Steinzeit (2) Der Alte kreiste um unseren Baum und spähte zu Schlappohr hinauf, der im gleichen Tempo um den Stamm kreiste, und zwar so, daß er ihn immer zwischen sich und dem Feuermacher hatte. Da wechselte der abrupt die Richtung. Auch Schlappohr machte eine Kehrtwendung, aber zu spät: ein Pfeil schwirrte durch die Luft, um Haaresbreite an ihm vorbei, prallte an einem Ast ab und fiel zu Boden. Ich tanzte auf meinem luftigen Sitz vor Vergnügen auf und ab. Es war ein Spiel! Der Feuermacher warf uns Sachen an den Kopf, und wir mußten aufpassen, daß er uns nicht traf. Das Spiel ging noch eine Zeitlang so weiter, aber Schlappohr ließ sich nicht ein zweites Mal erwischen. Da verlor der Feuermacher die Lust. Ich lehnte mich weit vor und machte ermunternde Laute. Ich wollte mit ihm spielen. Er sollte auch mich mit dem Ding zu treffen versuchen. Er sah mich, ignorierte mich aber und wandte seine Aufmerksamkeit Zahnlücke zu, der noch immer auf seiner Astspitze wippte. Der erste Pfeil schnellte in die Höhe. Zahnlücke schrievor Schreck und Schmerz schrill auf. Der Pfeil hatte ihn getroffen! Das ließ die Situation in einem ganz anderenLicht erscheinen. Die Lust am Spielen verging mir augenblicklich. Zitternd vor Angst klammerte ich mich an meinen Ast. Ein zweiter und dritter Pfeil surrte dicht an Zahnlücke vorbei durch das raschelnde Laub, flog in hohem Bogen durch die Luft und kehrte zur Erde zurück.
Der Feuermacher spannte erneut den Bogen. Er trat ein paar Schritte zurück, dann zur Seite. Die Bogensehne machte ›twäng‹, der Pfeil flog sirrend durch die Luft, und Zahnlücke stürzte mit einem Schrei, der mir durch Mark und Bein ging, vom Ast.
Ein Bündel von Armen und Beinen und Pfeilenden, die ihm aus Brust und Rücken
hervorragten, wirbelte er siebzig Fuß tief durch die Luft, bis er unten schmetternd
und mit Krachen und Bersten aufschlug. Wie ein Ball schnellte er noch einmal
kurz hoch, dann blieb er liegen. Noch lebte er. Vor Schmerzen wand und wälzte
er sich am Boden und zerrte mit Händen und Füßen an dem Pfeil. Ich erinnere
mich noch, wie der Feuermacher mit einem dicken Stein in der Hand auf ihn zulief
und ihm die Schädeldecke zertrümmerte. - Jack London, Vor Adams Zeiten.
Frankfurt am Main 1984 (zuerst 1907)
Steinzeit (3) Eine der schöpferischsten
Phasen in der Geschichte der Menschheit ist das Neolithikum: damals entdeckte
der Mensch die Landwirtschaft, die Zähmung der Tiere und andere Künste. Um so
weit zu gelangen, bedurfte es vieler Jahrtausende, in deren Verlauf kleine Gruppen
von Menschen beobachtet, experimentiert und das Ergebnis ihrer Überlegungen
weitervermittelt haben. Dieses ungeheuere Unternehmen bat sich mit einer Kraft
und einer Kontinuität entfaltet, von denen der Erfolg Zeugnis gibt, während
die Schrift damals noch unbekannt war. Sollte diese
zwischen dem vierten und dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstanden
sein, so darf man in ihr zwar ein bereits fernes (und zweifellos indirektes)
Ergebnis der neolithlschen Revolution sehen, jedoch keinesfalls ihre Voraussetzung.
Mit welcher großen Erneuerung stand sie in Zusammenhang? Auf technischer Ebene
wäre nur die Architektur zu nennen. Aber die der Ägypter und Sumerer war den
Leistungen bestimmter schriftioser Kulturen in Amerika kaum überlegen. Umgekehrt
sind seit der Entdeckung der Schrift bis zur Entstehung der modernen Wissenschaft
etwa fünftausend Jahre vergangen, während derer die Kenntnisse mehr fluktuierten
als anwuchsen. Es wurde oft behauptet, zwischen dem Lebensstil eines griechischen
oder römischen und dem eines europäischen Bürgers des 18. Jahrhunderts habe
kein großer Unterschied bestanden. Im Neolithikum hat die Menschheit ohne die
Hilfe der Schrift ungeheuere Fortschritte gemacht; und mit ihrer Hilfe haben
die historischen Kulturen des Westens lange Zeit stagniert. - (
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