terbegedanken Eines Nachts stand der Diener aus dem Bett auf, legte sich auf eine Truhe im Gang und starb.
Der Baron blieb eine Viertelstunde vor dem reglosen Mann stehen und betrachtete ihn, der so oft seinen Befehlen gehorcht hatte und dessen, Leben nun für immer vorüber war.
»Wer zum Teufel hat ihn das geheißen?« murmelte er, »wer zum Teufel hat ihn das geheißen?« wiederholte er und ließ Pater Rosario, den Bruder seines Schwiegersohnes, bitten, ihn in seiner Dachstube aufzusuchen, die er nun nicht mehr verließ.
»Gibt es ein Paradies?« fragte er ihn geradezu, kaum daß der Pater über die Schwelle getreten war.
Der Mönch setzte sich und erklärte ihm in allen Einzelheiten, wie aller Wahrscheinlichkeit nach das Himmelreich aussehe.
»Schwindler seid ihr!« antwortete der Alte und wollte ihn nicht mehr wiedersehen.
Aber vom nächsten Tag an bekreuzigte er sich alle Augenblicke, versteckte Heiligenbilder unter seinen Kissen und fiel, sooft der Gedanke an den Tod ihn streifte, auf die Knie. Seine Abneigung gegen die Geistlichen verband er jetzt mit einer nahezu kindischen Scheinheiligkeit. Er glaubte an mehr Dinge, als es das kirchliche Dogma verlangt, aber er wollte nicht an die Kirche glauben. Er war zugleich ein Rebell und ein arm-; seliger Fanatiker, was für einen, der zugleich von Furcht und von Wut erfüllt ist, ohne daß er einen Ausweg daraus fände, ein höchst natürlicher Zustand ist. In seinem Zimmer wurde das Fensterchen nicht mehr geöffnet, und die üblen Gerüche schwelten darin, solange sie wollten, bis sie sich durch die Fermente ihres eigenen Garens von allein reinigten und abschwächten. Langsam begann den Alten jene harte und kalte Haut zu überziehen, wie sie die Krallen der Hühner umschließt. Eines «einer Augen blieb immer geschlossen, als sei das Lid verklebt, der Blick; des anderen war wässerig und unklar wie der Schein einer Laterne im Regen.
Er schwieg andauernd und belästigte niemand. Durch sein Gehirn
aber zogen vor allem in der Nacht wütende Gedanken, Befehle, Gebrüll, Gebete
und Schluchzer. - Vitaliano Brancati, Bell'Antonio.
Frankfurt am Main 1961 (zuerst ca. 1950)
Sterbegedanken (2)
So will ich sterben: Dunkel ist es. Und es hat geregnet. Doch du spürst nicht mehr den Druck der Wolken, Die da hinten noch den Himmel hüllen In sanften Sammet. Alle Straßen fließen, schwarze Spiegel, An den Häuserhaufen, wo Laternen, Perlenschnüre, leuchtend hängen. Und hoch oben fliegen tausend Sterne, Silberne Insekten, um den Mond – Ich bin inmitten. Irgendwo. Und blicke Versunken und sehr ernsthaft, etwas blöde, Doch ziemlich überlegen auf die raffinierten, Himmelblauen Beine einer Dame, Während mich ein Auto so zerschneidet Daß mein Kopf wie eine rote Murmel Ihr zu Fügen rollt...
Sie ist erstaunt. Und schimpft dezent. Und stößt ihn |
Sterbegedanken (3)
Es ist ein eigenartiges Gefühl, zu sterben, ohne zu wissen, was aus einem vielleicht
noch geworden wäre. Natürlich stirbt jeder Mensch ohne dieses Wissen, weil er
sich auch auf dem Sterbebett noch vorstellt, was
morgen sein könnte oder übermorgen, und immer noch hofft er, dass sich etwas
Grundlegendes ändert in seinem Leben. Aber es ist doch ein Unterschied, ob man
mit sechzig oder siebzig oder eben mit noch nicht einmal vierzehn stirbt. Es
gibt natürlich auch Vorteile beim Sterben. Man muss andere zum Beispiel nicht
sterben sehen. Meine Eltern etwa oder meinen Bruder. Oder überhaupt Tiere, selbst
Blumen oder Matchboxautos, die natürlich nicht sterben oder verwelken, aber
doch kaputtgehen. Ein Tier verendet, eine Blume verwelkt, ein Mensch stirbt.
Manchmal denke ich, dass diese Bezeichnungen nicht ausreichen. Jede Art, jedes
Ding müsste einen eigenen Ausdruck haben, der sein Sterben bezeichnet. Aber
das ist natürlich Unsinn. Das sind nur so Gedanken, die mir Es ist ein eigenartiges
Gefühl, zu sterben, ohne zu wissen, was aus einem vielleicht noch geworden wäre.
Natürlich stirbt jeder Mensch ohne dieses Wissen, weil er sich auch auf dem
Sterbebett noch vorstellt, was morgen sein könnte oder übermorgen, und immer
noch hofft er, dass sich etwas Grundlegendes ändert in seinem Leben. Aber es
ist doch ein Unterschied, ob man mit sechzig oder siebzig oder eben mit noch
nicht einmal vierzehn stirbt. Es gibt natürlich auch Vorteile beim Sterben.
Man muss andere zum Beispiel nicht sterben sehen. Meine Eltern etwa oder meinen
Bruder. Oder überhaupt Tiere, selbst Blumen oder Matchboxautos, die natürlich
nicht sterben oder verwelken, aber doch kaputtgehen. Ein Tier verendet, eine
Blume verwelkt, ein Mensch stirbt. Manchmal denke ich, dass diese Bezeichnungen
nicht ausreichen. Jede Art, jedes Ding müsste einen eigenen Ausdruck haben,
der sein Sterben bezeichnet. Aber das ist natürlich Unsinn. Das sind nur so
Gedanken, die mir kommen, weil ich immer im Bett liegen muss. Tagsüber geht
es seltsamerweise, nur am Abend fällt es mir besonders auf, wenn es dunkel wird
und die anderen sich noch draußen auf dem Flur und in den Zimmern bewegen. Vielleicht
weil sie von irgendwoher zurückkommen, während ich die ganze Zeit schon da bin.
Deshalb lenke ich mich mit solchen Gedanken ab. Und ich tröste mich auch etwas
damit, denn früher habe ich mir oft überlegt, wie ich mich verhalte, wenn meine
Eltern sterben. Ich wollte mir etwas zurechtlegen für diesen Moment, eine bestimmte
Art, mich zu benehmen, ein paar Sätze, die ich sagen könnte, mir selbst, vor
allem aber auch anderen, doch wollte mir nichts Richtiges einfallen. Glücklicherweise
bin ich von diesem Erlebnis und damit auch von den Gedanken daran befreit. Es
ist ein hoher Preis, aber ich bin mir sicher, dass es angenehmer ist andere
zu verlassen als selbst verlassen zu werden. Seltsam allerdings, dass ich dennoch
nichts Besonderes denken kann, jetzt am Ende, so wie ich es mir immer vorgestellt
habe. Im Gegenteil, es sind völlig unwichtige Dinge, die mir durch den Kopf
gehen. Überhaupt nichts Bedeutendes. Lege ich die Zunge nach rechts oder links.
Kann ich noch etwas warten bis zum nächsten Schlucken. Eigentlich schade, denn
Zeit hätte ich jetzt zum Denken. Und auch die nötige Ruhe. Das schöne am Kranksein
waren das Micky-Maus- oder Fix-und-Foxi-Heft, der geschälte und in Scheiben
geschnittene oder, wenn ich etwas am Magen hatte, geriebene Apfel und das Radio
am Bett. Aber ich kann verstehen, dass meine Eltern gerade darauf jetzt verzichten.
Es erscheint ihnen wahrscheinlich dem Ernst der Lage nicht angemessen. Oder
sie wollen mir keine Hoffnung machen. -
(raf)
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