Stilbildung   Was war das doch für ein unbegabter Mensch! Zum Leidwesen war er der einzige Architekt bei uns, und soviel ich mich erinnern kann, war in den letzten 15 bis 20 Jahren kein einziges anständiges Haus in der Stadt erbaut worden. Wenn ihm ein Plan in Auftrag gegeben wurde, so zeichnete er meist zunächst den Salon und ein Wohnzimmer hin; genauso wie in vergangenen Zeiten die Institutszöglinge nur vom Ofen her zu tanzen beginnen konnten, so vermochte seine künstlerische Idee nur von einem Saal und einem Wohnzimmer auszugehen, um sich weiter zu entwickeln. An diese setzte er nun ein Eßzimmer, ein Kinderzimmer, ein Arbeitskabinett an, wobei er die Zimmer mit Türen untereinander verband, so daß alle unweigerlich Durchgangszimmer wurden und in jedem Zimmer zwei, ja sogar drei unnötige Türen vorhanden waren. Vermutlich war sein Plan unklar, äußerst verwirrt und irgendwie kupiert; gleichsam fühlend, daß es an etwas mangle, half er sich jedesmal mit allen möglichen Anbauten, er klebte eines an das andere, und ich sehe noch heute vor mir die schmalen Flure, die engen kleinen Korridore, die krummen schiefen Treppchen, die in einen Zwischenstock führten, wo man nur gebückt zu stehen vermochte und wo es anstelle des Fußbodens drei riesenhafte Stufen in der Art von Schwitzgerüsten in den Badehäusern gab; die Küche dagegen befand sich auf jeden Fall unter dem Haus, mit einem Gewölbe und mit Ziegelfußbodcn. Die Fassade wies einen eigensinnigen geizigen Ausdruck, die Linien waren trocken und verlegen, das Dach niedrig und eingedrückt, auf den dicken, geradezu aufgedunsenen Schornsteinen aber ragten unbedingt Drahthauben mit schwarzen kreischenden Windfahnen. Aus irgendeinem Grund erinnerten mich alle diese von Vater erbauten Häuser, die einander so ähnlich sahen, entfernt an seinen Zylinder und an seinen Nacken, der ebenfalls trocken und eigensinnig war. Im Lauf der Zeit hatte man sich freilich in der Stadt an Vaters Unfähigkeit gewöhnt, sie hatte Wurzel geschlagen und war zu unserem Stil geworden.   - Anton Tschechow, Mein Leben. Erzählung eines Mannes aus der Provinz. Nach (tsch)
 
 

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