Stadt, kranke  »Spürst du nicht um dich herum eine ungewohnte Wärme, eine kranke und schmutzige Schwüle? Der Wind hat einen scharfen Rauchgeschmack; auch die Steine entdecken den morbiden Charme des Modergeruchs. Sieh nur, die Träume werden dünner, ein zuckendes Schattenbild im Gras löst sich auf; die Abwesenheitsriten werden rarer.«

»Geschieht etwas, wovon nur du Zeuge bist?«

»Eine Seuche überfällt die Stadt. Sie wird krank - ihre Hexen, Türme, trockenen Brunnen, baufälligen Mauern, Priester, Straßen, Träume. Das Fieber schleicht sich in die armseligen Adern der Dinge, die darauf beharren, zu existieren.«

»Ein tödliches Fieber, sagst du?«

»Die Huren und Kuppler sterben bereits - zerfleischt von ihrem leichtsinnigen Lebenshunger. Danach werden die Verbrecher sterben, die zu leben glauben; dann die Priester, die mit dem Tode tratschen; und schließlich, als letzte, die Hexen, aber wahrscheinlich nicht alle. Irgendeine Sibylle bleibt vermutlich am Leben, als ewiger Katafalk ihrer selbst, welk und spröde, ein brüchiges Pergament, das eine imitierte Zeit immer wieder neu beschreibt. Alle anderen werden ebenfalls sterben, ja sie sterben bereits; die meisten sind sogar schon tot. Es wird keinen Frieden für irgendjemand geben.«

»Was soll das heißen?«

»Sie werden sich im Fieber auflösen, ja sie werden selbst zum Fieber dieser Stadt. Aber der Tod bringt ihnen keine Waffenruhe, Unbestattet, von der Geduld des Windes ausgezehrt, wird die Morgenröte sie als leichenhafte Komparsen benützen, gefallen auf einem grenzenlosen Schlachtfeld. Die Morgenröte wird künstliche Wunden in ihre Körper schlagen und ihnen Blut abzapfen, um damit das zu verzieren, was sie als künftige Tage und weitere Kriege ersinnt.«

»Werden die Steine und die Mauern sterben, sterben die Toten?«

»Es gibt keinen Tod, der nicht noch weitere Tode erleiden könnte - wenn du das meinst. Die Toten können also sterben, und sie tun das auch und werden es immer tun. Ich vermute, daß die Steine schon wieder gestorben sind; wahrscheinlich verharren sie gerade zwischen Tod und Tod.«   - (hoelle)

 

Stadt Kranke

 

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