til   Die Gesamtheit der Bräuche eines Volks ist stets durch einen Stil gekennzeichnet; sie bilden Systeme. Ich bin davon überzeugt, daß die Anzahl dieser Systeme begrenzt ist und daß die menschlichen Gesellschaften genau wie die Individuen - in ihren Spielen, ihren Träumen, ihrem Wahn - niemals absolut Neues schaffen, sondern sich darauf beschränken, bestimmte Kombinationen aus einem idealen Repertoire auszuwählen, das sich rekonstruieren ließe. Würde man das Inventar aller Bräuche, die je beobachtet, in Mythen ersonnen, in den Spielen von Gesunden und Kranken sowie in den Verhaltensweisen von Psychopathen beschworen wurden, dann erhielte man schließlich eine Art periodischer Tafel ähnlich derjenigen der chemischen Elemente, in der sich alle realen oder auch nur möglichen Bräuche zu Familien gruppieren würden, so daß man nur noch herauszufinden brauchte, welche von ihnen die einzelnen Gesellschaften tatsächlich angenommen haben.

Diese Überlegungen passen besonders gut auf die Mbaya-Guaicuru, deren letzte Vertreter, neben den Toba und den Pilaga aus Paraguay, die Caduveo in Brasilien sind. Ihre Kultur erinnert unweigerlich an jene, die sich unsere Gesellschaft in einem ihrer traditionellen Spiele erträumte und deren Modell die Phantasie von Lewis Carroll so gut herausgestellt hat: jene indianischen Ritter ähnelten den Figuren auf unseren Spielkarten. Dieses Merkmal zeigte sich schon in ihrer Kleidung: Tunikas und lederne Mäntel, welche die Schultern breiter erscheinen ließen und in steifen Falten niederfielen, verziert mit schwarzen und roten Zeichnungen, welche die alten Autoren mit türkischen Teppichen verglichen und in denen immer wieder dieselben Motive wiederkehrten: Pik, Herz, Karo und Kreuz.

Es gab Könige und Königinnen, und diese letzteren - wie die aus Alice im Wunderland - taten nichts lieber, als mit den abgeschlagenen Köpfen zu spielen, welche die Krieger ihnen mitbrachten. Adlige Männer und adlige Damen vergnügten sich bei Turnieren; sie sahen sich von allen untergeordneten Arbeiten befreit, dank einer alteingesessenen Bevölkerung, die sich in Sprache und Kultur von ihnen unterschied, den Guana. Die Tereno, ihre letzten Vertreter, leben heute in einem Reservat unweit der kleinen Stadt Miranda, wo ich sie aufgesucht habe. Diese Guana waren Ackerbauern und zahlten ihren Mbaya-Herren einen Tribut an landwirtschaftlichen Produkten als Gegenleistung für deren Schutz, das heißt um sich vor den Raubüberfällen der bewaffneten Ritterbanden zu schützen. Ein Deutscher, der sich im 16. Jahrhundert in diese Gegend vorgewagt hatte, verglich diese Verhältnisse mit denen, die zu seiner Zeit in Mitteleuropa zwischen Feudalherren und Leibeigenen bestanden.

Die Mbaya waren in Kasten organisiert: an der Spitze der sozialen Stufenleiter standen die Adligen, die sich in zwei Gruppen spalteten, in den erblichen Hochadel und Individuen, die in den Adelsstand erhoben wurden, wenn sie zufällig am selben Tag zur Welt kamen wie ein Kind adligen Standes. Der Hochadel teilte sich außerdem in ältere und jüngere Zweige. Dann kamen die Krieger, von denen die besten nach der Initiation in eine Bruderschaft aufgenommen wurden, die ihnen das Recht verlieh, einen besonderen Namen zu tragen und eine künstliche Sprache zu sprechen, die darin bestand, jedem Wort ein Suffix anzuhängen, wie es bei uns zum Beispiel Kinder tun. Die Sklaven, die den Chamacoco oder anderen Völkern angehörten, sowie die leibeigenen Guana bildeten den Plebs, obwohl sich auch diese, den eigenen Bedürfnissen entsprechend und ihren Herren nacheifernd, in drei Kasten spalteten.

Die Adligen bekundeten ihren Rang dadurch, daß sie ihren Körper mit Hilfe von Schablonen bemalten oder tätowierten, was einer Art Wappen gleichkam. Sie pflegten sich alle Gesichtshaare, einschließlich der Augenbrauen und Wimpern, auszureißen und nannten die Europäer mit ihren buschigen Augen verächtlich »Straußenbrüder«. Männer wie Frauen zeigten sich in der Öffentlichkeit stets in Begleitung einer großen Gefolgschaft von Sklaven und Klienten, die sich um sie bemühten und ihnen jede Anstrengung ersparten. Noch im Jahre 1935 entschuldigten die geschminkten und mit Schmuck überladenen alten Monstren - übrigens die besten Zeichnerinnen - die Tatsache, daß sie die geselligen Künste hatten aufgeben müssen, damit, daß ihnen keine cativas - Sklavinnen - mehr zu Diensten stünden. In Nailke lebten noch ein paar ehemalige Chamacoco-Sklaven, die zwar in die Gruppe integriert waren, jedoch mit Herablassung behandelt wurden.

Der Hochmut dieser Herren hatte sogar die spanischen und portugiesischen Eroberer so eingeschüchtert, daß sie ihnen erlaubten, die Titel Don und Dona zu tragen. Man erzählte sich damals, daß eine weiße Frau nichts zu befürchten habe, wenn sie in die Hände der Mbaya fiele, da es keinem Krieger einfallen würde, sein Blut durch eine solche Vereinigung zu beschmutzen. Einige Mbaya-Damen weigerten sich, die Gattin des Vizekönigs zu empfangen, weil einzig die Königin von Portugal würdig genug gewesen wäre, mit ihnen zu verkehren; eine andere dieser Damen, fast noch ein Kind und unter dem Namen Doña Catarina bekannt, lehnte eine Einladung des Gouverneurs von Mato Grosso nach Cuiabá ab; da sie schon im heiratsfähigen Alter war, hätte dieser Herr, so glaubte sie, um ihre Hand anhalten können, und sie wollte weder eine Mesalliance eingehen, noch ihn durch ihre Weigerung beleidigen.

Diese Indianer waren monogam; aber die jungen Mädchen zogen es zuweilen vor, den Kriegern bei ihren Abenteuern zu folgen; sie dienten ihnen als Mundschenke, Pagen und Maitressen. Die adligen Damen hielten sich Hausfreunde, die meist auch ihre Geliebten waren, ohne daß die Gatten sich herabließen, Eifersucht zu zeigen und damit das Gesicht zu verlieren. Diese Gesellschaft zeigte sich allen Gefühlen abhold, die wir für natürlich halten; so empfanden sie einen tiefen Abscheu vor dem Zeugen von Kindern. Abtreibung und Kindsmord waren an der Tagesordnung, so daß das Überleben der Gruppe weit mehr durch Adoption als durch Fortpflanzung gesichert wurde, denn eines der Hauptziele der Kriegsexpeditionen bestand in der Beschaffung von Rindern. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte man ausgerechnet, daß kaum zehn Prozent der Mitglieder einer Guaicuru-Gruppe ihr durch Blutsbande angehörten.

Wenn dennoch Kinder zur Welt kamen, wurden sie nicht von ihren Eltern erzogen, sondern einer anderen Familie anvertraut, bei der diese sie nur selten besuchten. So hütete man sie - von Kopf bis Fuß rituell mit schwarzer Farbe angestrichen und mit einem Namen bezeichnet, den die Eingeborenen den Negern gaben, als sie sie kennenlernten - bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr, in dem sie initiiert, gewaschen und von einer der beiden konzentrischen Haarkronen befreit wurden, die sie bisher hatten tragen müssen.

Dennoch war die Geburt eines Kindes von hohem Rang ein Anlaß zu Festlichkeiten, die sich bei jedem erreichten Entwicklungsstadium wiederholten: Entwöhnung, erste Schritte, Teilnahme an den Spielen usw. Die Herolde verkündeten die Ruhmestitel der Familien und prophezeiten dem Neugeborenen eine glorreiche Zukunft; man erklärte einen anderen Säugling, der im selben Augenblick zur Welt gekommen war, zu seinem Waffenbruder; es folgte ein Trinkgelage, bei dem der Met in Gefäßen in Form von Hörnern oder Schädeln serviert wurde; die Frauen liehen sich die Ausrüstung der Krieger aus und lieferten sich Scheingefechte. Die Adligen, die ihrem Rang entsprechend Platz genommen hatten, wurden von Sklaven bedient, die nichts trinken durften, damit sie ihren Herren notfalls beim Erbrechen beistehen und sich um sie kümmern konnten, bis diese in Erwartung der wunderbaren Visionen, die ihnen die Trunkenheit bescherte, endlich einschliefen.  - (str2)

Stil (2) »Ich bevorzuge an einer Frau charmante Umgangsformen, eine charmante Art zu reden, eine charmante Haltung, eine charmante Art zu tanzen gegenüber der bloß klassischen Schönheit. Klassische Schönheit kann sehr stupide sein, wenn man sich außerhalb des Museums befindet. Ein hübsches Gesicht kann der inneren Verfassung sehr unangemessen sein. Ich mag ein Gesicht, das irgendetwas sagt, das schlicht und zutreffend Auskunft über die Persönlichkeit gibt. Natürlich, wenn man das alles sein kann und gleichzeitig auch noch schön, dann ist man die Zielscheibe göttlicher Freigebigkeit gewesen.«

»Beobachten Sie doch«, sagt sie, »wie die Frau, die alle Blicke auf sich zieht, einen Raum betritt. Wie sie geht, wie sie sich setzt, welche Gesten sie beim Gespräch verwendet. Sie mag nach klassischen Maßstäben schlicht häßlich sein, trotzdem ist an ihrer Figur, ihrer Haltung, an ihren Gesten irgendetwas dran, das Stil hat und ansehnlich ist, weil sie eben kein schmückendes Beiwerk sind, sondern zu ihrem Wesen gehören.   - Coco Chanel, nach (bar)

Stil (3)  Die Schreibart einzuteilen wie die Salat-Samen

1) Groß englisch nonpareille
2) geschachter Hanswurst
3) Sachsenhäuser Steinkopf bunt
4) - ditto schlicht
5) bunter Prahler
6) Großer Mogul
7) gesprenkter Prinzenkopf.

 - (licht)

Lebensart Kunst Kultur
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