Stadt, gespenstische   Am Tage wandelte ich durch die widerhallend öden Straßen und glaubte mich in eine jener verwunschenen Städte versetzt, wovon mir einst die Amme so viel erzählt. Da war die ganze Stadt still wie das Grab, alles war so verblichen und verstorben, auf den Dächern, spielte der Sonnenglanz, wie Goldflitter auf dem Haupte einer Leiche, hie und da aus den Fenstern eines altverfallenen Hauses hingen Efeuranken, wie vertrocknet grüne Tränen, überall glimmernder Moder und ängstlich stockender Tod, die Stadt schien nur das Gespenst einer Stadt, ein steinerner Spuk am hellen Tage. Da suchte ich lange vergebens die Spur eines lebendigen Wesens. Ich erinnerte mich nur, vor einem alten Palazzo lag ein schlafender Bettler mit ausgestreckt offner Hand. Auch erinnere ich mich, oben am Fenster eines schwärzlich morschen Häuslein sah ich einen Mönch, der den roten Hals mit dem feisten Glatzenhaupt recht lang aus der braunen Kutte hervorreckte, und neben ihm kam ein vollbusig nacktes Weibsbild zum Vorschein; unten, in die halb offne Haustüre sah ich einen kleinen Jungen hineingehen, der als ein schwarzer Abbate gekleidet war, und mit beiden Händen eine mächtig großbäudiige Weinflasche trug. - In demselben Augenblick läutete unfern ein feines ironisches Glöck-lein, und in meinem Gedächtnisse kicherten die Novellen des Als ich jetzt, acht Tage später, wieder nach Lucca kam, wie erstaunte ich über den veränderten Anblick dieser Stadt! Was ist das? rief ich, als die Lichter mein Auge blendeten und die Menschenströme durch die Gassen sich wälzten. Ist ein ganzes Volk als nächtliches Gespenst aus dem Grabe gestiegen, um im tollsten Mummenschanz das Leben nachzuäffen?   - Heinrich Heine, Reisebilder: Italien, Die Stadt Lucca

Stadt, gespenstische (2)  An anderer Stelle im Text des Meisters eine Stadt von gespenstischem Aussehen. Zerfallene Türme, hastig restaurierte Gebäude, die in ihren Gerüsten steckengeblieben sind, aufgereihte fensterlose Blöcke, leere Flächen, unvollendete, von Gestrüpp überwucherte Bauten.

Es heißt die Bevölkerung verberge sich in unterirdischen Gewölben, sie komme nur nächtens heraus um sich des Friedhofs zu bemächtigen, der die Stadt umgibt und sich über die Ebene erstreckt, viele Hektar weit.
Ein Rundweg durch die verzweigten Katakomben ist genauestens beschrieben, jedes Bruchstück eines Ganges von einem zentralen Punkt aus nummeriert, jede Entfernung zwischen den Kreuzungen der verschiedenen Stollen berechnet.
Eine Beschreibung des Areals, auf dem sich das Geschäftsleben konzentriert zu haben scheint, ist durch eine Zeichnung begonnen worden, die unter einem Klebstoffoder Fettstreifen fast verschwindet. Mit einer Lupe kann man einige Abkürzungen für die Umrisse entziffern wie Back, Schuhg, Milchla, Apo.
Das Ende der Seite abgeschnitten. Verlängerung durch ein mit Klebestreifen befestigtes Stück Papier. In einer zittrigen Handschrift eine Notiz ohne Zusammenhang mit dem Vorausgegangenen.

Sich daran gewöhnen mit denen, die man liebt, in der Lüge zu leben.  - Robert Pinget, Der Feind. Berlin 1988

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