tellungswechsel
Mrs. Gorman saß nicht immer auf Watt, denn
manchmal saß Watt auf Mrs. Gorman. An manchen Tagen saß Mrs, Gorman die ganze
Zeit auf Watt, an anderen Tagen saß Watt ununterbrochen auf Mrs. Gorman.
Und es fehlte auch nicht an Tagen, an denen Mrs. Gorman am Anfang auf Watt saß
und am Ende Watt auf sich sitzen hatte, oder an denen Watt am Anfang auf Mrs.
Gorman saß und am Ende Mrs. Gorman auf sich sitzen hatte. Denn Watt neigte dazu,
ehe für Mrs. Gorman die Zeit des Abschiednehmens kam, Mrs. Gormans Sitzens auf
ihm oder seines Sitzens auf Mrs. Gorman überdrüssig zu werden. Wenn dann Mrs.
Gorman auf Watt und nicht Watt auf Mrs. Gorman saß, so schob er sie schonungsvoll
von seinem Schoß auf ihre Füße auf die Fliesen und erhob sich selber, bis sie,
die einen Moment vorher noch beide gesessen hatten, sie auf ihm und er
auf dem Stuhl, nun standen, nebeneinander, auf ihren Füßen, auf den Fliesen.
Und dann kamen sie, Watt und Mrs. Gorman, zusammen wieder zur Ruhe, der letztere
auf dem Stuhl und die erstere auf dem letzteren. Aber wenn nicht Mrs. Gorman
auf Watt saß, sondern Watt auf Mrs. Gorman, so kletterte er von ihren Knien
und half ihr mit sanfter Hand auf die Füße und nahm (seine Knie beugend) ihren
Platz auf dem Stuhl ein und zog (seine Schenkel spreizend) sie hinab in seinen
Schoß. Und Watt konnte an einigen Tagen so schlecht einerseits
Mrs. Gormans Drücken von oben und andererseits
Mrs. Gormans Stoßen von unten ertragen, daß nicht weniger
als zwei oder drei oder vier oder fünf oder sechs oder sieben oder acht oder
neun oder zehn oder elf oder sogar zwölf oder sogar dreizehn Stellungswechsel
für nötig gehalten wurden, ehe für Mrs. Gorman die Zeit des Abschiednehmens
kam. Was, wenn man eine Minute für die Umstellung ansetzt, eine durchschnittliche
Sitzung von fünfzehn Sekunden ergibt und, auf der bescheidenen Basis eines Kusses
von einer Minute alle anderthalb Minuten, eine Tagessumme von einem einzigen
Kuß, von einem einzigen Doppelkuß, begonnen wahrend der ersten Sitzung und vollendet
während der letzten, denn während der Umstellungen konnten sie nicht küssen,
so sehr hielten diese sie in Atem. Weiter kamen sie, wie leider gesagt werden
muß, nie, obgleich sie bei mehr als einer Gelegenheit mehr als drauf und dran
waren. Warum war das so? War es in ihren Herzen, in Watts Herzen und in Mrs.
Gormans Herzen, einer vergangenen Leidenschaft, eines ehemaligen Irrtums raunendes
Echo, das sie warnte, in den Schmutz der Kloake klonischer Ergötzung zu zerren,
was eine so schöne, so seltene, so holde, so zarte Blume war? Nichts nötigt
zu dieser Annahme. Denn Watt hatte nicht die Kraft, und Mrs. Gorman hatte nicht
die Zeit, die für eine auch noch so flüchtige Verschmelzung unerläßlich ist.
Die Ironie des Lebens! Des Liebeslebens! Daß jenem, der Zeit hat, die Kraft
fehlen soll, und daß jener, die die Kraft hat, die Zeit fehlen soll!
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(wat)
Stellungswechsel (2)
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"Tom", TAZ vom 1. April 2014
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