- N. N.
Stilett
(2) Einmal,
momentlang, kaum einen Takt lang, eine dritte Weise von Musik: flugs sich einmischend,
und gleich wieder unhörbar; angeflogen aus einer unbestimmbaren Richtung, ungewiß
auch das Instrument, Gitarre? vielleicht, Laute? Gusla? Maultrommel? oder nicht
eher eine bloße Stimme? oder, ja! Gesangs- und Instrumentenstimme da in der
Luft für den einen Takt, vor dem Verstummen, zusammenkommend, ineinandergehend
und verschmelzend; einziger Moment damals in der Nacht der Diagonale, da aus
den so gar spärlichen Hintergründen anstelle der Aussichtslosigkeit und blinden
Empörtheit jenes Gehege der größeren Zeit sich abzeichnete, wenn auch nur im
Hören? Gerade im Hören! vordringlich im Hörbarwerden; zwei, drei Töne, die von
weitem kamen, und zugleich um die Ecke, und einen Stich ins Herz versetzten,
wie mit einem Stilett oder Skalpell, einen sehr tiefen; den tiefstmöglichen,
jedoch nicht tödlichen. -
Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002
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