tau »Als ich zuerst an das — — — Ereignis dachte, war das nicht mehr als eine Erinnerung unter Erinnerungen aller Art, wie ein besonderer Fisch, der hin und wieder an der Oberfläche erscheint. Vielleicht kam es daher, daß ich gerade diese Erinnerung zu unterdrücken suchte, daß ihr Auftauchen mich zu befremden begann. Ich bemerkte, daß sich eine Art von Selbstgesprächen an diese Anstrengungen heftete, zunächst vereinzelte Worte, dann Sätze und zuletzt Ausbrüche von flammender, schreiender Wut. Dabei stellte sich die Sucht, schmutzige Worte zu gebrauchen, ein — schmutziger, als man sie je in den Fischhallen oder in Newgate vor den Hinrichtungen hört. Ja, ich habe in mir das Talent entdeckt, Verwünschungen zu bilden, die man auch in den Kloaken nicht kennt, gleichsam als ob noch unbekannte Quellen des Schmutzes in mir mündeten — — —«
»Sprechen Sie weiter, Madame.«
»Auch will es mir scheinen, als ob diese Massen sich in mir anstauen, wie
man das vor Mühlwehren beobachtet. Daher nehme ich jede Gelegenheit wahr, mich
durch heimlich ausgestoßene Verwünschungen dieser
Last zu entledigen, schreibe derartiges auch in Briefe, die ich dann anzünde.
Nach Tagen jedoch, an denen das Zeremoniell mich vom Morgen bis zum Abend unter
Augen stellte, fühle ich eine Art von Lava in mir anschwellen. So kam es vor
kurzem, in der Nacht zum ersten Mai, zu einem schrecklichen Ausbruche, bei dem
ich mir fremdartig war. Ich habe mich um Mitternacht schwebend im großen Spiegel
meines Ankleideraumes gesehen, eine Kerze in der Hand, mit Schaum vor dem Munde
und furchtbar gesträubtem Haar. Seitdem habe ich auch das Gefühl, eines besonders
eindringlichen Blickes teilhaftig geworden zu sein. So empfinde ich in den Gesichtern,
in den Stimmen das Niedere, und jedes verbindliche Wort, jede höfische Geste
erscheint mir als allzu flüchtig, allzu lässig aufgetragene Lüge, die ein geheimes
Einverständnis überdeckt. Dieses Mißverhältnis wird um so deutlicher, je glänzender
die Pracht der Roben und Uniformen strahlt. Wenn die Gesandten ihre Fremden
von Bedeutung präsentieren, oder an der gedeckten Prunktafel überkommt mich
die Lust, die Kleider herunterzureißen und einen Toast zu spenden, der die Eingeweide
der Erde entblößt.«
- (
ej
2)
Stau (2) die Ärztin, mit der ich telefonierte,
sagte, »husten Sie mal herein ins Telefon, damit ich hören kann ob Sie krank
sind«, ich hustete ins Telefon und zwischen den künstlichen Hustenanfällen sagte
ich krächzend, ich bin 1 Wallfahrtsmensch, ganz gekrümmt und verkrochen, ich
war 1 grüner Februar, 1 Selbstfrankreich, und ich ertappte mich, daß ich schon
wieder anfing, in meinem Kopfe, Teile dieses Textes in Kurzschrift zu notieren,
es machte mir Spaß, es erleichterte mir, im innersten Takt zu bleiben, und ich
hörte EJ zu mir sagen : »weil du nur immer zu dir selber
sprichst, strengt es dich über die Maßen an, auch nur kurze Gespräche
mit anderen Menschen zu führen, selbst 1 Gespräch mit Freunden geht über
deine Kraft, und du möchtest nichts wie davonlaufen, die Rede mit dir selber
wird unterbrochen, es kommt zu 1 Stau, BLUTSTAU, und schon bist du krank und
kaputt, usw.« - Friederike Mayröcker, Die kommunizierenden
Gefäße. Frankfurt am Main 2003 (es 2444)
Stau (3) Als es dunkel wurde, rückte die Kolonne beträchtlich vor, an die vierzig Meter. Als der Ingenieur zerstreut den Kilometerzähler betrachtete, war die Hälfte der 6 verschwunden und die Ahnung einer 7 zeigte sich, die sich von oben herablassen wollte. Fast jeder hörte Radio. Die in dem Simca hatten es dröhnend laut eingestellt und begleiteten einen Twist mit ihrem Gezappel, so daß die ganze Karosserie vibrierte. Die Nonnen rechneten ihre Rosenkränze durch; das Kind in dem Taunus war eingeschlafen, das Gesicht ans Fenster gedrückt, ohne das Spielzeugauto loszulassen.
In einem gewissen Augenblick (es war bereits tiefe Nacht) tauchten Ausländer
mit neuen Nachrichten auf, die so widersprüchlich waren wie die anderen, schon
vergessenen. Es war kein Piper Cub gewesen, sondern ein von der Tochter eines
Generals gesteuertes Segelflugzeug. Es stimmte, daß ein Kombiwagen einen Austin
zerdrückt hatte, aber nicht in Juvisy, sondern vor den Toren von Paris. Einer
der Ausländer erklärte dem Ehepaar in dem 203, bei Igny sei der Belag der Autobahn
weggerutscht und fünf Autos hätten sich überschlagen, als sie mit den Vorderrädern
in den Riß geraten seien. Die Meinung, es habe eine Naturkatastrophe gegeben,
bahnte sich ihren Weg bis zu dem Ingenieur, der kommentarlos die Achseln zuckte.
Wenn er später an diese ersten Stunden in der Dunkelheit dachte, da man freier
atmen konnte, erinnerte er sich, daß er in einem gewissen Augenblick einen Arm
aus dem Fenster gesteckt und auf die Karosserie des Dauphine getrommelt hatte,
um das Mädchen zu wecken, das überm Lenkrad eingeschlafen war, ohne sich um
ein neues Vorrücken zu kümmern. Es war vielleicht Mitternacht, als ihm eine
der Nonnen schüchtern ein Schinkenbrötchen anbot, da sie glaubte, er habe Hunger.
Der Ingenieur nahm aus Höflichkeit an (in Wahrheit fühlte er sich elend). -
Julio Cortázar, Südliche Autobahn. Die Erzählungen Band 2. Frankfurt am
Main 1998
Stau (4)
|
||
|
||