tenz
Godfrey war der große, fette, grauhaarige Kater der
McKechnies. Ein Brocken von einem machohaften Stenz mit eindeutigen Ansichten
über Reviergrenzen. Der Typ Kater, der Katzen
gegen die Wand drückte und sie der Frigidität beschuldigte, wenn sie sich nicht
ergaben. Selbst für die feline Welt, wo Selbstsucht und Gerissenheit als Kardinaltugenden
gelten, war Godfrey ein außergewöhnlich böser Kater. Die anderen Katzen machten
einen Bogen um ihn; man hatte einige der kleineren Hunde der Gegend beobachtet,
wie sie auf die andere Straßenseite wechselten, um ihm auszuweichen; nicht einmal
seine Besitzer mochten ihn besonders. Sie versorgten ihn mit allem, was er brauchte,
und gingen ihm sonst, so gut es ging, aus dem Weg.
Als der Kleine an der Anrichte vorbeikam, hörte er ein scharfes, zischendes
Fauchen. Er drehte sich um und sah Godfrey. Der Kleine hielt sich für einen
Katzenkenner und streckte die Hand aus, um Godfrey am Kinn zu kraulen. Godfrey
schätzte es nicht, am Kinn gekrault zu werden; er mochte es überhaupt nicht,
wenn ihm Menschen zu nahe kamen. Als die Hand herankam, hieb er mit seiner rechten
Pfote danach.
Godfrey hielt seine Krallen gut in Schuß. Auf dem Handrücken des Mannes erschienen
drei weiße Linien; nach einigen Sekunden schienen sie zu platzen, und Blutperlen
kamen zum Vorschein. Ungläubig starrte der Mann seine Hand an. Im Stehen sah
er sich langsam in der Küche um. Als sein Blick auf die Gefrierkombination fiel,
schoß seine Hand blitzschnell vor und packte Godfrey am Hals, bevor der sich
noch rühren konnte; er durchquerte die Küche, riß die Tür des Eisfachs auf,
schmiß den Kater hinein und knallte die Tür zu. Er drehte sich um und sah sich
nochmal die Küche an: Arbeitstisch, indirekte Deckenbeleuchtung, Nirostaflächen,
überall Schnickschnack; ein Herd mit einem Bratspieß
in Augenhöhe. Er nickte zufrieden vor sich hin. - Dan Kavanagh, Duffy.
München 2006 (zuerst 1980)
Stenz (2) Der alte Stenz war eine
im Viertel von Sainte-Gudule sehr bekannte Persönlichkeit; er lebte dort seit
Einwohnergedenken: Er bewohnte ein Mansardenzimmer in der Rue Vieille-des-Archives,
das niemand je betrat und das er einmal täglich bei Einbruch der Nacht für einen
Spaziergang - er nahm immer den gleichen Weg - verließ. Man wußte weder, wie
er hieß noch wovon er sich ernährte. Er hatte den wächsernen Teint eines alten
Lüstlings des Ancien Regime und ging mit kleinen Trippelschritten, den Kopf
geneigt und Grimassen schneidend, das Trottoir entlang, als käme er von einer
irren Orgie, wozu er unverständliche Worte brummte und seinen Stock mit dem
goldenen Knauf durch die Luft wirbelte.
Es gab im Viertel mehrere Hypothesen über seine Identität und den Ursprung
seiner Aufmachung; Madame Eusèbe zufolge, die darin von Madame Yvonne unterstützt
wurde, war er früher Angestellter einer Weinfirma gewesen, die »Weine des Kutschers«;
irgendwann hatten die »Weine des Kutschers« im Zuge einer Werbekampagne, die
dreißig Jahre zuvor einen gewissen Erfolg gehabt hatte, eine Postkutsche mit
einem richtigen Pferd und einem richtigen Kutscher durchs Viertel fahren lassen,
die die Produkte der Firma pries; dieser Kutscher soll er gewesen sein, und
als er dann im Ruhestand war, mit dem er sich nicht abfinden konnte, soll er
die Kleidung beibehalten haben, die er zu seinen Glanzzeiten getragen hatte,
als ihn alle Kinder aus dem Viertel auf seinem immergleichen Weg begleiteten
und ihm Beifall klatschten. Eine andere, weniger prosaische Hypothese wurde
von Madame Groichant vertreten, die sie von ihrer Mutter hatte und die durch
Madame Boillault maßgeblich unterstützt wurde: Ihnen zufolge soll er von einem
englischen Vetter, der sein Glück in Poldevien gemacht hatte, zusammen mit seinem
Mansardenzimmer eine sehr bedeutende Geldsumme geerbt haben, unter einer Bedingung
allerdings, nämlich daß er täglich bis zu seinem Tod den Spaziergang machen
müsse, den man ihn in seinem ständigen Aufzug machen sah. - Jacques
Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)
Stenz (3) Nur, meinte er tadelnd, müßten
wir auch in unserem Äußeren allmählich alles »Künschtlerhafte« abstreifen und
uns dafür im äußeren Habitus mehr dem Typus eines »Stenz« (Zuhälters) annähern.
Unter dem Druck dieser Perspektive kaufte ich mir sofort eine Sportmütze, die
ich tief ins Gesicht gezogen trug, duldete nur noch ganz niedrige Kragen, ließ
mich in der Woche nur einmal rasieren, befleißigte mich eines flegelhaften Benehmens,
kurz, ich gab mir alle Mühe, in den Augen unseres Lehrmeisters möglichst zu
reüssieren. Da die andern mit Ausnahme Ulrichs alle rauchten, bemühte ich mich
natürlich auch, mir dieses Laster schnell und gründlich anzueignen, denn ein
»Stenz« ohne Zigarette war eine Anomalie, das sah ich wohl ein. Trotz der ablehnenden
Reaktion meiner Organe überwand ich rasch die ersten Schwächen und Mißstimmungen,
welche dieser ungewohnte Genuß zur Folge hatte; bald konnte ich es den ändern
gleich tun und qualmte auf Teufel komm raus wie ein lumpiger Ofen. Nun gab es
da aber immer noch zwei Dinge, die mich nicht ganz zu dem vollen Genuß meiner
neuen Rolle gelangen ließen und deren fatale Auswirkungen ich in der Haltung
Zacks deutlich zu verspüren glaubte. Das eine Übel war mein Zwicker; ich bemühte
mich verzweifelt, meinen jetzigen Zustand als »Stenz« mit dem Tragen von Augengläsern
in Einklang zu bringen. Vorsichtig und auf Umwegen erkundigte ich mich bei Zack,
ob es auch Zuhälter mit Brillen gäbe und als er mir versicherte, er hätte einmal
einen großen Zuhälter in London gesehen, der eine Brille getragen habe und überhaupt
ein äußerst gefährlicher Mensch gewesen sei, da fiel mir ein großer Stein vom
Herzen; ich nahm mir vor, mich fortan nicht mehr durch diesen leidigen Umstand
unnötig alterieren zu lassen. Das zweite, was mich quälte, war meine große Naivität
und Unwissenheit in Rebus sexualibus, ich schämte mich, noch nie mit einem Mädchen
verkehrt zu haben, überhaupt in Angelegenheiten des Geschlechtslebens als so
blutiger Laie dazustehen; hörte ich doch täglich von Willy und Egon Bemerkungen
über die Maidle, mit denen sie schon »Stinkfingeries« und andere mysteriöse
Dinge getrieben haben wollten; ganz zu schweigen von Zack, der in meinen Augen
geradezu als ein Napoleon des Bordells figurierte. -
Rudolf Schlichter, Das widerspenstige Fleisch. Berlin 1991 (zuerst 1932)