im Augenblick, da er die Stufen zum schlechten Ruf hinaufsteigt, so daß auf dem Marktplatz sich dann welche für klüger halten, weil sie ihre Waren feilbieten, dank seinem nichtigen und leeren Geschwätz, und an erhabenen Plätzen zügellos werden. Diese wenigen und solchen erschüttern die Urform der Wahrheit selbst und leiden tausend Lügen, die auf uns herabfließen wie ein Sternregen, wohl bunt sind und auch glänzen, doch keines Menschen Wahrheit. Oh, pfui über dich! Was hast du getan als ein Kerlchen zum Prahler gemacht und zur Last in allen Straßen, die als Sackgasse enden! Und soll das Kind, Mädchen oder Junge, Jahre spater kurz bei der Pumpe stehen und irgend seiner abwegigen Zeugung widersprechen? Solche aber vergiften die Brunnen, gegen solche sträubt sich jeder Zoll Schamhaar, und sie zertrümmern sogar die Glok-ken, mit denen wir die Zeit verkünden! Die Natter im Gras, der Steinbock im Fels, der Fisch im Nassen, der Vogel in der Luft, sie wissen etwas davon, aber schreiben sie Bücher oder reden am Bettrand oder flüstern auf Galerien oder machen Gesetze? Und solche noch, Mädchen, werden dich verurteilen, vielleicht sogar noch strenger als wir.

Im oblongen Auge des Rehs, wird da deine Beschaffenheit nicht langgezogen? Durch die Eule, wird da nicht eine gräßliche Rundung erworben? Im stumpfen Auge des Fisches wirst du nur etwas ermattet sein, aber im buckligen Auge des Rinds magst du wohl so hoch und verworfen reiten wie Jesabel. Und wie steht es mit den massenhaften Insekten, und mit den unendlich vielen Schlußfolgerungen des Äthers? Und zur Myriadenpupille der Fliege, die kann doch schlechterdings deine Not nur vervielfachen? Und bedenk noch die anderen, von ungesunder Beschaffenheit, mit Flecken auf der Iris, oder an Gelbsucht oder an blutigem Ausgang leidend: werden sie dir nicht ihre Krankheit anrechnen und sagen, Tod hause auf deiner Wange, Fäulnis habe dein Fleisch befallen? Und wie stund es mit deinen eigenen Augen, so du nicht nur das Leder deiner Schuhe sähest, sondern die Sohlen? Mußt du nicht mithin, solang du auf der Welt weilst, unerläßlich das Auge der Welt bedenken, und aus wie vielen Facetten dein Verbrechen besteht, je nach dem Ding, an dem es vorübergeht? Sind nicht alle Vermeidungsphilosophien für dich niedergeschrieben worden? Die Mathematik, nimm sie, wo du nur willst, beweist sie nicht, daß es immer eine Abweichung gibt, die eine wunderbar andere Summe erbringt, so du dir gewünscht hast? Hat die Wissenschaft nicht bewiesen, daß keine Schnürnadel das Band aufnimmt, es sei denn willentlich, und der Faden erobert die Nadel nicht, und die Nadel hat keine Neigung für den Faden?

Haben nicht die Logiker, von Seneca bis Plato, klargestellt, daß kein Vorsatz m ein Hirn kommen kann, so Verstand zu seiner Vermeidung da ist? Sollte nicht ein Rat von Weibern, wie wir, dir in einer einzigen Sitzung klarmachen können, daß, wenn du nur über ein Vokabular der Bewegung verfügtest, der Fall immer noch ein Rätsel wäre und keine Gewißheit?

Müssen wir unsere Mädchen in die Schule schicken, damit sie lernen, wie man »Nein« sagt, im passenden Ton, sowohl zu einer Haferschleim- als auch zu einer Liebesmahlzeit? Es gibt ein »Nein« mit eingewickeltem »Ja«, und es gibt ein »Nein« mit hinreichend eingewebtem »Nein«, und wir sind kläglich übel daran, daß unsere Mädchen nichts darüber gelernt haben. Lern jetzt, und es ist zu spät, lern gestern, und morgen wär' die Sonne anders aufgegangen. So wird die Spule dick von verknotetem Garn, und wenn es ans Nähen geht, was für ein Kleid soll daraus gestichelt werden, das nicht an öffentlichen Plätzen reißen und das Bein der Schande aussetzen würde? Es liegt in der mißlichen Natur des menschlichen Gemüts (wie es nun einmal heutzutage ist), daß es nicht (wie die Alten) deine Tat größer zu machen braucht, aufdaß sie höchst stinkend, riesig und fürchterlich werde!

Oder faß es so:
Hast du nicht das genommen, was bessere Frauen zurückgewiesen haben, und hast solcherart höchst ungebührlich gehandelt? Ist es recht, nach den Süßigkeiten zu greifen, die hundert Gäste, bei derselben Versammlung, unberührt gelassen haben, und solcherart gierig ihren Geschmack zu porträtieren? Du hast nur ein einziges Leben, doch in einer einzigen Nacht hast du die Leibesbeschaffenheit Aller Nächte geändert und'somit die Gemeinschaft bestohlen, die dich als echte Münze ehrte, nur um zu entdecken, daß du eine Fälschung bist, und hast damit eine bekannte Summe in eine Summe verwandelt, die des Nachzahlen» bedarf. Hast du nicht mithin die gesamte Gesellschaft gefoppt, und werden wir nicht um deswillen ebensoviel gerechten Abscheu für dich empfinden wie für den Fälscher? Falsches Metall verwendest du in deiner Münze, so falsches Metall, daß wir fürderhin auf unser Wechselgeld achten müssen, ob nicht Blei darunter ist oder solche Legierung, die uns den Beutel traurig leeren würde. Du hast das Gebäude unsres Rates verderbt, mit diesem einen kurzen Akt! Die Gesellschaft zu einer unbekannten Größe gemacht, und solches zu ertragen sind wir nicht gebaut, deswegen wird dieser gewisse Mann all seine Tage rasen, und niemand soll Handel mit dir haben, ohne dich zuerst umzukehren, zu schauen, wo der Stempel den Verrat einprägt!

Oder faß es so:
Du hast Zeit gestohlen, Zeit, wie sie sich über Tittencote lagert. Zeit, die von guten Ehefrauen, nähend und waschend, backend und betend, gestärkt war. Gefestigt von wohlverrichteten Haushaltspflichten, innerhalb der engen Vorzüglichkeit des Ehestandes, im Schritt der Monogamie, gewappnet durch Mäßigung, dauerhaft geworden durch Geduld. Die Zeit hast du gebeugt mit dem Zahn der Lust, den Saum der Ehrbarkeit zerrissen, und möge der Wind sich erheben und der Orkan folgen!

Oder so:
Der Mensch ist zum Sterben geboren, und wir haben, mit Standhaftigkeit, die fernsten Außenposten des Todes zu einem gesetzmäßigen Ziel gemacht, du aber hast in diesem buhlerischen Akt die Marke vorgeschoben; und dein Kind wird am Tag, da es zum ersten Mal atmet, der Welt den fernsten Punkt zur Schau stellen, der in diesem Elend je erreicht wurde. Und zur Stunde, da das Kind seinen ersten Schrei schreit, wird Tittencote einen derart entfernten Punkt des Kummers erreicht haben, daß es nicht dazu bereitet ist. Als wäre der Tod nicht schrecklich genug, ist dieser, auf den alle Augen sich richten müssen, ein gespaltener und ein Bastard-Tod und muß, wie ein falsches Denkmal, eher jenes zerstören als würdigen, zu dessen Gedenken es errichtet ist. Ahnst du, was dies unweigerlich zur Verderbnis der ganzen Körperschaft wirken muß? Es ist schlimm genug, daß der Mensch unablässig die Schritte auf sein Ende zu richten hat, das Maß seiner ersten Stunde zu nehmen, indem er sie zusammenfaltet, bis sie die letzte berührt, wie ein Leinwandhändler, damit ihm nicht zuviel von seiner Elle genommen und geraubt werde, indem sie unvermerkt auf ihre Sahlleiste zukriecht, damit die Sahlleiste nicht vor ihm auftauche, wenn er nackend ist, damit sein ganzes Leben nicht zu nichts schrumpfe, unter der Erschütterung dieses, seines letzten Augenblicks.

Um wie vieles elender nun ist jener Mensch, der, mit welcher Standhaftigkeit auch immer, das Schauspiel eines Außenpostens betrachtet, welcher eine Ungewisse Standarte flattern läßt?

Oder so:
Wessen Kind erntest du? Wessen Erstgeborener entspringt aus deinem Schoß? Wäre er nicht deines Nächsten Sohn, hättest du dich fest an die Gesetze deines Landes gehalten? Ist er nicht ohne Erzeuger gemacht durch vorzeitiges Zeugen? Heißt das nicht, das rechte Verhältnis der Generationen rückwärts zu verkehren? Reitet er nicht seiner Mutter voran, auf der Suche nach seiner Mutter? In welchem Volk kommt der Sohn zuerst und die Mutter danach? Welcher Baum sprießt vor dem Garten und sagt: »Garten, Garten, hier ist der Baum!« Welcher Säugling gebiert seine Eltern, welches Kind kriecht aus der Wiege, aufdaß seine Mutter fände, ihr Haupt hinzulegen?

Wer setzt den Krummstab mit der Krücke nach unten? Wer säugt den Wind für die Mutter? Wer kämmt den Wind für die Eltern?

Wer setzt das Kind rückwärts auf das Tier der Zeit? Wer macht aus seinem Sohn nicht ein Geschlecht, sondern ein Grab, nicht Fortpflanzung, sondern Tote, nein, vermacht ihm weder Leben noch Tod, nicht Vergangenheit noch Zukunft? Er muß nach vorwärts suchen und nach rückwärts klagen. Umhergewirbelt wird er in Ungewißheit, und sein Geschlecht wird ihn für ein Geburtsrecht erben, und sein Vater und seine Mutter werden sagen: »Wir ähneln hiernach jenem, was vorher war und nicht ist.«

Oder besser:
Mutlose Molke bist du und solltest gezüchtigt werden! Geschunden! Gegeißelt! In den Stock geworfen! Niedergeschrien! Ausgebrüllt und rasch fertiggemacht, auf daß du hinausgehst aus unserem Land und über die Grenze und in irgendein Nachbargebiet, dort zu liegen, bis irgendein grindiger, räudiger Topfscherben dich als Eintopf schmort oder dich zwischen heißes Eisen und heißes Eisen legt und dich solcherart verdörrt, um sich eine Kappe für die Stiefelhacke aus dir zu machen. So durchgeschüttelt, so beutelgeschnitten, daß dir alle Ungewißheit ausgetrieben ist, so setz dich wieder als gültige Münze ein. So lieg herum, so kratz, schäl, kneif, zerr, bis daß du wieder ehrliches Fleisch werdest.  - (ryder)

 

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