tiel  Aufgabe: Vertauschung der Persönlichkeiten ohne Vertauschung der Gehirne.

Basis für alle Untersuchungen: frühere Experimente haben bewiesen, daß jeder Körper eine Seele besitzt. Denn Seele und Leben sind untrennbar voneinander, und alle Organismen haben zwischen ihrer Geburt und ihrem Sterben eine mehr oder weniger differenzierte Seele, je nachdem sie selber einen feineren oder primitiveren Organismus haben. So hat vom Menschen bis zu den Polypen und bis zum Moos herab jedes Lebewesen seine eigene Seele. (Schlafen die Pflanzen nicht? Atmen sie nicht? Und verdauen sie nicht? - Warum also sollten sie nicht auch denken können?)

Das beweist also, daß dort, wo kein Hirn ist, eine Seele ist.

Denn, Seele und Hirn sind unabhängig voneinander.

Mithin kann man die Seelen vertauschen, ohne daß man die Gehirne zu vertauschen braucht.

TRANSMISSIONSEXPERIMENTE

Der Gedanke ist die Elektrizität, insofern als unser Gehirn die galvanische Säule ist (oder der Akkumulator - das weiß ich noch nicht genau; - aber das ist gewiß, daß sich die Transmissionen des geistigen Fluidums analog der Transmission des elektrischen Fluidums voll

Experiment Nr. 4 beweist, daß sich der Gedanke mit einem Konduktor überträgt.

Experiment Nr. 10, daß er sich auch ohne Konduktoren, auf Ätherwellen übertragen lassen kann.

Die darauffolgenden Experimente indizieren den defekten Punkt, der dieser ist:

Eine Seele, die ich in einen Organismus expediere, ohne daß dieser davon weiß, eine solche Seele komprimiert sozusagen die Seele, die sie in dem Organismus vorfindet - jedoch ohne sie austreiben zu können. Und diese Seele, die ich expedierte — mit der ich in den Organismus wie in Feindesland einfiel und eroberte - die selber hält an ihrem früheren Organismus (an ihrer Heimat, an ihrem Vaterland) mit einer Art unerklärlichem geistigen Stiel (Wurzel! - Patriotismus? - Heimweh?) fest... so fest, daß bis zum heutigen Tage noch keine völlige endliche Abtrennung möglich war.

Stimmen die beiden Wesen aber gewissermaßen überein, mißglückt die reziproke Transmission aus dem gleichen Grund. Der hauptsächliche Teil der beiden Seelen installiert sich wohl im Organismus seines Partners, aber jener verdammte geistige Stiel verhindert die eine wie die andere, ganz und gar aus dem Leibe herauszugehen, von dem sie sich losreißen wollte.

Je simpler der empfängerische Organismus im Vergleich mit dem absenderischen Organismus ist, um so voller dringt dieser mit seiner Seele in jenen - leereren - ein, um so mehr Platz findet dieser in jenem - und um so dünner, schwankender und gebrechlicher wird dann jener Stiel, der noch im absenderischen Geist haftet - aber ist immerhin noch da.

Am 20. verschaffte ich mir geistigen Zutritt in Johann.

Am 22. inkarnierte ich mich in eine Katze.

Am 24. in eine Esche.

Der Zutritt war von Fall zu Fall leichter, die Invasion von Fall zu Fall kompletter, aber jener »Stiel» blieb.

Da dachte ich, daß das Experiment an einer Leiche gelingen müßte, weil da doch kein Fluidum ist, das meinem Eindringen von vornherein wehrt. Aber ich habe nicht bedacht, daß Seele und Tod unvereinbar miteinander sind und daß das Leben unzertrennlich dazu gehört. Das war nichts. Das war abscheulich. - Maurice Renard, Der Doktor Lerne. Mit Illustr. von Armin Stähle. Reinbek bei Hamburg 1985 (zuerst 1920)

 

Pflanze

 

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Stengel