tellvertreter  Der kleine Junge war nicht sehr lebhaft. Er hinkte, und infolge seines Hinkens kam er immer erst nach seinem Schiff am gegenüberliegenden Ufer an. Diese Verspätung hatte ein Drama zur Folge. Ein schlecht gelenkter Segler rammte mit voller Wucht den Überseedampfer, der das Gleichgewicht verlor und havarierte. Das Spielzeug füllte sich schnell mit Wasser. Machtlos sah das verwirrte Kind dem Schiffbruch zu. Die Tränen rollten ihm über die Wangen. Trelkovsky wartete darauf, daß es zu seinen Eltern laufen würde, doch es schien allein zu sein, denn es setzte sich nur auf die Erde und heulte weiter. Trelkovsky empfand eine eigenartige Freude an diesen Tränen, die ihn rächten. Er hatte das Gefühl, daß da stellvertretend für ihn geweint wurde. Mit Befriedigung sah er die Tränen aus den Augenwinkeln perlen. Innerlich ermunterte er den Knaben, noch mehr zu weinen.

In diesem Augenblick näherte sich eine ordinär aussehende junge Frau dem Jungen, beugte sich über ihn, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Kind hörte auf zu heulen, es hob den Kopf und lächelte.

Trelkovsky fühlte sich auf unerträgliche Weise in seiner Erwartung enttäuscht. Der Knabe lächelte nicht nur, sondern er lachte jetzt richtig. Die Frau redete ihm immer noch geheimnisvoll zu. Sie schien sehr erregt. Ihre Hände liebkosten Wangen und Nacken des kleinen Jungen. Sie klopfte ihm auf die Schultern, und zum Schluß küßte sie ihn auch noch aufs Kinn. Sie verließ ihn und wandte sich einer Holzbude zu, in der eine alte Frau Spielzeug verkaufte.

Trelkovsky stand auf und ging zu dem Kind. Absichtlich rempelte er es an. Der Kleine blickte zu ihm auf, um zu sehen, was ihm geschah.

»Ungezogener Bengel!« zischte Trelkovsky.

Und ohne jedes weitere Wort haute er ihm rechts und links eine runter. Er entfernte sich schnellen Schrittes und ließ das Kind betroffen über die Ungerechtigkeit zurück, deren Opfer es geworden war.  - Roland Topor, Der Mieter. Zürich 1976 (detebe 20358, zuerst 1964)

Stellvertreter (2) Charakteristische Umstände der Berufung sind der dunkle Wald, der große Baum, der murmelnde Brunnen und die ekle und mindere Verkleidung des mächtigen Schicksalsboten. In ihnen lassen die Symbole des Weltnabels sich wiedererkennen. Der Frosch vertritt als verkleinerter Drache, im Rahmen des Kindermärchens, die Unterweltschlange, die die lebenzeugende und weltbildende Kraft des Abgrundes darstellt und mit ihrem Kopf die Erde trägt. Er taucht auf mit dem goldenen Sonnenball, den sein dunkles und feuchtes Reich eben verschlungen hatte, und gleicht darin dem großen chinesischen Drachen des Ostens, der in seinen Kiefern die aufgehende Sonne heranträgt, oder auch dem Frosch, auf dessen Kopf jung und stattlich der unsterbliche Han Hsiang reitet, in einem Korb die Pfirsiche der Unsterblichkeit tragend.  - Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.  Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)

Stellvertreter (3)  Rühren Sie keinen Finger, um sich zu schützen. Empfangen Sie die Schläge mit Demut, ohne Klage. Dieser Trottel soll wissen - denn letzten Endes ist der Herr Graf nichts als ein Trottel -, wie weit die Standhaftigkeit meiner Dienstboten geht. Mehr noch: Sie sollten auf die Peitschen- oder Fausthiebe mit einem leichten Lächeln antworten, einem kaum angedeuteten Lächeln. Ich meine natürlich nicht jenes hochmütige, zwanghafte Grinsen, mit dem manche Todeskandidaten beim Besteigen des Schafotts ihren Henker beleidigen. Ebensowenig denke ich an die unzüchtig verzerrten Gesichter derer, für die der Schmerz höchster Ausdruck der Lust ist. Ihr Lächeln muß vielmehr Geistigkeit ausstrahlen. Es muß sich gewissermaßen zwischen Heiterkeit und seligem Vertrauen bewegen. Lassen Sie beim Knallen der Peitsche auf Ihrem Gesicht den Ausdruck derer glänzen, die ihre ganze Hoffnung auf Gerechtigkeit in die andere Welt setzen. Da ist noch etwas, und verzeihen Sie mir, wenn ich mich über diesen Punkt so verbreite: ideal wäre es, wenn Sie, falls der Moment der Prügel kommt, vor dem Herrn Grafen auf die Knie fielen und ihm leutselig den Rücken darböten. Denken Sie daran, daß letztlich mein persönliches Ansehen auf dem Spiel steht. Sie müssen mich also mit der allergrößten Würde vertreten. - (marq)

Stellvertreterin (4)  Die Königin war in ihrem Bad, als ich bei ihr eintrat. Ich bemerkte, daß sie in Ziegenmilch badete. »Treten Sie doch ein«, sagte sie. »Sehen Sie, ich benutze nur lebende Schwämme: Das ist gesünder.« Die Schwämme trieben in der Milch umher; sie hatte Mühe, sie einzufangen. Ein Kammerdiener, der mit einem langen Enterhaken bewaffnet war, half ihr ab und zu dabei. »Bald«, sagte die Königin, »bin ich mit Baden fertig. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen: Ich möchte, daß Sie an meiner Stelle die Regierung übernehmen. Ich bin sehr müde. Es sind alles Dummköpfe, Sie werden keine Schwierigkeiten haben.«

»Einverstanden«, sagte ich.

Das Zimmer der Regierung befand sich an der anderen Seite des Palastes. Die Minister hielten ihre Sitzungen an einem sehr langen, spiegelblanken Tisch ab.

Als Vertreterin der Königin setzte ich mich ans Kopfende. Der Premierminister erhob sich und schlug mit einem Hammer auf den Tisch. Der Tisch brach entzwei. Die Bediensteten trugen einen anderen Tisch herein. Der Premierminister vertauschte seinen Holzhammer mit einem anderen, der aus Gummi war. Er klopfte noch einmal und sprach wie folgt: »Mademoiselle Vertreterin der Königin, meine Herren Minister, liebe Freunde. Unsere innig geliebte Herrscherin ist gestern wahnsinnig geworden. Wir brauchen eine neue. Doch zunächst müssen wir die alte Königin ermorden.«  - Leonora Carrington, Das Haus der Angst. Frankfurt am Main 2008 (BS 1427)

 

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