tillstand
Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die Evolutionsgeschwindigkeit minimal,
ja nahezu gleich Null ist, wenn die Umweltbedingungen über Hunderte von Jahrmillionen
praktisch unverändert bleiben. Eine derartige Umwelt stellen vor allem die
Tiefen des Ozeans dar, in denen sich seit der Kreide und dem Jura gewisse tierische
Formen (Fische) bis heute nahezu unverändert erhalten haben. Planeten, deren
klimatische und geologische Verhältnisse bedeutend stabiler sind als die der
Erde, mit einem Wort solche, die wir bezüglich ihrer »Günstigkeit« für Erscheinungen
des Lebens als »Paradies« bezeichnen würden, können im Grunde den homöostatischen
Stillstand bedeuten; das Leben evoluiert nämlich nicht dank einer eingebauten
»Fortschritts«-Tendenz, sondern nur angesichts einer absoluten Bedrohung.
- (
sum
)
Stillstand (2) In der Isolation und Lautlosigkeit
ihrer aseptischen Wohnung sitzend, auf das unabwendbare Pochen an der Tür
wartend, hat es die Lysol-Lady geschafft, sich in die schwierigst mögliche
Lage zu bringen. Was unkompliziert war, wurde schwer. Was schwer war, wurde
schließlich zur Unmöglichkeit umgewandelt, und dort endet der psychotische
Lebensweg: wenn das Unmögliche bedrohlich näherrückt und keinerlei Möglichkeiten
mehr offenstehen, noch nicht einmal eine komplizierte. Das fehlt noch zur
Definition von Psychose: Am Ende ist die Sackgasse. Und an diesem Punkt
erstarrt der Psychotiker. Wenn man es je mitangesehen hat -, nun, es ist
ein erstaunlicher Anblick. Der Mensch hält mitten in der Bewegung inne
wie ein Motor mit Kolbenfresser. Es tritt ganz plötzlich auf. Im einen
Moment ist der Mensch in Bewegung - die Kolben schnellen auf und ab -,
und dann ist er ein unbeweglicher Block. Das liegt daran, daß der Weg für
diesen Menschen zu Ende ist, ein Weg, den er vielleicht vor Jahren eingeschlagen
hat. Es ist der kinetische Tod. »Es gibt keinen Raum«, schrieb der heilige
Augustinus. »Wir schreiten vor und zurück, und einen Raum gibt es doch
nicht.« Und dann kommt der Stillstand, und dann ist alles nur noch Raum.
- Philip
K. Dick, Merkwürdige Erinnerungen an den Tod. In: PKD, Der Fall Rautavaara.
Sämtliche SF-Geschichten Band 10. Zürich 2000
Stillstand (3) Er verließ mich. Ich vermochte nicht,
mich zu erheben. Ich weinte und jammerte nicht. Es war ganz lautlos in mir.
Er hatte das Gesicht eines Verräters an mir gefunden. Er hatte dieses Gesicht
verstümmelt, daß es unglaubwürdig würde. Ich dachte, wie ich mir vorstelle daß
eine Maschine denkt, ohne Rücksicht auf meine Schmerzen und mein Herz und meinen
Schoß; ohne Vorstellung meines Selbst und ohne Sehnsüchte. Es war wieder diese
unvergleichliche Gegenwart da. Am Boden Hegend. Dieses Nichtwissen um Ursache
und Wirkung. Nur Kreatur. Meine Schlagadern am Hals waren noch nicht zerrissen,
mein Bauch noch nicht gespalten. Aber die Keule war gegen die Stirn geschlagen
worden, was dieser nackte harte Boden bewies, auf dem ich lag. Das war der Stillstand.
Das Folgende war der Ablauf trotz des Stillstandes. Der Stillstand blieb, obwohl
ich zu gehen begonnen. Es veränderte sich nichts in mir. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)
![]() ![]() |
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
![]() ![]() ![]() |
||
![]() ![]() |
![]() ![]() |