tandesherr All
seine Verwandten sind mächtige Feudalherren, Besitzer weiter, von massiven Festungen
beherrschter Landstriche. Jeder von ihnen besitzt mehrere, manchmal eine ganze
Menge dieser hochgelegenen Stätten, die Furcht und Entsetzen einflößen und eine
gewissermaßen religiöse Macht ausüben. (Das Hoheitsrecht des Königs ist zum
Teil übernatürlich; die Macht eines Standesherrn ähnelt ihm, sie ist sein Spiegelbild.)
Gewiß, diese auf der Suche nach Ruhm, aber in einem behäbigen Luxus lebenden
Feudalherren sind sich nicht dessen bewußt, daß sie von einer Situation profitieren
(auch wenn sie keinen materiellen Komfort haben, so genießen sie ihn doch in
Form einer zahlreichen Dienerschaft). Aus Wohltätigkeit, Glaubensterror, eitlen Vergnügungen, Ehrgeiz, schäbigen Eigennutz setzt sich ein üppiges
und unbeständiges Leben zusammen, das der Tod jeden Augenblick schlagartig beenden
kann. Niemand in dieser Gesellschaft von Fronherren — die lachen, jagen, Krieg
führen, unaufhörlich an den Feind, den Rivalen, denken, sich aber selten langweilen
und nie arbeiten —, ist für längere Zeit von dem Gedanken an einen fratzenhaften
Teufel frei, der über die ewigen Schrecken der Hölle herrscht. Unser heutiges
Leben, das für vernunftgemäß gehalten wird, ist zu einem Teil eine Verkettung
von Widersprüchen. Aber ein Standesherr zu Beginn des 15. Jahrhunderts, dem
es fern lag, nach Vernunft zu trachten, lebte rückhaltlos in einem Chaos von
Widersprüchen, zwischen Berechnungen, Gewalttaten, guter Laune, blutigem Unfug,
Todesangst und Sorglosigkeit. -
Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst
1965)
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