tatistik
Ich wollte ein Leben des Fantomas
schreiben, ich habe dazu viermal die zweiunddreißig Bände gelesen, beim
fünften Mal habe ich bei Band 24 aufgehört. Als Vorarbeit hatte ich folgende
kleine Statistik aufgestellt. Dabei fällt auf, daß Fantomas etwa ein Viertel
seiner Morde mißlingen (73 gelungene gegen 20 verpatzte); doch in den sechzehn
letzten Bänden, das muß man zugeben, wird das Verhältnis der Erfolge sehr
viel größer (87,5%).
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Schwere Vebrechen |
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Verschiedene Morde |
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Mordversuche |
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Erpressungen |
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1 |
Irrtümer vorbehalten. - Raymond Queneau: Striche,
Zeichen und Buchstaben. München 1990
Statistik (2) Die Zeitungen wurden gebracht, die soeben mit dem Postboten gekommen waren, und ich ging gemächlich zum Fluß hinunter, um sie zu lesen. Gleich als ich die erste aufschlug, fiel mir die Schlagzeile ins Auge: »Selbstmordstatistik«, und ich erfuhr, daß in diesem Jahr mehr als achttausendfünfhundert Menschen sich umgebracht hatten.
Augenblicklich sah ich sie! Ich sah dieses furchtbare, freiwillige Massaker der Verzweifelten, die das Leben von sich stießen. Ich sah Menschen in ihrem Blut, mit gebrochenem Kiefer, zerschmettertem Schädel, eine Kugel in der Brust, langsam und allein in einem kleinen Hotelzimmer dahinsterben, und ich dachte nicht an die Wunde, sondern einzig nur an ihr Unglück.
Ich sah andere mit zerschnittener Kehle, mit klaffendem Bauch, in der Hand noch das Küchenmesser oder das Rasiermesser. Wieder andere sah ich vor einem Glas sitzen, darin Zündhölzer schwammen, oder vor einer kleinen Flasche mit rotem Etikett.
Sie stierten darauf, ohne sich zu rühren; dann tranken sie, warteten; dann ging ein Riß durch ihr Gesicht, verzerrte ihre Lippen; Entsetzen verdrehte ihnen die Augen - sie hatten nicht gewußt, daß man vorm Ende so sehr leidet.
Sie erhoben sich, hielten inne, fielen und fühlten, beide Hände auf dem Bauch, einen Brand im Leib, das Feuer in ihren von der Flüssigkeit roten Eingeweiden, bevor wenigstens ihr Denken erlosch.
Andere sah ich an einem Wandhaken hängen oder am Fensterknauf, an einem Deckenhaken, an einem Balken auf dem Hausboden, am Ast eines Baums im Abendregen. Und ich erriet, was alles sie hinter sich bringen mußten, bis sie dort starr, mit herausgestreckter Zunge hingen. Ich stellte mir die Beklommenheit der Herzen vor, das letzte Zaudern, die Bewegungen, um den Strick festzumachen, sich zu versichern, daß er auch hielt, ihn sich um den Hals zu legen und sich fallen zu lassen.
Wieder andere sah ich auf elendem Bett liegen, Mütter mit kleinen Kindern, Alte, die Hungers krepierten, junge Mädchen, von Liebesqualen zerstört, alle steif, erstickt, vergiftet, in der Zimmermitte noch der qualmende Kohleofen.
Ich sah auch die, die nachts auf verlassene Brücken gingen. Sie erschreckten mich am meisten. Unter den Bögen strömte das Wasser mit weichem Geräusch. Sie sahen es nicht ... sie spürten es, indem sie den feuchten Geruch einatmeten. Sie empfanden zugleich Verlangen danach und Angst. Sie scheuten zurück. Aber es mußte sein. Die Stunde schlug von irgendeinem Glockenturm, dann plötzlich im großen Schweigen der Finsternis ein paar schnell erstickte Schreie, ein Klatschen im Wasser, in das Hände schlugen. Manchmal war es auch nur der Aufprall des Sturzes, wenn sie sich die Arme gefesselt oder an die Füße einen Stein gebunden hatten.
O arme Menschen, arme Menschen, arme Menschen, wie fühlte ich ihre Angst, wie starb ich ihren Tod! Durch all ihre Nöte ging ich mit, erlitt in einer Stunde all ihre Qualen. Ich wußte um allen Kummer, der sie soweit gebracht hatte; denn ich empfinde die betrügerische Infamie des Lebens, wie sie nur je einer empfunden hat.
Wie verstand ich sie, all diese Schwachen, vom Unglück verfolgt, um geliebte Menschen gebracht, erwacht aus dem Traum von einer Belohnung im Jenseits, aus der Illusion von einem besseren Leben, wo Gott endlich gerecht wäre, nachdem er nur grausam gewesen war; enttäuscht von allen Wunderbildern des Glücks, haben sie genug und wollen dies Drama ohne Pause oder diese schändliche Komödie beenden.
Selbstmord! das ist die Stärke derjenigen, die keine Kraft mehr haben, das ist die Hoffnung derer, die nicht mehr glauben, das ist der erhabene Mut der Besiegten! Ja, wenigstens gibt es eine Tür hinaus aus diesem Leben, wir können sie immer öffnen und auf die andere Seite gehen. Die Natur hatte eine Regung von Erbarmen; sie hat uns nicht eingekerkert. Dank sei ihr, im Namen der Verzweifelten!
Alle Enttäuschten mögen mit freier Seele, ruhigem Herzen leben. Sie
haben nichts zu fürchten, weil sie davongehen können, weil hinter ihnen
immer diese Tür ist, die nicht einmal die erdachten Götter ihnen verschließen
können. - (
nov
)
Statistik (3) Die Gefangenschaft war naturgemäß diejenige Strafe, die der Inquisitor am häufigsten auferlegte. Bernhard Guidonis erwähnt in dem Verzeichnis der von ihm gefällten Urteile, welches seine Wirksamkeit von 1308 bis 1322 umfaßt, 636 Verurteilungen, die man folgendermaßen einteilen kann:
Dem weltlichen Arme überliefert und verbrannt
|
40 Personen Sa. 636 |
- Henry Charles Lea, Die Inquisition. Hg. Joseph Hansen. Frankfurt
am Main 1985 (Die Andere Bibliothek 6, zuerst 1887)
Statistik (4) Gesetzt, es werden jetzt
1000 Menschen geboren, so sterben davon 24 gleich
in der Geburt selbst; das Geschäft des Zahnens
nimmt ihrer 50 mit; Konvulsionen und andre Kinderkrankheiten in den ersten
zwei Jahren 277; die Blattern, die bekanntlich zum allerwenigsten den zehnten
Menschen töten, reiben ihrer 80-90 auf, die Masern zehn. Sind es Weibspersonen,
so sterben davon acht im Kindbett. Schwindsucht, Auszehrung und Brustkrankheiten
(in England wenigstens) töten 190. Andre hitzige Fieber 150, Schlagflüsse
zwölf, die Wassersucht 41. Also kann man von 1000 Menschen nur 78 annehmen,
welche am Alter, d. h. eines natürlichen Todes sterben, denn auch da wird
der größere Teil noch durch zufällige Ursachen weggerafft. Genug, es ergibt
sich hieraus, daß immer 9/10 vor der Zeit und
durch Zufall umkommen. - (
huf
)
Statistik (5)
Berlin in Zahlen Laßt uns Berlin statistisch erfassen! 53 000 Berliner sterben im
Jahr, Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken
Berlin hat jährlich 27600 Unfälle. Berlin hat 20 100 Schank- und Gaststätten, Ob sich das Lesen solcher Zahlen
auch lohnt |
- Erich Kästner, 1930, nach: Fred Oberhauser, Nicole Henneberg:
Literarischer Führer Berlin Frankfurt am Main u. Leipzig 1998 (it
2177)
Statistik (6) In seinem Lehrbuch "States of Matter", New York
1974, gab David L. Goodstein seinen Studenten folgenden gutgemeinten Ratschlag
mit auf den Weg: "Ludwig Bolzmann, der einen großen Teil
seines Lebens der statistischen Mechanik widmete, starb 1906 von
eigener Hand. Paul Ehrenfest, der seine Arbeit fortsetzte, starb 1933
unter ähnlichen Umständen. Nun sind wir an der Reihe, uns der
statistischen Mechanik anzunehmen. Vielleicht ist es eine gute Idee,
vorsichtig an die Sache heranzugehen." - "
Georges
Bourbaki
", München, November 1998
Statistik (7) Der italienische Kriminalist
Ferriani hat einige statistische Untersuchungen an 80 wegen Verbrechen
aus Liebesleidenschaft verurteilten Frauen vorgenommen. Verleumdungen gingen
immer nur von häßlichen Frauen aus. Von 20 anonymen
Drohbriefen waren 19 von häßlichen Frauen geschrieben. Auch schwere Beleidigungen
waren in 19 Fällen von häßlichen Frauen ausgegangen, nur in 4 Fällen von schönen
Frauen. Unter 16 mündlichen Drohungen hingegen wurden 14 von schönen und 2 von
häßlichen Damen ausgestoßen. Von 12 schweren Verwundungen aus Eifersucht usw.
kamen 5 auf Rechnung von schönen, 7 auf Rechnung von häßlichen Frauen. Wegen
Todschlags aus Liebesleidenschaft wurden unter 6 Angeklagten 4 schöne und 2
häßliche überführt. Im allgemeinen erwiesen sich also schöne Frauen im mündlichen
Streit und im offenen Angriff leidenschaftlicher als häßliche, die mehr zu Verleumdung
und Heuchelei neigten. - (
erot
)
Statistik (8) Unter 744 Menschen, welche ihr Leben über 80 Jahre brachten, waren:
Apotheker |
2 |
Ärzte |
6 |
Astronomen |
1 |
87 |
|
55 |
|
3 |
|
Fürsten und Grafen |
5 |
Gärtner |
4 |
26 |
|
Handarbeiter |
8 |
71 |
Darunter die, die am meisten Beispiele lieferten: Bäcker 3, Fleischhauer 4, Lohgerber 3, Müller 3, Schneider 3, Schuhmacher 5, Strumpfwirker 11, Zimmerleute 3.
Hebammen |
2 |
Hirten |
3 |
Hofmarschälle |
3 |
Kardinale und Bischöfe |
6 |
Kaufleute |
11 |
Maler |
3 |
2 |
|
Musiker |
2 |
Ökonomen |
10 |
Offiziere |
21 |
1 |
|
18 |
|
Rechtsgelehrte |
23 |
4 |
|
Soldaten |
12 |
Staatsminister |
4 |
1 |
|
Wundärzte |
6 |
- (
huf
)
Statistik (9) In Douglas Adams' Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" berechnet der Großcomputer den Sinn des Lebens. Nach monatelanger Rechenarbeit kommt er zum Ergebnis "42". Adams' Ironie auf den Glauben, unsere komplexe Welt sei berechenbar, wird heute durch die Wirklichkeit eingeholt. Mit starrem Blick auf die Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes zum sogenannten Altenquotienten sehen Experten "Deutschlands Weg in die Vergreisung"oder gar die "Rente mit 75". Wie selbstverständlich leiten Politiker, Professoren, Publizisten aus einer einzigen statistischen Maßzahl weitreichende Änderungen der Politik ab.
Der Altenquotient gibt salopp gesprochen an: Wie viele Menschen mittleren Alters (zwischen 20 und 65 sind da, um unsere Alten zu ernähren? Heute müssen etwa 30 Ältere von 100 Erwerbsfähigen versorgt werden. Nach den Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes wird sich die "Versorgungslast" bis 2050 verdoppeln. Dann stehen 100 Erwerbsfähigen etwa 60 Rentner gegenüber. Kaum ein Tag vergeht, in dem Politik und Wirtschaft nicht auf dieses Drama hinweisen und Lösungsvorschläge anbieten: Rente erst ab 67 und private Altersvorsorge. Aber werden hier nicht wesentliche Faktoren übersehen?
Müssen Erwerbsfähige denn nur für die Älteren aufkommen?
Nein, sondern auch für die Kinder. Deshalb operiert die amtliche Statistik schon seit Jahrzehnten mit einem "Gesamtquotienten", der die vielfältigen Ausgaben für Kinder und Jugendliche mit einbezieht. Berücksichtigt man sie, steigt der Versorgungsquotient bis zum Jahre 2050 "nur" noch um 40 Prozent. Das Drama ist also weniger als halb so groß! Doch jetzt fehlt immer noch ein wichtiger Faktor.
Die Arbeitenden versorgen nicht nur ihre Kinder, Eltern und Großeltern, sondern auch sich selbst. Der größte Teil der Bevölkerung ist selbst im mittleren Alter. In Zahlen ausgedrückt: 100 Erwerbsfähige sind heute für die Versorgung von 161 Personen zuständig. Dieses Verhältnis soll sich bis 2050 auf 100 zu 184 ändern. Die Gesamtbelastung der Bevölkerung nimmt trotz Alterung also nur um knapp 15 Prozent zu. Das Drama schrumpft auf ein Siebtel.
Dieses Ergebnis kommt daher, dass nur ein kleiner Teil der Belastung wächst, ein Teil leicht sinkt und der größte Teil konstant bleibt. Bei unseren täglichen Ausgaben berücksichtigen wir diese Logik: Wenn etwa der Spritpreis um 50 Prozent steigt, wissen wir, dass unsere Gesamtausgaben deutlich moderater wachsen.
Die Dramatisierer haben sich noch eines weiteren Darstellungstricks bedient. So ergibt eine überschaubare jährliche Preissteigerung von 1,4 Prozent in 50 Jahren eine "erschreckende" Verdopplung, die heute als unbezahlbar wirkt. Wenn wir diesen Effekt hier umdrehen, dann werden aus 15 Prozent Steigerung der Gesamtbelastung in knapp 50 Jahren ganze 0,3 Prozent pro Jahr - also ein ganz und gar nicht beängstigender Anstieg, den die Produktivitätssteigerung mehr als bewältigen wird.
Bei der gesamten Rechnung wurde das Renteneintrittsalter konstant bei 65 Jahren gehalten. Es zeigt ein Mal mehr, dass aus demografischen Gründen die Rente erst ab 67 nicht nötig ist.
Was wie Hexerei eines Zahlenkünstlers aussieht - aus der Verdopplung der
Belastung wurde eine Steigerung um 0,3 Prozent pro Jahr -, ist im Grunde genau
das Gegenteil: Dramatisierer haben es geschafft, unseren Blick auf einen einzigen
Teil der gesellschaftlichen Ausgaben, nämlich auf die Zahlungen für unsere Rentner,
einzuengen. Und damit sich das auch wirklich erschreckend anhört, werden alle
Steigerungen der nächsten fast 50 Jahre zusammengerechnet. Nur mit einem Zitat
von Voltaire kann ich ansatzweise erklären,
dass diese merkwürdige, sonst nie zu findende Rechenmethode so populär geworden
ist: "Je häufiger eine Dummheit wiederholt wird,
desto mehr bekommt sie den Anschein von Klugheit."
Und an der ständigen Wiederholung haben interessierte Kreise mit hohem Aufwand
gearbeitet. - Professor Gerd Bosbach, Tagesspiegel vom 20.
Dezember 2007
Statistik (10) Die Zeitungen wurden gebracht, die soeben mit dem Postboten gekommen waren, und ich ging gemächlich zum Fluß hinunter, um sie zu lesen.
Gleich als ich die erste aufschlug, fiel mir die Schlagzeile ins Auge: »Selbstmordstatistik«, und ich erfuhr, daß in diesem Jahr mehr als achttausendfünfhundert Menschen sich umgebracht hatten.
Augenblicklich sah ich sie! Ich sah dieses furchtbare, freiwillige Massaker der Verzweifelten, die das Leben von sich stießen. Ich sah Menschen in ihrem Blut, mit gebrochenem Kiefer, zerschmettertem Schädel, eine Kugel in der Brust, langsam und allem in einem kleinen Hotelzimmer dahinsterben, und ich dachte nicht an die Wunde, sondern einzig nur an ihr Unglück.
Ich sah andere mit zerschnittener Kehle, mit klaffendem Bauch, in der Hand noch das Küchenmesser oder das Rasiermesser.
Wieder andere sah ich vor einem Glas sitzen, darin Zündhölzer schwammen, oder vor einer kleinen Flasche mit rotem Etikett.
Sie stierten darauf, ohne sich zu rühren; dann tranken sie, warteten; dann ging ein Riß durch ihr Gesicht, verzerrte ihre Lippen; Entsetzen verdrehte ihnen die Augen - sie hatten nicht gewußt, daß man vorm Ende so sehr leidet.
Sie erhoben sich, hielten inne, fielen und fühlten, beide Hände auf dem Bauch, einen Brand im Leib, das Feuer in ihren von der Flüssigkeit roten Eingeweiden, bevor wenigstens ihr Denken erlosch.
Andere sah ich an einem Wandhaken hängen oder am Fensterknauf, an einem Deckenhaken, an einem Balken auf dem Hausboden, am Ast eines Baums im Abendregen. Und ich erriet, was alles sie hinter sich bringen mußten, bis sie dort starr, mit herausgestreckter Zunge hingen. Ich stellte mir die Beklommenheit der Herzen vor, das letzte Zaudern, die Bewegungen, um den Strick festzumachen, sich zu versichern, daß er auch hielt, ihn sich um den Hals zu legen und sich fallen zu lassen.
Wieder andere sah ich auf elendem Bett liegen, Mütter mit kleinen Kindern, Alte, die Hungers krepierten, junge Mädchen, von Liebesqualen zerstört, alle steif, erstickt, vergiftet, in der Zimmermitte noch der qualmende Kohleofen.
Ich sah auch die, die nachts auf verlassene Brücken gingen. Sie erschreckten
mich am meisten. Unter den Bögen strömte das Wasser mit weichem Geräusch. Sie
sahen es nicht ... sie spürten es, indem sie den feuchten Geruch einatmeten.
Sie empfanden zugleich Verlangen danach und Angst. Sie scheuten zurück. Aber
es mußte sein. Die Stunde schlug von irgendeinem Glockenturm, dann plötzlich
im großen Schweigen der Finsternis ein paar schnell erstickte Schreie, ein Klatschen
im Wasser, in das Hände schlugen. - (
nov
)
Statistik (11)
Statistik (12) Ein paar Blättchen vom Statistischen Landesamt. In 48 Stunden 900 000 Menschen evakuiert. Die Hamburger Luftkriegsopfer 1945 Juli männlich 11686 weiblich 18 246 zusammen 29 932. Ein bißchen was in »Hamburg und seine Bauten«: - Es muß einer späteren Zeit überlassen bleiben, diese erschütternden Ereignisse zu beschreiben und zu deuten. Caldin vom Intelligence Office: »The Night Hamburg died«.
Detlev Möller: »Das letzte Kapitel«:
- 1200 Minenbomben, 25000 Sprengbomben, 3 Millionen Stabbrandbomben, 80 000 Phosphorbrandbomben.
- Kinder durch die Naturgewalten
- Naturgewalten
- von der elterlichen Hand losgerissen, sah. man wie Ast- und Laubwerk in das Feuer wirbeln.
- Solche Erschütterungen zeigen sich begreiflicherweise bei dem älteren und gereifteren Teil der hamburgischen Bevölkerung. Dem größten Teil der Hamburger Jugend ist der Umfang und das Entsetzliche dieser Ereignisse kaum zum Bewußtsein gekommen.
- Der Kurt Detlev Möller verheimlichte, daß er in der Nazizeit antisemitische Reden geschwungen hatte und kriegte deshalb viel Ärger.
- Das wundert mich auch bei dem Stil nicht weiter. - Hubert Fichte, Detlevs
Imitationen "Grünspan". Frankfurt am Main 2005 (zuerst 1973)
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